Vergessen Sie die Prognosen!

von | 21. Mrz 2022 - 08:41 | Kutzers Corner

Wir leben in gefährlichen Zeiten. Auch Kapitalanleger sollten die Lage von einer höheren Warte aus betrachten, empfehlen prominente Strategen. Denn die Welt scheint sich derzeit nur in Superlativen fassen zu lassen. Deshalb ist es extrem schwer (und unsicher), die Lage an den Märkten zu beurteilen und daraus Perspektiven zu erkennen. Mehr noch: Wie nie zuvor müssen Wirtschafts- und Börsenprognosen immer öfter neu formuliert und korrigiert werden. Damit verlieren sie für alle Akteure an Wert, obwohl sie als Orientierungshilfen benötigt werden.

Beim Investmentgiganten Allianz Global Investors las ich dieser Tage dazu eine plausible Zusammenfassung: Ein historisches Ereignis jagt das andere. Innerhalb von nur 24 Monaten haben wir die erste Pandemie seit einem Jahrhundert, die tiefste Rezession der jüngsten Geschichte, die höchsten US-Inflationsraten seit 40 Jahren und den schwersten Konflikt in Europa seit Generationen erlebt. Die Meldungen überschlagen sich geradezu. Und man findet kaum noch Muße, die Lage einmal in Ruhe zu betrachten. Nicht zuletzt deshalb übersieht man leicht, dass die „neue Normalität“ alles andere als normal ist. Wie geht es weiter? Vor allem anderen hoffen wir auf Frieden in Europa. Vom humanitären Standpunkt aus handelt es sich um eine herzzerreißende Tragödie. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus könnten Politiker weltweit sich mit den dringenden anstehenden Herausforderungen befassen, wenn Frieden herrschte.

Unerwartete Beschleunigung der Inflationsraten

Die kräftige Inflationsbeschleunigung ist eines der wirtschaftlichen Risiken, das ständig noch an Gewicht gewinnt. Sie betrifft praktisch alle von uns – ob wir nun Lebensmittel einkaufen, unsere Heizkosten bezahlen oder verstehen möchten, wie sich Inflation auf das „reale“ Wachstum, die Lohnentwicklung und die Anlagerenditen auswirkt. Die Preise steigen weltweit, und die geopolitischen Entwicklungen verschärfen die bereits vorhandenen Probleme – u.a. angespannte Arbeitsmärkte und deutlich steigende Wohnkosten – noch. Derzeit rücken die direkten Auswirkungen ins Blickfeld – und die gehen über die jüngsten Ausschläge der Erdgas- und Ölpreise hinaus (Metalle, Getreide). Das heißt: Die Güterpreise, die bereits in der Pandemie nach oben schnellten, könnten hoch bleiben oder weiter ansteigen. Und das ist nicht das einzige Problem. Chinas Null-Covid-Politik könnte die Preise entlang der globalen Lieferketten nach oben treiben, falls Produktionsstandorte und Umschlagzentren wieder in den Lockdown gehen müssten.

Ein Blick auf die jüngsten Inflationszahlen aus den USA zeigt Preissteigerungsraten von historischem Ausmaß: Die Inflationsrate kletterte im Februar 2022 mit 7,9% auf den höchsten Stand seit Januar 1981. Zuletzt wurden insbesondere die Öl- und Gaspreise durch den Krieg zwischen Russland und der Ukraine weiter in die Höhe getrieben. Aber auch die weniger volatilen Preiskomponenten erhöhten sich spürbar, sodass die Kerninflationsrate auf zuletzt 6,4% anstieg und die Zielinflationsrate von 2% deutlich verfehlte.

Höhere Zinsen nicht schlecht für Aktien

Ein schneller Rückgang zur Zielinflationsrate im weiteren Jahresverlauf erscheint zum aktuellen Zeitpunkt unwahrscheinlich. Folgerichtig verkündete die amerikanische Zentralbank die Erhöhung ihres Leitzinses um 0,25 Prozentpunkte. Bis Jahresende sind insgesamt sechs weitere Zinsanhebungen eingepreist, darunter ein großer Zinsschritt von 50 Basispunkten im Juni. Für Anleger stellt sich daher die Frage, welchen Einfluss Zinserhöhungen auf ihr Wertpapierportfolio und insbesondere auf ihr Aktiendepot haben. Anhand historischer Daten für den amerikanischen Aktienmarkt zeigt Allianz Global Investors, dass Zinserhöhungen per se nicht negativ für den Aktienmarkt sein müssen und sich die Wertentwicklungen einzelner Sektoren stark unterscheiden.

Was bringt die neue Woche?

Geopolitische Ereignisse werden weiter die Schlagzeilen an den globalen Finanzmärkten dominieren. Dennoch kommt in den nächsten Tagen ein ganzes Bündel von interessanten Wirtschaftsdaten. Am Montag beispielsweise werden die Daten zur Produzentenpreisinflation in Deutschland, zu den Hauspreisen in Großbritannien und der Konjunkturindex der Chicago Federal Reserve veröffentlicht. Am Mittwoch dreht sich wieder alles um die Inflation: In Deutschland stehen die Importpreise an (zuletzt: +26,9%). In den USA stehen die Hausverkäufe im Februar und die wöchentlichen Berichte zu den Benzin- und Rohöllagerbeständen im Mittelpunkt. Der Freitag wird besonders wichtig, denn es steht der monatliche Ifo-Index für die Geschäftswartungen an – Analysten befürchten eher ein enttäuschend schwaches Ergebnis.

Die technische Situation hat sich verschlechtert; die Trendindikatoren deuten auf eine breit angelegte Verringerung der Dynamik auf Ebene der Leitindizes hin. In einigen Segmenten sind die Aktienkurse um über 20% von ihrem jüngsten Höchststand aus zurückgegangen, was der Definition einer Baisse entspricht. Insbesondere im Euroraum wurden die Aktienmärkte aufgrund der geopolitischen Spannungen durchgeschüttelt. Kurzfristige Anleger haben sich zurückgezogen, institutionelle Anleger scheinen die Kursschwankungen jedoch aussitzen zu wollen.

PS: Eine oft gestellte Prognose sollten Sie allerdings nicht aus dem Auge verlieren – die Märkte werden weiter unsichere, überdurchschnittliche Preisschwankungen aufweisen.

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