USA und China weiter im Fokus

von | 17. Okt 2022 - 09:02 | Kutzers Corner

Die Weltwirtschaft entwickelt sich zunehmend uneinheitlich. Das erschwert die Einschätzung des Konjunktur- und Börsenverlaufs im kommenden Jahr. Um die Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts in den nächsten Monaten abzuschätzen, lohnt ein Blick auf die aktuelle Prognose des Internationalen Währungsfonds. Wie schon in den letzten drei Veröffentlichungen hat der IWF seine globalen BIP-Prognosen nach unten revidiert. In Anbetracht der größtenteils sehr schlechten Frühindikatoren überraschen die Anpassungen nach unten jedoch nicht und sind teilweise noch zu optimistisch. Der IWF bestätigt seine globale BIP-Prognose für dieses Jahr von 3,2 Prozent, senkt sie aber für das kommende Jahr um 0,2 Prozentpunkte auf 2,7 Prozent.

Die Prognosen für 2023

Der IWF geht in seiner jüngsten Weltwirtschaftsprognose für 2023 von einer Stagnation in den USA, China und Europa aus. Unter den Industrieländern ist dort Deutschland mit einer Rezession Schlusslicht. Dennoch konnten Aktien sowohl den Inflations- als auch den Wachstumsschock gut wegstecken. Zwar verbucht der deutsche Leitindex Dax auf Wochensicht ein Minus, aber schon die Bewegung von gut 400 Punkten an einem Handelstag als Reaktion auf die US-Inflation belegt, dass vieles an negativen Erwartungen schon eingepreist ist. Das gilt ebenso für den Devisenmarkt. Hier konnte sich das Pfund trotz der jüngsten Turbulenzen festigen, auch dank der Erholung am britischen Rentenmarkt. Spekulationen auf eine Kehrtwende der britischen Regierung, weg von den massiven Steuersenkungsplänen, haben dabei geholfen. Hingegen bricht der schwache japanische Yen ebenfalls alle Rekorde.

Im Gegensatz zur deutlichen Aufwärtsrevision für Russlands BIP-Prognose, fällt die Revision für Deutschland besonders negativ aus. Im Vergleich zur Juli-Veröffentlichung senkt der IWF seine Prognose um 1,1 Prozentpunkte auf -0,3 Prozent für 2023. Dazu sagen Analysten: Aus unserer Sicht erscheinen die Wachstumserwartungen für das kommende Jahr noch zu optimistisch, da die industrieintensive und exportorientierte deutsche Wirtschaft überproportional stark von den extrem gestiegenen Produktionskosten und einer globalen konjunkturellen Abkühlung betroffen ist. Wir rechnen daher im kommenden Jahr mit einem Rückgang der realen Bruttowertschöpfung in Höhe von 1,4 Prozent. Es muss aber nicht ganz so schlimm kommen.

USA auf Rezessionskurs

In ihrem Fokus „Prognose Update USA: Kurs auf die Rezession“ resümieren namhafte Frankfurter Anlagestrategen: 

  • Die Fed ist entschlossen, die Inflation einzudämmen.
  • Dafür muss die US-Konjunktur gebremst werden. Wahrscheinlich führt das 2023 zu einer milden Rezession.
  • Die Inflation bleibt (zu) hoch.
  • Der Höhenflug des Dollar wird auslaufen.

Die Beschäftigungszahlen für September (ohne den Agrarsektor) bestätigen, was der Markt schon vermutet hatte: Arbeitskräfte sind in den USA nach wie vor ein knappes Gut. Nach einem Zuwachs um 315.000 im August stieg die Beschäftigung im September um 263.000 an, also nach wie vor deutlich stärker als es mit einem langsameren Lohnwachstum und einer stabilen Erwerbsquote vereinbar wäre. Die Erwerbsquote ging um 0,1 Prozentpunkt auf 62,3% zurück. Die Arbeitslosenquote sank im Vergleich zum August um 0,2 Prozentpunkte auf 3,5%, d.h. den Stand vom Juli. Die durchschnittlichen Stundenlöhne stiegen um 0,3% gegenüber dem Vormonat und um 5,0% gegenüber dem Vorjahr an. Zwar ist der Rückgang der Jahresrate um 0,2 Prozentpunkte zu begrüßen, aber im Vormonatsvergleich ist die Dynamik unverändert und stärker als es der Notenbank Federal Reserve lieb sein sollte.

Die besondere Rolle des US-Arbeitsmarkts

Bis zur nächsten Sitzung des Offenmarktausschusses (Federal Open Market Committee, FOMC) am 2. November wird die Fed an aktuellen Arbeitsmarktdaten nur die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung und die Beschäftigungsdaten aus der Vorabschätzung des Markit-Einkaufsmanagerindex und aus dem Index für das verarbeitende Gewerbe des Institute for Supply Management (ISM-Index) geliefert bekommen. In den Fed Funds Futures ist daher ganz zutreffend eingepreist, dass die anstehenden Daten die Fed wohl nicht von einer weiteren Zinsanhebung um 75 Basispunkte abbringen können. Niedriger als erwartete Inflationsdaten könnten in dieser Woche für etwas Unsicherheit sorgen; man bezweifelt jedoch, dass die Fed bei anhaltenden Engpässen am Arbeitsmarkt damit rechnet, dass eine mögliche Inflationsverlangsamung im September von Dauer sein könnte.

Chinas Bevölkerung altert rapide

Und wie sind die längerfristigen Perspektiven für den zweiten Pol auf der Achse der Supermächte? China altert rapide. So verzeichnete die Geburtenrate in China zwischen 2012 und 2021 einen Rückgang um 45 Prozent auf mittlerweile 10,6 Millionen Neugeborene pro Jahr. Die Folge ist, dass die chinesische Bevölkerung schon in diesem Jahr einen Rückgang verzeichnen dürfte. Laut der UN könnte die Bevölkerung Chinas im Jahr 2100 dann sogar von derzeit etwa 1,4 Mrd. Menschen auf unter 800 Millionen Menschen sinken – andere Schätzungen sind sogar deutlich pessimistischer. Die Bevölkerungsentwicklung hat einen direkten Effekt auf das Wirtschaftswachstum, das sich nämlich aus der Summe der Wachstumsrate der Arbeitskräfte und der Produktivität ergibt. Laut der UN wird die Zahl der arbeitsfähigen Bevölkerung in China, also derjenigen zwischen 16 und 64 Jahren, in 2023 um etwa 0,4 Prozent sinken.

Der IWF veröffentlichte jetzt eine Wachstumsprognose für China von 4,4 Prozent in 2023. Das heißt, der IWF unterstellt damit implizit ein Produktivitätswachstum von 4,8 Prozent. Grundsätzlich ist so ein hohes Produktivitätswachstum möglich für eine Volkswirtschaft, die noch stark unterentwickelt ist und sich in einem rapiden Aufholprozess befindet – wie China vor 20 Jahren. China ist jedoch schon eine Volkswirtschaft mit einem hohen mittleren Einkommen geworden und viele Branchen gehören zur Weltspitze, wie die Wind-, Solar- und Autoindustrie belegen. China muss also in Zukunft stärker durch Innovationen und weniger durch Imitationen wachsen. Außerdem werden nicht nur die internationalen Börsianer genau im Auge behalten, wie sich Chinas Innenpolitik weiterentwickelt.

Luft für den Dollar wird dünner

Es gibt zahlreiche Argumente dafür, auch die kurz- bis mittelfristigen Trends der beiden Supermächte im Auge zu behalten – nicht allein deren Größe. Märkte neigen zu Übertreibungen, so dass kurzfristig eine Fortsetzung des Dollar-Anstiegs nicht auszuschließen ist. Die jüngst leicht negative Marktreaktion auf die hohen US-Inflationszahlen deutet jedoch an, dass die Luft für die US-Währung dünner wird. Spätestens wenn ein Ende der Fed-Zinserhöhungen absehbar wird, sollte der Dollar Höhenflug auslaufen. Hilfreich dafür wäre zudem, wenn sich die Ängste insbesondere in Europa legen und die Stimmung an den Finanzmärkten allgemein aufhellt. 2023 dürfte der Euro-Dollar-Kurs wieder klar über der Parität notieren.