Aktien sorgen langfristig für überdurchschnittlich hohe Renditen, Gold fungiert als Sicherheitsspeicher im Portfolio. Das ist längst kein Insiderwissen mehr, sondern hat sich auch bei Privatanlegern herumgesprochen. Doch wird diese anlagestrategische These immer wieder einmal angezweifelt, wenn die Preisentwicklung anders aussieht – besser: auszusehen scheint. Deswegen werde ich gerade jetzt auf das Edelmetall angesprochen, weil man glaubt, das extrem unsichere Umfeld der Börsen müsste eigentlich für mehr Gold-Glanz sorgen. Es lohnt sich somit, die Preisbewegungen mit ihren Hintergründen einmal genauer anzuschauen. In meinem zweitem Beitrag nutze ich eine neue Analyse von Degussa Goldhandel.
Vorab: Preistrends unterliegen nicht nur Gesetzmäßigkeiten, die man aus der Geschichte kennt. Wichtig (und schwer messbar) sind psychologische Einflüsse und Änderungen der Kapitalströme – nicht selten von kurz- bis mittelfristiger Natur. Dazu gehören auch die sensiblen Wechselkurse führender Währungen. Selbst die fundamentalen Veränderungen sind bei Sachwerten wie den Rohstoffen nicht spontan zu erkennen, denn es geht ja um die industriellen Veränderungen von Angebot und Nachfrage.
Edelmetalle nach Kriegsausbruch wieder im Fokus
Sie selbst sollten deshalb versuchen, geschätzte Anleger, eine möglichst weitsichtige Brille aufzusetzen. Virus-Pandemie, Krieg in der Ukraine und unerwartet hohe Inflation sind Entwicklungen mit längerfristigem Charakter. Auch wenn es grotesk klingen mag: Finanzmärkte erleben mitunter so etwas wie den Gewöhnungsfaktor – potenzielle Käufer und Verkäufer reduzieren ihre Aktivität für gewisse Zeit, weil sie sich an die Krisennachrichten gewöhnt haben.
Von 1,7 Prozent im März 2021 über 3,8 Prozent im Juli 2021 bis auf 7,3 Prozent im März 2022 – die Inflation kannte in den vergangenen zwölf Monaten nur eine Richtung. Sie kletterte Schritt für Schritt auf ein Rekordhoch, das zuletzt während des Golfkrieges erreicht wurde. Dieser Vergleich macht die historische Dimension der Teuerungsrate deutlich – und das Ende der Fahnenstange ist wohl noch lange nicht erreicht. Begründung der Edelmetallhändler: Die explodierenden Energiepreise lasten auf den Inflationserwartungen. Und durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dürfen Öl und Gas auch künftig Mangelware bleiben. Viele Analysten gehen davon aus, dass die Inflationsrate schon bald ein zweistelliges Niveau erreicht.
Vor diesem Hintergrund ist es durchaus verwunderlich, wie unauffällig sich der Goldpreis in der jüngeren Vergangenheit entwickelt hat. Zwar gilt Gold als exzellenter Krisen- und Inflationsschutz, doch während das Vermögen der Deutschen durch die negative Realverzinsung inzwischen im Eiltempo entwertet wird, hat Gold den Sprung auf die ganz große Bühne noch nicht geschafft. Und es gibt nicht wenige Marktbeobachter, die sich verwundert die Augen reiben und fragen: Wird Gold seinem Ruf als Inflationsschutz überhaupt noch gerecht?
Die Fakten sprechen für Gold
Achten Sie bei den folgenden Zahlen auf die Preisunterschiede je nach Währung! Im März 2021 stand der Goldpreis bei rund 1.450 Euro. Mitte April 2022 sind es knapp 1.800 Euro und im Vormonat wurde sogar ein neues Allzeithoch in Euro erreicht, der Goldpreis kratzte damals nur knapp an der Marke von 1.900 Euro pro Feinunze. Der Wertzuwachs auf Sicht der letzten zwölf Monate liegt also bei ca. 20 Prozent. Somit hat Gold in Euro die Inflation mehr als ausgeglichen. Und auch in US-Dollar fällt das Zwischenfazit erfreulich aus: Von 1.750 Dollar ging es in den letzten zwölf Monaten auf ca. 1.950 US-Dollar – ein Plus von circa 13 Prozent.
Aber schnelle Gewinne an der Börse
Dennoch haben sogar eingefleischte Gold-Bullen in den letzten Jahren mehr von „ihrem“ Lieblingsmetall erwartet, bestätigt mir die Degussa. Es gibt Berechnungen, wonach der Goldpreis eigentlich bei 2.500 Euro pro Feinunze stehen müsste. Allerdings gibt es auch handfeste Gründe für die vergleichsweise moderate Entwicklung: Bis zur Eskalation der geopolitischen Spannungen zwischen Russland und der Ukraine lag der Fokus der Anleger in erster Linie auf Aktien und Kryptowährungen. Die Corona-Pandemie schien überwunden, die Wirtschaftsaussichten klarten sich auf und die Notenbanken fluteten die Märkte weiter mit billigem Geld – ein ideales Umfeld für schnelle Gewinne an der Börse.
Zudem war im letzten Jahr besonders eindrucksvoll zu beobachten, wie schwer es der Goldpreis hat, charttechnische Hürden zu überwinden, wenn mächtige Gegenspieler am Markt daran kein Interesse haben. So pendelte Gold nach dem Absturz im Juni 2021, als es von 1.900 auf rund 1.750 Dollar bergab ging, monatelang in einer Handelsspanne zwischen 1.780 und 1.850 Dollar. In dieser Zeit war bereits ein kontinuierlicher Anstieg der Inflation zu beobachten, doch Gold reagierte kaum auf diese fundamentalen Rahmendaten, die eigentlich ein gewichtiges Argument für stark steigende Edelmetallpreise wären. Glaubt die Degussa: Aus welcher Richtung derartige Interventionen kommen, um den Goldpreis unter einem „Deckel“ zu halten, wird wohl nie aufgeklärt werden.
Inflation ist kein kurzfristiges Phänomen
Man muss gar keine großen Verschwörungstheorien bemühen, um den Einfluss der Notenbanken auf den Goldpreis zu belegen. Nur ein Beispiel: Sowohl EZB-Chefin Christine Lagarde als auch Fed-Präsident Jerome Powell wurden im Jahr 2021 nicht müde, die Inflation als „vorrübergehendes Phänomen“ zu beschreiben. Und das Wort der obersten Währungshüter hat Gewicht in der Finanzwelt. Die Mehrheit der Anleger folgte dieser Einschätzung und sah keinen Anlass, den „sicheren Hafen“ und Inflationsschutz Gold anzusteuern. Erst als sich die Rhetorik der Notenbanker änderte, erkannten immer mehr Investoren, dass es nun an der Zeit sei, Gewinne aus Aktien und Kryptowährungen ins Trockene zu bringen.
Meine Empfehlungen bleiben: Aktien & Gold
Mein Resümee ist seit langem unverändert: Ich halte an der eingangs genannten strategischen These fest: Aktien für die Rendite, Gold als Sicherheitsspeicher. Mit steigender Unsicherheit (die ich geopolitisch befürchte) macht es demnach Sinn, den Goldanteil im Portfolio zu erhöhen – ungeachtet seiner kurzfristigen Preisentwicklung.