Die Renaissance der Rohstoffe

von | 9. Mai 2022 - 08:33 | Kutzers Corner

Heute ist morgen schon gestern. Wortspielereien bringen uns nicht weiter, helfen aber wenigstens beim Verdeutlichen von großen Entwicklungen, die unsere Welt verändern werden. Mega-Trends. Immer intensiver erkennen wir, dass alles zusammenhängt. Die bestehenden Strukturen brechen auf, gewollt oder zwangsläufig. Dass jedermann betroffen ist, wird spätestens mit der Pandemie, der Inflation, der explosionsartigen Verteuerung der Energie und der Verknappung von Lebensmitteln deutlich.

Zusammen mit dem Ukraine-Krieg haben wir es also mit gewaltigen historischen Entwicklungen zu tun. Nur die Aktienkurse spiegeln das (noch) nicht wider. Auf die relative Gelassenheit der Börse sollte man sich jedoch nicht verlassen. So kann sich die aktuelle Schwächeneigung zu einer langanhaltenden Baisse entwickeln – kann. Wer von Ihnen, geschätzte Anleger, sein Portfolio den gefährlichen Umweltbedingungen vorsichtshalber anpassen möchte, hat noch die Gelegenheit dazu. Ob mit dem „Sell-in-May-Argument“ im Rücken oder nicht, spielt eigentlich keine Rolle.

Jetzt kommt es auf die realen Renditen an

Die Inflation ist wieder zurück. Und das in einem Ausmaß, wie es selbst die zuständigen Währungshüter nicht erwartet hatten. Zwar sind die Nominalrenditen in weiten Teilen der Welt gestiegen und liegen jetzt zum überwiegenden Teil wieder über der Nullgrenze. Aber das sind eben nur die nominalen Renditen. Die Inflation wird dabei nicht berücksichtigt. Und das macht einen gewaltigen Unterschied! Entscheidend sind die Realrenditen – also das, was bei der Kapitalanlage übrigbleibt, wenn über den Anlagezeitraum die Inflation an den Erträgen und der Investition nagt. Hier zeigt sich in allen großen Anlageregionen das gleiche Bild: Werden von den aktuellen Anleiherenditen über Laufzeiten von drei Monaten bis 30 Jahren die in der jeweiligen Region vorherrschenden Inflationsraten abgezogen, ergeben sich fast ausschließlich negative Realrenditen.

Zugegeben: Hierbei handelt es sich nur um eine Momentaufnahme, da die aktuellen Inflationsraten auf die unterschiedlichen Anlagezeiträume nicht einfach fortgeschrieben werden können. Es ist kaum anzunehmen, dass die Inflationsraten auf derzeitigen Niveaus verharren. Allerdings, wie schon länger zu erwarten, muss zukünftig wieder mit der Inflation gerechnet werden. Nicht zu vergessen: Die Europäische Zentralbank (EZB) will ohnehin auf Dauer eine Rate von 2 % p. a. erreichen. Gleichzeitig haben sich die Aussichten für die Weltwirtschaft im Strudel der Ukraine-Krise und der immer noch bestehenden Lieferkettenprobleme eingetrübt. Trotzdem, Optimisten unter Volkswirten und Analysten weisen darauf hin, dass die Wachstumsaussichten in vielen Ländern gar nicht so schlecht seien. Insgesamt geht der Kampf um den Kaufkrafterhalt bei der Kapitalanlage im Umfeld steigender Inflationsraten und erhöhter Unsicherheit in die nächste Runde. Der Fokus hat sich „nur“ von negativen Nominal- auf negative Realrenditen verschoben.

Die (geo)politischen Risiken nehmen enorm zu

Eine besondere Rolle spielen die (geo)politischen Gefahren. Prominente Beobachter räumen ein, dass sich diese Unsicherheiten weltweit als „unverändert erhöht“ zeigen. Diese Formulierung trifft es in meinen Augen nicht, weil mittlerweile zu schwach. Zu den damit verbundenen konjunkturellen Risiken kommen die geldpolitischen Unabwägbarkeiten, die mit der Entwicklung der Inflationsraten verknüpft sind. Ähnliches gilt für die Asset Allocation. Denn das aktuelle Umfeld legt betont vorsichtigen Investoren eine taktische Untergewichtung von Aktien nahe. Rohstoffe bieten sich dagegen als Übergewichtung an. Wie die rein historische Betrachtung zeigt, haben in Phasen mit Inflationsraten von unter 6 % im Vorjahresvergleich Aktien und Unternehmensanleihen im Durchschnitt besser abgeschnitten als Staatsanleihen und Bargeld.

Bei aller (unveränderten) Sympathie für die langfristige Aktienanlage kann ich aber auch längere Baissephasen nicht mehr ausschließen, wenn sich die Krisen- und Kriegssignale ausbreiten. Die geopolitischen Risiken und das sich ändernde „Inflationsregime“ verringern den Appetit auf Kapitalanlagen, die eher zyklisch sind, also von der Konjunktur, begünstigt werden. Die Mixtur aus schwächerem Wachstum und höherer Inflation stellt einen Gegenwind für die Bewertung von Aktien dar.

Die Gezeitenwende am Rohstoffmarkt

Die lange vernachlässigten Rohstoffmärkte erleben eine Renaissance von historischem Ausmaß. Investoren aller Art schwenken um. Commodities als eine Urform der Sachwerte lösen die Aktie als Favorit unter den Sachinvestments zwar nicht ab, doch werden sie das unternehmerische Investieren weltweit fördern. Und das mit großem staatlichen Interesse.

Deshalb wächst auch bei Analysten und Anlageberatern das Interesse an Rohstoffen fast täglich. Der breitangelegte Bloomberg Commodity Total Return Index stieg in diesem Jahr um gut 33% an. Vor allem die Energieträger (+81%) waren für die positive Entwicklung verantwortlich. Aber auch die Agrarrohstoffe (25%) und Industriemetalle (12%) waren wichtige Performancetreiber. Noch stärkere Sanktionen gegen Russland wurden verhängt. Auch die EU will jetzt ein schrittweises Öl-Embargo umsetzen. Immerhin ist beim Rohöl eine akute Verknappung erst einmal global nicht abzusehen.

Langfristige Änderungen von Chancen und Risiken

Ich gehe davon aus, dass sich beide Seiten in ihrem Gewicht verändern werden – Chancen und Risiken. Wo und wie, werden wir erst im Laufe der Zeit erkennen. Aber die Weltpolitik wird sich zunehmend mit Rohstoffen auseinandersetzen (müssen), denn sie werden überall benötigt, gleichzeitig werden sie allerdings knapper und teurer. Hinzu kommt, dass viele Rohstoffe in ihrer Förderung/Produktion tendenziell aufwendiger werden. Und der grenzüberschreitende Handel kann öfter als politisches Instrument eingesetzt werden.

Rohstoffe sind eine heterogene und komplizierte Anlageklasse. Auch private Anleger sollten sich darum kümmern!