Kaufkrafterhalt hat für Privatanleger jetzt Vorrang

von | 10. Jul 2023 - 08:08 | Kutzers Corner

Mutig kaufen, geduldig halten oder vorsichtshalber verkaufen? Das sollte jeder Privatanleger selbst entscheiden – abhängig von seiner Ausgangslage und Zielsetzung. Denn es kann dauern, bis Wirtschaft und Börsen klare Signale liefern.   

Volkswirte und Analysten tun sich momentan schwer (und machen es ihren Kunden nicht leicht), aus den vorherrschenden Chancen und Risiken klare Prognosen abzuleiten. Und so gibt es nach wie vor unterschiedliche Interpretationen der beiden Spannungsfelder – Inflations-/Zinsaussichten und Konjunkturverlauf. Nach dem überraschend positiven ersten Börsenhalbjahr sind die Aussichten für die zweite Hälfte 2023 unentschieden. Fürs erste dürfte sich das auch nicht ändern.

Erfahrungen aus der Vergangenheit

In den jüngsten Analysen der Investmentprofis fallen mir diesmal die Bemühungen auf, aus den Entwicklungen der weiter zurückliegenden Vergangenheit Folgerungen für die Zukunft abzuleiten. Wie kann es an den Aktienmärkten im zweiten Halbjahr weitergehen? Christian Jasperneite, Chief Investment Officer bei M.M.Warburg, weist darauf hin, dass der Dax rein statistisch betrachtet seit 1966 (wie in diesem Jahr) in 20 Fällen eine Wertsteigerung von mindestens 10 % im ersten Halbjahr erzielt. Elfmal kam es dann auch im zweiten Halbjahr zu einer positiven Wertentwicklung, sieben Mal sogar von abermals mehr als 10 %. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Kurse auch in der zweiten Jahreshälfte steigen, liegt beim Dax mit Blick auf die historische Wertentwicklung immerhin bei 60 Prozent. Insofern sind die Aussichten für die kommenden sechs Monate nicht schlecht.

Kursrekorde fundamental zu begründen

Aus fundamentaler Sicht entscheidend wird laut Jasperneite sein, ob eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in den USA vermieden werden kann und ob die technische Rezession bei uns in Deutschland und in der Eurozone enden wird: „Für die Jahre 2023 und 2024 befinden sich die Gewinnerwartungen für den Dax und den Euro Stoxx 50 auf einem Rekordniveau. Insofern ist der zwischenzeitlich erzielte Kursrekord des Dax fundamental durchaus begründbar, da sich die Aktienkurse primär an den Unternehmensgewinnen orientieren. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis, also der Bewertungsmultiplikator, wird entscheidend von der weiteren Zinsentwicklung beeinflusst.“ Da der Inflationshöhepunkt mittlerweile überschritten ist, zeichnet sich aber ein Ende der Zinserhöhungen ab. Allerdings haben sowohl die Federal Reserve als auch die EZB signalisiert, dass sie noch (mindestens) zwei weitere Zinserhöhungen vornehmen wollen. Fazit des Strategen: Kurzfristig liegen nun die traditionell schwachen Sommermonate vor uns, sodass an den Aktienmärkten nach der sehr guten Kursentwicklung seit Jahresbeginn eine vorübergehende Verschnaufpause nicht unwahrscheinlich ist. Mit Blick auf den weiteren Jahresverlauf sollte sich die positive Tendenz dann aber wieder fortsetzen. Dem kann ich nicht widersprechen.

Inflation ist noch nicht besiegt

Hans-Jörg Naumer, Direktor Global Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors, untersucht die Entwicklung von Inflationsraten und Renditen. Die US-Zentralbank Federal Reserve hat zwar zunächst eine Pause bei der Zinserhöhung eingelegt, aber die Europäische Zentralbank (EZB) und auch die Bank of England (BoE) lassen keinen Zweifel: Für sie ist das Ende der Fahnenstange im Kampf gegen die Inflation noch nicht erreicht. Selbst die türkische Zentralbank, die bisher einen ganz eigenen Weg zur Bändigung der Inflation gegangen war, hat die Zinsen angehoben. Gut so. Die „große Rebalancierung“, der Weg zurück zum Gleichgewicht der Weltwirtschaft, findet statt, und die entstandenen Ungleichgewichte entladen sich zuerst in den Preisen.

Kampf gegen Wertverlust geht weiter

Für die Anleger geht derweil der Kampf gegen den Wertverlust weiter, ist Naumer überzeugt: „Zwar wirken die nun wieder positiven Renditen beruhigend, aber Grund zum Ausruhen gibt es keinen. Im Gegenteil. Gemessen an den Realzinsen, also dem, was von den Nominalzinsen nach Abzug der Inflation noch übrigbleibt, hat sich die Lage sogar deutlich verschlechtert.“ Wie langfristig historische Betrachtungen zeigen, sind negative Realzinsen selten, aber leider keine Unbekannten. Wir müssen jedoch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgehen, um ein ähnlich tiefes – negatives – Niveau zu finden. Anders ausgedrückt: Die Renditen sind wieder da, aber die Inflation einberechnet sind sie tiefrot.

Natürlich lässt sich einwenden, dies sei nur eine Momentaufnahme. Die Nominalrenditen sollten langsam zulegen, während der Gipfel der Inflation bereits überschritten zu sein scheint. Es kommt also auf die zukünftige Entwicklung der Inflation an. Hier ist aber kaum ein schnelles Zurück zu den von der EZB angestrebten 2 % im Durchschnitt der Jahre zu erwarten.

Normalisierung der Inflation dauert lange

Auch hier sind die Lehren aus der Vergangenheit hilfreich. Hohe Inflationsraten brauchten lange, um auf niedrige Niveaus zurückzufallen, wie hauseigene Berechnungen ergeben. Dafür wurden die seit 1971 zu beobachtenden Inflationsregime der G7-Staaten sowie weiterer Länder (Dänemark, Hongkong, Neuseeland, Norwegen, Schweden, Schweiz, Singapur) betrachtet. Was sich zeigt ist: Rund zwei Jahre nachdem der Gipfel überschritten wurde, bewegte sich die Inflation im Durchschnitt noch immer auf der Hälfte des Gipfelniveaus. Nach fünf Jahren war sie auf etwas mehr als ein Drittel zurückgegangen. Inflation scheint also nachzuhallen. Doch damit nicht genug. Wichtige Disruptoren (u.a. Folgen von Deglobalisierung und Dekarbonisierung) dürften zumindest zu einem uns latent begleitenden Inflationsdruck beitragen.

Was Anleger jetzt tun können

Die daraus abgeleiteten Empfehlungen des AllianzGI-Strategen: Aus Investorensicht wird damit der Kaufkrafterhalt zur untersten Verteidigungslinie bei der Kapitalanlage. Es liegt nahe, Vermögensklassen, die bei erhöhter Inflation eine positive Realrendite erwarten lassen (also Aktien), bei der langfristigen/strategischen Ausrichtung höher zu gewichten. Aus kurzfristiger/taktischer Sicht erscheint mehr Vorsicht angebracht.  Denn den Aktienmärkten fehlt es auffallend an Marktbreite. Die Kursavancen der letzten Wochen wurden von vergleichsweise wenigen Titeln getragen. Der Technologiesektor dominierte das Marktgeschehen. Auch scheint sich der Markt selbst nicht zu trauen.

Ich bleibe dabei, geschätzte Leser: Wirklich langfristig planende Anleger – darunter verstehe ich einen Zeithorizont von mindestens fünf Jahren – sollten schwerpunktmäßig weiter auf Aktien als Kern eines Portfolios setzen. Drumherum bieten sich andere Anlageklassen an, insbesondere Edelmetalle und andere Rohstoffe.

Ab Frühjahr: Unser Rohstoff-Newsletter

Jetzt schon anmelden und auf dem Laufenden bleiben!

Rohstoff.net Newsletter
Jetzt anmelden und auf dem Laufenden bleiben!

Für den Versand unserer Newsletter nutzen wir rapidmail. Mit Ihrer Anmeldung stimmen Sie zu, dass die eingegebenen Daten an rapidmail übermittelt werden. Beachten Sie bitte auch die AGB und Datenschutzbestimmungen.