Im Sommer des vergangenen Jahres haben wir über Sea4Value berichtet. Im Rahmen des von der EU geförderten Projekts sollen Technologien zur Rückgewinnung von Mineralien und Metallen wie Gallium, Indium und Lithium aus den Konzentraten der Meerwasserentsalzung, den sogenannten Solen, entwickelt werden. Zu den Projektpartnern gehört die DECHEMA e.V., Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V.
Dr. Daniel Frank, Projektleiter Wassermanagement bei der DECHEMA, beantwortet Rohstoff.net einige Fragen zu diesem Forschungsansatz, der Sole zusätzlich zur bergbaulichen Förderung und dem Recycling zu einer weiteren Rohstoffquelle in der EU machen könnte.
Herr Dr. Frank, Sea4Value ist ein europäisches Gemeinschaftsvorhaben von insgesamt 17 Partnern. Wie muss man sich die Zusammenarbeit in solch einem Mammutprojekt vorstellen?
Herausfordernd trifft es wohl am besten. Wir haben im Juni 2020 unser Projekt begonnen und uns seitdem kein einziges Mal „in echt“ getroffen, sondern ausschließlich online. Da konzentriert man sich dann eher aufs Wesentliche. Mit der Dniprovsk State Technical University haben wir einen ukrainischen Partner im Projektteam. Wir versuchen als Konsortium aktuell alles, der Einrichtung und ihren Mitarbeitenden zur Seite zu stehen, können aber nicht abschätzen, wie sich die Situation weiter entwickeln wird.
Welche Aufgabe übernimmt die DECHEMA im Projektverbund konkret?
Die DECHEMA hat sich maßgeblich um den Aufbau und die Entwicklung der Datenbank gekümmert, in der die Analysen der Proben gelistet sind. Mit dieser lässt sich auf einen Blick erkennen, wie die Metall- und Salzkonzentrationen auf der Welt verteilt sind.
Derzeit konzentrieren wir uns darauf, ein Vermarktungskonzept für die zurückgewonnenen Produkte zu erarbeiten. Um das zu verwirklichen, verfolgen wir in den meisten unserer Projekte den Ansatz, zwischen Wissenschaft und Industrie zu vermitteln, und diese Stärke können wir hier einbringen. Wir stehen daher nicht nur im regelmäßigen Austausch mit unseren Partnern, sondern vor allem auch mit Stakeholdern entlang der Wertschöpfungskette für jedes der neun Elemente und deren Produkte. Der Ansatz unseres Vorhabens ist noch neu und wird durchaus auch argwöhnisch betrachtet. Hier gilt es Überzeugungsarbeit zu leisten, dass Sea4Value stabile Lieferketten und eine gleichleibend hohe Produktqualität garantieren kann.
Das Projekt ist bis Ende Mai 2024 angelegt und unterteilt sich in mehrere Phasen. Die Entnahme und Analyse von Wasserproben zur Ermittlung ihrer mineralischen Zusammensetzung ist mittlerweile abgeschlossen. Die insgesamt über 100 Proben stammen aus einer Vielzahl von Ländern Afrikas, Arabiens, Europas, sogar Lateinamerika. Gibt es schon eine Tendenz, welche Region die größten Vorkommen verspricht?
Interessanterweise ist das vom Element abhängig. Einige Küstenstriche haben einen hohen Gehalt an Magnesium, während wir an anderen Probenahmestellen vergleichsweise hohe Lithiumkonzentrationen analysieren konnten. Durch den modularen Ansatz besteht die Möglichkeit, nur Teile der Technologien anzuwenden – jeweils zugeschnitten auf den jeweiligen Standort der Entsalzungsanalage, je nach Gehalten der zu gewinnenden Produkte.
Im polnischen Czerwionka-Leszczyny wurde auch Untertage-Sole beprobt. Können Sie schon sagen, ob sich diese „Landressource“ für die Rohstoffgewinnung eignet?
Grundsätzlich wäre es meiner Meinung nach ein Fehler, eine Ressource von vorneherein auszuschließen. Wenn sich in der Exploration dann allerdings herausstellt, dass eine Aufbereitung ökologisch bzw. ökonomisch keinen Sinn ergibt, muss man diese Ressource, bzw. in unserem Fall diesen Ort ad acta legen und sich auf neue Gegebenheiten fokussieren. Die genannte Untertage-Sole ist aber zum jetzigen Stand sehr vielversprechend, was einige kritische Rohstoffe betrifft, insbesondere Lithium.
Die technische Machbarkeit soll demnächst auch durch mobile Labore im Osten Spaniens und auf den Kanaren überprüft werden. Was unterscheidet die beiden Standorte?
An beiden Standorten sind wir durch Partner vertreten, so dass eine ständige Betreuung der Anlagen gewährleistet ist. Wir untersuchen die technische Machbarkeit; es handelt sich ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht um eine großtechnische Anlage. Durch den Betrieb auf einer Insel muss man sich aber bereits in diesem Stadium Gedanken über einen möglichst effizienten Transport von Chemikalien und der gewonnenen Produkte machen. Neben weiteren Faktoren nehmen wir in unserer Marktbetrachtung besonders die Transportkosten ins Visier. Für den Faktor „Insel“ gilt es diese kritisch zu bewerten, falls kein Vor-Ort Einsatz der Sea4Value-Produkte sichergestellt werden kann.
Das Gesamtprojekt klingt zunächst wie eine Win-Win-Situation: Europa wird eigenständiger bei der Versorgung mit Rohstoffen, weniger der stark salzhaltigen Sole gelangt ins Meer, die Trinkwasserausbeute wird erhöht und es eröffnet sich ein völlig neues Geschäftsmodell für Meerwasserentsalzungsanlagen. Gibt es dennoch Hindernisse für die Etablierung der Technologie?
Wo gibt es die nicht? Wir entwickeln ja leider nicht das nächste iPhone, sondern arbeiten in einem Bereich, der für große Teile der Bevölkerung erst allmählich ins Bewusstsein rückt. Der Krieg in der Ukraine, aber auch die immer noch anhaltende Corona-Krise machen vielen jetzt erst deutlich, dass Lieferketten nicht beständig sind und welchen Einfluss diese für die Wirtschaft in Europa haben. Der Sea4Value-Ansatz kann dazu beitragen, Europa mit nachhaltig gewonnenen Rohstoffen zu versorgen. Bis dahin sind aber nicht nur die technischen Herausforderungen in diesem Forschungsprojekt zu lösen, vielmehr muss auch das Interesse von Marktakteuren geweckt und aufrechterhalten werden. Viele unserer Gespräche mit Akteuren laufen aktuell nach dem gleichen Schema ab: Klingt, gut, wie viel könnt ihr uns liefern? Das ist aktuell nicht darstellbar: Wir können (noch) keine sicheren Mengenprognosen liefern, da noch kein finaler Standort für einen Produktionsbetrieb definiert wurde. Außerdem operieren wir immer noch im Bereich der Wasseraufbereitung – ein Thema, das funktionieren soll und muss, dass jenseits der Fachcommunity aber leider wenig Interesse weckt.
Wenn ja, wie könnten diese beseitigt werden bzw. wie kann die Politik helfen?
„Die Politik“ ist da zu allgemein, es sind verschiedenste Handlungsinstanzen am Werk. Die EU-Kommission hat bereits Strategien ins Leben gerufen, wie man eine stabile Rohstoffversorgung schaffen kann. Sea4Value ist da ein kleiner geförderter Baustein, der sicherlich einen Beitrag leisten kann und wird. Wenn man aber von Lieferketten spricht, muss immer irgendwann die Frage gestellt werden: Wo kommt mein Material her und unter welchen Bedingungen wurde es gewonnen/produziert. Das wird noch zu wenig berücksichtigt bei Importen, hier ist oftmals immer noch der Preis das entscheidende Kriterium – auch wenn Unternehmen anfangen umzudenken.
Schon 2008 hat die EU-Kommission mit der Raw materials initiative die Versorgung Europas mit kritischen Rohstoffen als entscheidend für das gute Funktionieren der EU-Wirtschaft eingestuft. 14 Jahre später ist die Abhängigkeit von Importen nicht signifikant reduziert worden. Zukunftstechnologien wie die Elektromobilität steigern diese auf absehbare Zeit noch. Hat die Politik entscheidende Schritte versäumt?
Bestimmt. So wie „der Markt“ immer nur nach der besten Marge Ausschau hält. Die Globalisierung hat uns viele Möglichkeiten eröffnet, Hürden zu überwinden, aber wir sehen tagesaktuell, dass ein globales Handelsnetz mit geringen Lagerkapazitäten und Produktionen „on-demand“ sehr fragil sein kann. Längerfristige Betrachtungen geben Projekten wie Sea4Value sicherlich Gelegenheit, sich als mögliche weitere Säule der Rohstoffgewinnung zu behaupten. Kurzfristig hingegen wird man neue Handelsabkommen abschließen (müssen) und idealerweise dann auch verstärkt darauf achten, sich nachhaltiger und bewusster zu entscheiden, wo Waren herkommen.
In den letzten Monaten häufen sich die Berichte zur Rohstoffgewinnung aus Sekundärquellen bzw. der Förderung / Erschließung von neuen Vorkommen außerhalb Chinas. Das dürfte auch in der Volksrepublik nicht unbeobachtet bleiben: Haben sich chinesische Unternehmen schon bei Ihnen gemeldet?
Ja. Daneben stehen wir auch mit Akteuren aus der Golfregion und aus Australien im Austausch.
Wie sehen die nächsten Schritte bei Sea4Value aus?
Wir werden zunächst unsere technologischen Ansätze weiterentwickeln. Dann folgt der Bau der mobilen Anlage. Dabei stehen wir im ständigen Austausch mit Unternehmen und Multiplikatoren, um unseren Ansatz der Rückgewinnung von kritischen Rohstoffen und einer erhöhten Wassergewinnung von Entsalzungsanlagen im Gespräch zu halten um die Märkte von morgen bedienen zu können.
Wir bedanken uns für das Gespräch.
Weitere Informationen zu diesem Projekt finden Sie hier.
Beitragsbild: iStock/Nuno Valadas