Die richtige Taktik für den Aktienmarkt

von | 13. Feb 2023 - 09:09 | Kutzers Corner

Kurzfristige Taktik vs. langfristige Strategie – die weite Sicht ist für viele Anleger momentan weniger interessant. Zu stark bestimmen die Aussichten auf die nächsten Wochen und Monate die aktuellen Diskussionen. Denn nach der Wende Ende Oktober und dem fulminanten Start ins neue Jahr gehen die Meinungen auseinander, was vom weiteren Verlauf 2023 zu erwarten ist.

Jetzt weiter kaufen, seine Positionen jedenfalls halten oder vorsichtshalber mit Gewinn verkaufen? Diverse Analysten grübeln in diesen Tagen vor allem über den kurz- bis mittelfristigen Timing-Aspekt und kommen zu durchaus unterschiedlichen Empfehlungen. Eine klare Aussage treffen die Vordenker von M.M. Warburg & Co. in einer neuen Studie mit dem Titel: „Krieg, Inflation und Rezession: Warum man trotzdem Aktien nie komplett verkaufen sollte“. Die zunehmend hektische und nicht selten sehr emotionale Berichterstattung über Krisen und Probleme verstärkt bisweilen selbst bei Vollprofis den Reflex, den Aktienmarkt temporär komplett zu verlassen, da eine positive Wertentwicklung in der nahen Zukunft unrealistisch erscheint. Doch gibt es wirklich gute Gründe, den Aktienmarkt temporär komplett zu verlassen? Hier die Begründung.

Kursverluste bereiten Privatanlegern Sorgen

Es ist eine vollkommen menschliche Reaktion: Man beobachtet, wie die Welt unter einer Vielzahl von Problemen und Belastungen leidet und fragt sich, wie unter diesen Voraussetzungen Unternehmen prosperieren und Aktienkurse steigen können. Das führt dann dazu, dass man immer wieder versucht ist, schon bestehende Kursverluste zu begrenzen und weitere befürchtete Kurverluste zu vermeiden, indem Aktien verkauft werden. Das Ganze wird noch dadurch befeuert, dass man von einer überbordenden Berichterstattung über alle möglichen Krisen und Probleme geradezu bombardiert wird, und das nicht selten in Echtzeit. Und wie gut müsste man mit seiner Trefferquote bei den Entscheidungen sein, damit eine solche Strategie überhaupt aufgehen kann?

Studie zum Anlegerverhalten

An Kapitalmärkten lassen sich derartige hypothetische Fragen am besten dadurch beantworten, indem das Verhalten von Investoren simuliert und die Ergebnisse analysiert werden. Genau das haben die Warburg-Analysten vor dem Hintergrund der obigen Frage gemacht. Der „Versuchsaufbau“ sah dabei wie folgt aus: In 10.000 Durchläufen wurde jeweils ein Investor simuliert, der in etwa 75 % der Zeit im MSCI Welt investiert war und in 25% der Zeit in unverzinster Kasse. Transaktionskosten wurden nicht berücksichtigt, und das Investment in den MSCI Welt war ebenfalls kostenfrei. Wenn man nun für die 10.000 generierten möglichen Renditepfade die Sharpe-Ratio sowie die dazu notwendigen Trefferquoten in den taktischen Entscheidungen berechnet, ergibt sich folgendes Bild: Es zeigt sich, dass man eine Trefferquote von fünf bis zehn Prozentpunkten oberhalb der durchschnittlichen Trefferquote benötigt, um im Sharpe-Ratio besser als ein kontinuierliches Vollinvestment abzuschneiden. Das ist extrem ambitioniert, aber immerhin nicht komplett ausgeschlossen, zumal Treffer nicht gleich Treffer ist. Auch mit einer nur marginal überdurchschnittlichen Trefferquote konnte in Ausnahmefällen die Sharpe-Ratio des MSCI Welt geschlagen werden. Und selbst sensationell gute Trefferquoten schützen nicht vor einer Underperformance. Trotzdem lässt sich festhalten, dass unter dem Aspekt einer risikoadjustierten Rendite ein zeitweiliges Markt-Timing immerhin nicht vollkommen aussichtlos erscheint.

Komplette Ausstiege erfahrungsgemäß ein Fehler

Die Untersuchungsergebnisse einfacher formuliert: Der Aktienmarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten so gut entwickelt, dass temporäre komplette „Ausstiege“ in der Summe fast immer ein Fehler waren. Um mit einem aggressiven Markt-timing über sehr lange Zeiträume den Markt schlagen zu können, braucht man fast übermenschliche Fähigkeiten. Das muss nicht bedeuten, dass es keine Berechtigung für eine taktische Allokation gibt. In Zeiten einer globalen Finanzkrise (wie 008/2009) verlangt niemand, seine Aktienquote zwanghaft aufrechtzuerhalten. Und man wäre auch nicht gut beraten gewesen, das zu tun. Tatsächlich wird es immer wieder Momente geben, wo ein vernunftbegabter Investor mit einer reduzierten Aktienquote keinen Fehler begeht. Und wenn letztlich nur die risikoadjustierte Rendite von Relevanz ist und nicht die absolute Rendite, dann kann eine taktische Allokation sogar noch mehr Sinn ergeben. Warburg: „Einen ernsthaften handwerklichen Fehler begeht man aber dann, wenn man (wie hier unterstellt und getestet) anfängt, binäre Entscheidungen zu treffen und entweder zu 100 % oder zu 0 % investiert zu sein. Solche Entscheidungen gleichen letztlich einer Anmaßung von Wissen.“

Kurzfristige Krisen werden überschätzt

Ich stimme den Strategen ausdrücklich zu: Wer über einen langfristigen Anlagehorizont verfügt, sollte auch langfristig anlegen, ohne sich immer wieder zu sehr vom Weltgeschehen ins Bockshorn jagen zu lassen. Stetigkeit ist der beste Garant für langfristigen Erfolg. Man überschätzt regelmäßig den Effekt, der von kurzfristigen Krisen ausgeht. Natürlich führen Krisen zu Kursverlusten (= Bewertungsabschlägen). Aber am Ende werden an Aktienmärkten zukünftige Gewinne gehandelt, und die werden nur zu einem kleineren Teil von aktuellen Krisen getrübt. Märkte erinnern sich an diesen Sachverhalt oft auch schon dann, wenn die Krisen noch gar nicht vorbei sind und starten dann unverhofft die nächste Rally. Das macht das Timing von Märkten so schwer. Und es spricht für einen langen Atem sowie gegen häufige und extreme Veränderungen von Investitionsquoten.

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