Quo vadis Deep-Sea-Mining?

von | 22. Aug 2023 - 08:25 | Wissen

Trotz des zunehmenden Rohstoffbedarfs bleibt der Bergbau in der Tiefsee umstritten.

Der Bergbau in der Tiefsee ist ein sehr kontroverses und komplexes Sujet: Der Befürchtung, dass er verheerende Folgen für die Meeresbewohner mit sich bringt, steht ein steigender Rohstoffbedarf entgegen, der sich nach Ansicht von Unternehmen nur durch das Erschließen unterseeischer Vorkommen decken lässt. Zu diesem Thema tauschten sich die Mitgliedsstaaten der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, kurz ISA) im Juli im Rahmen von dreiwöchigen Verhandlungen in Jamaikas Hauptstadt Kingston intensiv aus. Auf konkrete Regelungen zum Rohstoffgewinn in den Ozeanen konnte sich die ISA, das UN-Gremium zur Überwachung des Bergbaus, bei dem Treffen allerdings nicht einigen. Weitere Abstimmungen wurden auf die ISA-Sitzung im Juli nächsten Jahres vertagt.

Nauru als Präzedenzfall für den Tiefseebergbau in großem Maßstab?

In den Fokus nicht nur der Debatten in Kingston, sondern auch der medialen Berichterstattung rückte das Thema aufgrund der Causa der südpazifischen Insel Nauru. Der kleine Inselstaat möchte finanzielle Mittel bereitstellen, um mithilfe der kanadischen „The Metals Company“ (TMC) Bergbau in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) zu betreiben. Da die CCZ in internationalen Gewässern liegt, ist eine Erlaubnis zum Rohstoffabbau seitens der ISA notwendig. Durch Naurus Antrag im Juni 2021 zum Mineralienabbau in dieser Zone wurde die Klausel des UN-Seerechtsübereinkommens zur zweijährigen Genehmigungsfrist für die Meeresbehörde ausgelöst. Bis Juli 2023 hätte die ISA ein Regelwerk festlegen müssen, anhand dessen über Naurus Antrag und künftige Anfragen anderer Länder zur Rohstoffgewinnung in Ozeanen entschieden werden kann. Bei dem Treffen im Juli konnte keine Einigung erzielt werden, sodass der rechtliche Rahmen und die Vorgaben zum Mineralienabbau nicht komplett ausgearbeitet seien, so die ISA.

Die CCZ – Eine rohstoffreiche Zone inmitten des Pazifiks

Die CCZ zwischen Hawaii und Mexiko. – Photo: USGS (U.S. Geological Survey).

Das Tiefseegebiet CCZ ist ein zwischen Mexiko und Hawaii gelegenes Gebiet, etwas größer als die Europäische Union, und beherbergt reiche Vorkommen an Manganknollen. Diese sind deshalb gefragt, da sie unter anderem Kupfer, Kobalt, Nickel sowie Seltene Erden enthalten.  

Eine aus dem CCZ entnommene Manganknolle. – Photo: iStock/ Bjoern Wylezich

Die durchschnittlich zwischen einem und 15 Zentimeter großen, schwarzbraunen Knollen bilden sich vor allem in 4.000 bis 6.000 Meter Meerestiefe über einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren und enthalten neben dem namensgebenden Mangan auch andere gefragte Mineralien.

Die Entscheidung im Falle des Inselstaates könnte weitreichende Konsequenzen für den Bergbau in der Tiefsee nach sich ziehen. Denn aktuell werden mineralische Rohstoffe in Ozeanen primär zu Forschungszwecken und noch nicht in großem, industriellem Umfang abgebaut. Derzeit bestehen 31 Explorationsverträge, die die ISA an Unternehmen vergeben hat. Diese werden von Ländern wie China, Russland, Frankreich und Japan finanziell unterstützt. Allein 19 dieser über einen Zeitraum von 15 Jahren geltenden Forschungslizenzen betreffen die Erkundung von Manganknollen.

Meeresforscher, Umweltorganisationen, Unternehmen und Regierungen äußerten in den vergangenen Monaten und Jahren ihre unterschiedlichen Standpunkte und Bedenken, die für und gegen den Rohstoffabbau in den Tiefen des Ozeans sprechen. Einige haben wir im Folgenden zusammengetragen.

Weitreichende Auswirkungen auf die Ökosysteme, zu wenig Forschung

Die Kritik am Tiefseebergbau betrifft vor allem die vielfältigen Konsequenzen auf das Leben der Meeresbewohner, deren Dasein nachhaltig gestört würde, wie unter anderem die Max-Planck-Gesellschaft berichtet. Diese Erkenntnis beruht auf neueren Forschungen zu einem Gebiet, in dem 1989 testweise ein paar Kilometer Meeresboden mit einer Egge umgepflügt wurden, um den Manganknollenabbau nachzustellen. Bei der Mineraliengewinnung selbst wird Sediment aufgewirbelt, wenn die oberen Zentimeter des Meeresbodens – und damit auch das Leben darin – abgetragen werden. 26 Jahre später waren die Pflugspuren immer noch deutlich zu erkennen. Die Forscher der Max-Planck-Gesellschaft stellten bei ihren Untersuchungen fest, dass teilweise nur noch die Hälfte der Bakterien im Boden der alten Spuren im Vergleich zum unberührten Meeresboden lebten und rechnen damit, dass diese Mikroorganismen frühestens nach 50 Jahren ihre natürlichen Funktionen wieder vollumfänglich ausüben können. Der Direktor des Instituts Senckenberg am Meer, Pedro Martinez Arbizu, stellte zudem fest, dass durch die Manganknollenentnahme auch Schwämme oder Korallen, die direkt auf den Knollen leben, verschwänden. Das ist besonders bedenklich, wenn man berücksichtigt, dass Manganknollen extrem langsam wachsen, nämlich nur zwischen zwei und 100 Millimeter in einer Million Jahre. Bergbau in den Ozeanen hätte demnach enormen Einfluss auf die Artenvielfalt.

Korallenriff mit einem orangefarbenem Schwamm in den Tiefen des Meeres. – Photo: iStock/mychadre77

Eine im Wissenschaftsmagazin Nature npj Ocean Sustainability publizierte Studie einer Gruppe von Wissenschaftlern kommt zu dem Ergebnis, dass die durch den Klimawandel bedingten, steigenden Temperaturen der Ozeane Thunfische dazu bewegen könnten, in die Clarion-Clipperton-Zone zu wandern – und damit ausgerechnet in die Zone, in der Tiefseebergbau geplant ist. Dies würde das Leben der Fische und letztlich auch die Fischindustrie im Pazifik beeinträchtigen. Weitere Aspekte sind laut der International Union for Conservation of Nature (IUCN) die Lärm- und Lichtverschmutzung, die durch zum Mineralienabbau eingesetzte Bergbaumaschinen und Schiffe herbeigeführt werden könnten. Ebenso besteht die Gefahr, dass durch mögliche Lecks oder auslaufende Treibstoffe Umweltgifte in das Meereswasser gelangen, die wiederum eine Bedrohung für diverse Tierarten darstellen könnten, warnt die IUCN.

Eine weitere Einrichtung, die Bedenken zur Rohstoffgewinnung im Wasser äußerte, ist die internationale Naturschutzorganisation „Fauna & Flora“. Sie veröffentlichte einen Bericht, aus dem hervorgeht, wie stark das maritime Ökosystem durch Deep-Sea-Mining beeinflusst würde: So ginge die biologische Vielfalt in den Meeren verloren – und zwar unwiederbringlich. Aber auch Kohlenstoffspeicher in den Sedimenten würden gestört werden und dadurch Kohlenstoffkreisläufe und -speicherprozesse unterbrochen werden, was die Klimakrise verschärfen könnte. Meeressedimente zählen zu den größten und wichtigsten CO2-Speichern der Welt, daher ist ihr Schutz besonders bedeutend, heißt es in der Studie weiter.  Das Ausmaß der Auswirkungen auf die Klimakrise sei allerdings noch nicht bekannt, schließt die Forschungsarbeit. Die „Fauna & Flora“-Direktorin für globale Politik, Catherine Weller, bat die ISA daher ebenso im Vorfeld der Verhandlungen in Kingston darum, erst einmal keine weiteren Bergbaugenehmigungen zu vergeben und stattdessen ein Moratorium zu beschließen. Sophie Benbow, Direktorin für Meeresforschung, warnte außerdem davor, dass der Tiefseebergbau „und seine Auswirkungen möglicherweise nicht mehr aufzuhalten“ [Übersetzung Rohstoff.net] seien, sobald dieser einmal begonnen hätte.

Thunfische im Meer – Photo: iStock/Nuture.

Auswirkungen nicht nur auf Meeresbewohner, sondern auch an Land

Neben der IUCN sowie „Fauna & Flora“ sprachen sich vor dem Meeting in Jamaika einige Länder aufgrund von Umweltbedenken für eine Pause oder den Aufschub der Frist im Falle der Entscheidung zu Naurus Anliegen aus. Die Zahl der Staaten pro-Unterbrechung wuchs während des mehrwöchigen Treffens auf 21 an. Darunter befinden sich unter anderem Deutschland und Kanada. Frankreich ging noch einen Schritt weiter: Präsident Emmanuel Macron hatte bereits im Juni 2022 ein Verbot derartiger Aktivitäten gefordert – mit dieser Position steht sein Land allerdings bislang alleine da. Ein Regierungssprecher des Vereinigten Königreichs, das nicht auf der Liste der Länder für ein Moratorium oder Verbot steht, äußerte gegenüber der BBC, dass sein Land die Lizenzvergabe nicht unterstützen werde, solange nicht genug Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen auf die Ökosysteme vorlägen. Immerhin gelten die Tiefen der Ozeane als der am wenigsten erforschte Teil der Erde, zahlreiche dort angesiedelte Lebewesen sind noch unbekannt. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung stellte Pedro Martinez Arbizu außerdem infrage, dass man bewerten könne, wo die Zerstörung moralisch eher vertretbar wäre: an Land oder auf See. Er betont zudem, dass „die Menschheit auf der Erde einen riesigen Fußabdruck hinterlässt“.

„Frankreich unterstützt das Verbot jeglicher Ausbeutung des Tiefseebodens.“ [Übersetzung Rohstoff.net]

Emmanuel Macron am 7. November 2022 über Twitter.

Nicht nur Konsequenzen für das Ökosystem und die Tier- und Pflanzenwelt wurden aufs Tapet gebracht. So sind auch mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen denkbar. Manganknollen sind laut Forschern des Alfred-Wegener-Instituts radioaktiv – neueren Studien zufolge in deutlich höherem Maße als bislang angenommen. Es war die Präsenz von radioaktiven Stoffen, die in der Vergangenheit bereits zu einer Absage von Bergbauprojekten führte – so beispielsweise in der grönländischen Kvanefjeld-Mine, deren Urankonzentration die örtlichen Grenzwerte übersteigt (wir berichteten). 

„Wir wissen weniger über die Tiefsee als über jeden anderen Ort auf unserem Planeten […]. Was wir jedoch wissen, ist, dass der Ozean eine entscheidende Rolle für das grundlegende Funktionieren unseres Planeten spielt und der Schutz seines empfindlichen Ökosystems daher nicht nur für die biologische Vielfalt der Meere, sondern für das gesamte Leben auf der Erde entscheidend ist.“ [Übersetzung Rohstoff.net], gibt Sophie Benbow zu Bedenken.

Mittlerweile rücken die Auswirkungen des Deep-Sea-Minings nicht nur bei Umweltorganisationen und Regierungen in den Fokus, sondern auch bei Unternehmen. Im Jahr 2021 unterzeichneten Samsung SDI, Google und Volvo ein von der Nichtregierungsorganisation WWF und der BMW Group initiiertes Moratorium zum Tiefseebergbau. Diese verpflichten sich dadurch, in den Ozeanen abgebaute Rohstoffe weder zu beziehen noch in ihren Lieferketten zu verwenden sowie keinerlei Bergbauaktivitäten in den Meerestiefen zu finanzieren. Der WWF (World Wide Fund For Nature) selbst spricht vom Tiefseebergbau als einer „vermeidbare[n] Umweltkatastrophe“ [Übersetzung Rohstoff.net].  Die Organisation appelliert an andere Unternehmen, sich dem Moratorium anzuschließen und fordert, Deep-Sea-Mining bis zu dem Zeitpunkt nicht durchzuführen, bis alle möglichen Risiken erforscht, Alternativen dazu erschöpft und – im Falle eines Abbaus – die Ökosysteme der Meere ausreichend geschützt werden können. Der WWF drängt darauf, dass man sich statt auf den Abbau in den Ozeanen auf neue Ideen an Land konzentrieren solle, um die Konsequenzen für Bevölkerung und Umwelt zu minimieren.

Neben den Einflüssen auf Meeres- und Landbewohner kommen zahlengetriebene Faktoren hinzu: Reuters zufolge wurden Stimmen laut, die finanzielle Risiken und eine ungewisse Wirtschaftlichkeit als Argumente gegen eine Investition in die Exploration in den Ozeanen ins Spiel brachten. Hierbei gibt es viele große Unbekannte: Einige Kosten könnten laut einer Studie, an der unter anderem die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) beteiligt war, nicht abgeschätzt werden. Da umfangreiche Verarbeitungsprozesse von Manganknollen aktuell noch nicht durchgeführt werden, können zum einen die Kosten für die Aufbereitung nur schwer prognostiziert werden. Andere Faktoren wie die Gebühren und Abgaben an die ISA für die erhaltene Lizenz sind indes derzeit sogar noch völlig unbekannt. Die Profitabilität ist demnach fraglich. Eine im Auftrag der ISA durchgeführte Studie konkludiert, dass Tiefseebergbau bei den aktuellen Rohstoffpreisen noch nicht rentabel sei. Man rechne in den kommenden 15 bis 40 Jahren jedoch mit einer Steigerung des Preisniveaus aufgrund eines steigenden Mineralienbedarfs für Erneuerbare Energien und sich dadurch auch der Rohstoffabbau langfristig in den Meerestiefen lohnen könnte. Zeit also, sich dem Forschungsgegenstand noch stärker zu widmen.

Open Pit Mine

Traditioneller Bergbau in einer Mine an Land mit sichtbaren Auswirkungen auf die Umwelt. – Photo: iStock/zhuzhu.

Rohstoffe aus der Tiefsee nötig für die Energiewende?

Auf der Seite der Befürworter des Deep-Sea-Minings wird hingegen das Argument angebracht, dass die in internationalen Gewässern zu gewinnenden Mineralien essenziell für das Erreichen der globalen Klimaziele seien. Diesen Punkt nannte unter anderem die kanadische, auf Tiefseebergbau spezialisierte   ̎The Metals Company  ̎ (TMC), die neben Nauru mit zwei weiteren Pazifikinseln Partnerschaften schloss und die Genehmigung der Anträge zum Mineralienabbau beschleunigen möchte – und damit natürlich ihre eigenen Interessen verfolgt. Es gibt allerdings auch Gegenstimmen zu diesem Standpunkt, die sagen, dass Tiefseebergbau weder für die Energie- noch für die Verkehrswende notwendig sei. So stellte Andreas Manhart vom Öko-Institut in Freiberg  zusammen mit anderen Wissenschaftlern im Rahmen von einer von Greenpeace beauftragten Studie fest, dass Manganknollen die für die alternative Energieerzeugung essenziellen Mineralien Lithium und Grafit gar nicht enthalten. Durch den Tiefseebergbau könnten lediglich Mangan, Kobalt und Nickel in größeren Mengen gewonnen werden, heißt es weiter. Andere Forscher kommen zu dem gleichen Resultat und bringen einen Alternativvorschlag: Erst einmal das Potenzial der Kreislaufwirtschaft ausbauen und mehr auf Recycling von kritischen Rohstoffen setzen, statt den Bergbau vom Land auf die Tiefen der Weltmeere auszuweiten.

TMC möchte Kupfer, Kobalt und Nickel auf dem Meeresgrund gewinnen, die unter anderem für die Elektromobilität, Windturbinen sowie Mobiltelefone benötigt werden. Das Unternehmen führt dafür unter anderem als Grund an, dass leicht zugängliche Metalle an Land bereits abgebaut wurden und die dort jetzt noch verbleibenden Rohstoffe von geringer Qualität seien. Ein Argument, dem der staatliche schwedische Bergbaukonzern LKAB sicher widersprechen dürfte. Er hatte Anfang dieses Jahres die Entdeckung eines gewaltigen Vorkommens Seltener Erden verkündet, das zudem reich an Eisen und Phosphor ist. Auch in anderen Ländern wie Tansania wird an der Erschließung von Lagerstätten kritischer Mineralien intensiv gearbeitet, zudem gewinnen Sekundärquellen wie Bergbaurückstände durch neuere Forschung an Bedeutung.

Das kanadische Unternehmen TMC beruft sich bei seinen Einschätzungen zudem auf Forschungsarbeiten, die zu dem Schluss kommen, dass die Klimaauswirkungen durch den Abbau an Land deutlich höher wären als jene durch den Tiefseeabbau. Dem Einfluss auf das Ökosystem der Meere widmete sich das TMC nur in begrenztem Umfang und konnte dazu noch keine endgültigen Ergebnisse liefern, forsche daran laut eigenen Angaben aber weiter. Während der ISA-Verhandlungen in Jamaika hat allerdings auch Kanada, Hauptsitz des Unternehmens, einen Stopp der Genehmigungen zum Mineralienabbau in der Tiefsee gefordert.

Ein weiteres Argument für den Abbau in der See ist es, dass an Land schwer erreichbare Mineralien in den Ozeanen – jedenfalls theoretisch – deutlich leichter abgebaut werden könnten. Der Forschungsdirektor für globalen Bergbau bei Wood Mackenzie, Nick Pickens, führte gegenüber der BBC an, dass die an Land vorhandenen Rohstoffe zwar in großen Mengen vorliegen würden, aber durch Konflikte wie beispielsweise in der kupferreichen Demokratischen Republik Kongo nicht so leicht zugänglich wären, Raffinadeanlagen seien zudem auf wenige Standorte begrenzt. Er gab zu bedenken, dass geopolitische Herausforderungen durch den Abbau von Mineralien in der Tiefsee nicht unbedingt beseitigt würden.

Position der USA:  Als Nicht-Mitglied der ISA im Nachteil?

In dieser Debatte darf allerdings eine der größten Bergbaunationen nicht fehlen: Die USA. Sie sind  dem Seerechtsübereinkommen von 1982, mit dem die Rechtsgrundlage für die Einrichtung der ISA geschaffen wurde, bislang noch nicht beigetreten. Nichtsdestotrotz betrachten sie das „Law of the Sea“ (kurz UNCLOS für United Nations Convention on the Law of the Sea) als Ausdruck des internationalen Gewohnheitsrechts und der internationalen Praxis. Dennoch steht die Frage im Raum, ob die bedeutende Wirtschaftsmacht durch die Nicht-Ratifizierung in eine privilegierte oder eher einer nachteiligen Position rückt; die rechtliche Auslegung wirft Fragen auf und lässt einen gewissen Spielraum zu, weshalb sie schon Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen war.

Obwohl sich in den USA Vertreter von Regierungen, Organisationen und diverser Industrien in der Vergangenheit bereits mehrfach für einen Beitritt der Vereinigten Staaten eingesetzt haben, gab es dazu noch nicht die erforderliche Zustimmung des US-Kongresses. Unter den Befürwortern befinden sich hochrangige amerikanische Politiker wie der ehemalige Präsident Barack Obama und John Kerry in seiner Zeit als US-Außenminister (heute Sonderbeauftragter für Klimaschutz) sowie die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton: Sie alle sprachen sich während ihrer jeweiligen Amtszeit für eine Unterzeichnung des UNCLOS aus.

Ein Beitritt zu UNCLOS und damit zur ISA könnte Vorteile für die USA mit sich bringen: Der Ausschuss für auswärtige Beziehungen des Senats stellte heraus, dass das nordamerikanische Land durch den Vertrag in puncto Wirtschaft, Sicherheit aber auch des internationalen Einflusses mehr als jedes andere Land Profit aus dem Vertrag erlangen würden.

Eine „Nicht-Mitgliedschaft“ hingegen könnte sich negativ auswirken, sagen Befürworter. Der CEO und Präsident der National Association of Manufacturers, Jay Timmons, argumentierte, dass es nachteilig für amerikanische Unternehmen sei, in den Tiefseebergbau zu investieren, denn sie könnten keinen Rechtsanspruch erhalten, solange die USA nicht Teil der UNCLOS bzw. der ISA sind. Ausländische Unternehmen, deren Regierungen beigetreten sind, könnten hier im Vorteil sein und die Erlaubnis zum Tiefseebergbau erhalten. Timmons plädierte bereits 2012 dafür, das Seerechtsübereinkommen zu unterzeichnen.

Bedenken löste auch die Tatsache aus, dass bei Erteilung einer Abbaulizenz für Nauru Bergbau in Tiefseegebieten, die an die amerikanische Exclusive Economic Zone (kurz EEZ, zu Deutsch „Ausschließliche Wirtschaftszone“) grenzen, betrieben werden könnte. Die EEZ ist ein Gebiet, das maximal bis 200 Seemeilen von den Küsten eines Landes reicht und an das 12-Seemeilen-Hoheitsgewässer grenzt und von jeder Küstennation beansprucht werden kann. In der jeweiligen EEZ verfügen die Länder über souveräne Rechte und können dort auch Ressourcen des Meeresbodens nutzen, beispielsweise Tiefseebergbau betreiben. Die Vereinigten Staaten verfügen über eine der größten EEZ der Welt. Die Umwelt- und Rechtsorganisation Earthjustice fürchtet, dass vom Deep-Sea-Mining in der CCZ „ein erhebliches Risiko“ [Übersetzung Rohstoff.net] für die unter anderem auf amerikanischem Gebiet gelegenen Inseln Hawaii oder Guam ausgeht – direkt benachbarte Gebiete, in denen Nauru Rohstoffe in den Ozeanen gewinnen möchte. Die Nichtregierungsorganisation wandte sich daher nach Naurus Antrag 2021 an US-Präsident Joe Biden und forderte ihn auf, die Administration zu einem Moratorium nicht nur in der EEZ, sondern auch in der von der ISA verwalteten CCZ zu verpflichten.

EEZ der USA

Die US-amerikanische Exclusive Economic Zone (EEZ). – Photo: Courtesy of NOAA.

Neben zahlreichen Mitgliedsstaaten der ISA gibt es auch in den USA Bestrebungen, ein Moratorium für den Tiefseebergbau zu erwirken. Der amerikanische Kongressabgeordnete Ed Case forderte zum Start der ISA-Konferenz im Juli dieses Jahres, den Tiefseebergbau vorerst zu stoppen, bevor die Auswirkungen nicht ausreichend bekannt und Schutzmaßnahmen für die Ozeane etabliert wären, und brachte dazu einen entsprechenden Gesetzesentwurf auf den Weg.

Trotz aller Skepsis: Könnte der Tiefseebergbau bereits 2025 starten?

Neben Bestrebungen zum Rohstoffgewinn in internationalen Gewässern gibt es bereits Vorhaben, Deep-Sea-Mining in nationalen Gewässern anzugehen, was keine Genehmigung durch die ISA erfordert. So wurde im Juni bekannt, dass Norwegen in seinen Gebieten Tiefseebergbau ermöglichen möchte (wir berichteten).

Ob bei den kommenden Verhandlungen der ISA im Juli 2024 eine Einigung erzielt werden kann, wird sich zeigen. Tiefseebergbau in internationalen Gewässern ist bis mindestens dahin wohl erst einmal auf Eis gelegt. Die TMC kündigte nach den Verhandlungen in Kingston an, eine Bewerbung zu einem Explorationsantrag an die ISA im Anschluss an das Juli-Treffen 2024 einreichen zu wollen. Mit der Produktion will das Unternehmen mit Unterstützung der Regierung von Nauru im vierten Quartal 2025 starten, da es mit einjährigen Verhandlungen mit der ISA rechnet. Bis dahin könnten aber noch weitere Unternehmen hinzukommen, die Bergbauanträge für den Rohstoffabbau in internationalen Gewässern stellen, die USA könnten sich zudem entschließen, doch noch das Seerechtsübereinkommen zu ratifizieren. Außerdem ist anzunehmen, dass bis Juli weiterhin mit Hochdruck an laufenden Forschungen zu den Auswirkungen vom Bergbau – unter anderem auf die Ökosysteme der Meere – gearbeitet wird, um diese schnellstmöglich zum Abschluss zu bringen. Viel Zeit, um fundierte, entscheidende Argumente und Forschungsresultate für oder wider den Beginn des Tiefseebergbaus zu finden, bleibt bis zum ISA-Treffen 2024 also in jedem Fall nicht.

Photo: iStock/S_Bachstroem

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