Die Halbjahresergebnisse der verschiedenen Anlageklassen sind uneinheitlich, teils überraschend erfreulich. So wie die Börsenstimmung. Klare Perspektiven für die kommenden Monate sind aber nicht zu sehen. Professionelle Strategen (hier eine aktuelle Auswahl) geben sich eher skeptisch.
Das erste Halbjahr endete mit soliden Anlageergebnissen, heißt es in einer Zwischenbilanz von Allianz Global Investors (AllianzGI). Was nun? Positive Ergebnisse sicherstellen, obwohl man nicht voll partizipiert hat? Investiert bleiben, in der Hoffnung auf weiter niedrige Volatilität, weil die Angst schon das ganze Jahr mitfliegt? Oder gar nachkaufen im Fall weiter schlechter Wirtschaftsdaten? Empfehlung der Investmentstrategen: „Die Lage bleibt unübersichtlich. Deshalb empfiehlt es sich angeschnallt zu bleiben (bedeutetet Sicherheit ist Trumpf), denn Turbulenzen in Form von negativen Frühindikatoren könnten sich anbahnen.“
Märkte gewöhnen sich an die Krisen
Wie könnte es also weitergehen? AllianzGI beschreibt folgendes Umfeld: Frühindikatoren zur Wirtschaft wie Stimmungsumfragen und Auftragseingänge in der Industrie wackeln am aktuellen Rand. Wieder macht die Angst vor einer Rezession im Winterhalbjahr die Runde. Doch warum schreckt das wenig? Dabei scheint zunehmend der Gewöhnungsfaktor eine Rolle zu spielen. Denn schauen wir uns die Krisen der letzten Jahre an, war in kurzer Zeit fast alles dabei, was Experten an Krisen für denkbar hielten: Von Rezession, über Finanzkrise, schnell steigende Zinsen, Zentralbankfehler, globale Pandemien, Kriegsausbruch, Ölpreisschock, Energiekrise, Inflationsschock, Handelskriege, kriselnde Finanzinstitute, Bankenpleiten, weltpolitische Verwerfungen, Lieferkettenunterbrechungen, Klimaschock, El Nino, Zerfall internationaler Organisationen (Brexit)….nahezu alles bis auf den obligatorischen „Schwarzen Schwan“ kam vor. Unterm Strich: Bis jetzt haben die Märkte das überstanden. Diese Resilienz ist es, die den Glauben an die Machbarkeit der Krise gestärkt hat und für eine gewisse Zuversicht sorgt.
Unternehmen erweisen sich als widerstandsfähig
Das kapitalistische System hat sich erstaunlich widerstandsfähig erwiesen. Allen voran die Unternehmen, die sich in Rekordgeschwindigkeit jeder Situation angepasst haben. Aber auch die Zentralbanken und staatliche Institutionen haben schnell und überwiegend adäquat reagiert. Auch zu nennen die globalen Rohstoffmärkte, die in wenigen Monaten den Ausfall Russlands kompensiert haben. Damit kann uns erstmal wenig erschüttern, die Warnungen vor einer ausgeprägten Rezession erscheinen nicht mehr bedrohlich, sofern man an die Anpassungsfähigkeit des Systems glaubt. Hierin liegt auch eine gewisse Gefahr, dass die Entwicklung verharmlost wird.
Doch die Skepsis bleibt groß
Doch zeigen die aktuellen Umfragen unter Fondsmanagern, dass die Skepsis über die Wachstumserwartungen hoch bleibt, die Gefahren also nicht unterschätzt werden. Aktuell gilt daher die Analogie zum Flugzeug in Turbulenzen: wir erschrecken, wissen aber, dass die Crew und die Maschine so etwas übersteht. Das liegt daran, dass Flugzeuge mit hohen Sicherheitspuffern konstruiert sind. Im Moment sieht das nach der passenden Strategie über den Sommer aus: trotz des flauen Gefühls im Magen eher investiert bleiben und die Unternehmen und Anleihen finden, die sich als krisenfest erwiesen haben und eine Vision für die Zukunft haben. So lehrt die jüngste Geschichte, dass der technologische Fortschritt nicht aufzuhalten ist. Zusätzlich gibt es von der Medizin bis zur Mobilität und erneuerbaren Energien jede Menge Innovationstreiber. Solide und wachsende Dividenden bringen Stabilität. Mit der Eurozone und Japan rücken bisher auf globaler Basis eher unpopuläre Märkte wieder in den Mittelpunkt des Interesses.
Mahnende Töne aus der Schweiz
Der überwiegend erfreulichen Halbzeitbilanz steht ein umso nebliger Blick auf die zweite Jahreshälfte gegenüber, schreibt Swisscanto und fährt fort: Die Aktienmärkte befinden sich in einem schwierigen Fahrwasser. Losgelöst davon, ob die Zinserhöhungen von Fed und EZB bereits einen Peak erreicht haben, dürften die Inflationserwartungen und damit die Zinsen länger als allgemein erwartet auf einem höheren Niveau verbleiben. Auf dem aktuellen relativen wie absoluten Bewertungsniveau liegt es auf der Hand, dass keine Euphorie an den Aktienmärkten vorherrscht, eine vorsichtige Grundhaltung dominiert und das Kurspotenzial nach oben limitiert ist. Gleichzeitig halten sich aber die Rezessionssorgen aufgrund der noch stabilen Wirtschaftsentwicklung in Grenzen beziehungsweise verschieben sich auf der Zeitachse nach hinten. Swisscanto-Fazit: Aus einer reinen Bewertungsoptik spricht einiges für Aktien in der Euro-Zone sowie für den Schweizer Aktienmarkt, der mit dem bekannten defensiven Charakter punkten kann. Auf Titelebene werden Qualitätsaktien aus defensiveren Sektoren bevorzugt.
Differenzierte Meinungen zu den Anlageklassen
Vom Mannheimer ZEW befragte Finanzmarktexperten schätzen die Anlageklassen Kryptowährungen und Immobilien sehr negativ ein. Bezüglich der Immobilienmärkte im Euroraum wird die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank als entscheidender Negativfaktor angesehen. In Bezug auf Staats- und Unternehmensanleihen sind die Befragten der Ansicht, dass die wirtschaftliche Entwicklung und die Inflation leicht positiven Einfluss haben. Bei den Aktien spielen schließlich zwei Faktoren eine gegenläufige Rolle: Interessanterweise wird die Inflation, die für alle Anlageklassen des Euroraums als negativer Faktor angesehen wurde, nun als positiver Faktor betrachtet. Auch die wirtschaftliche Entwicklung wird nun als negativer Faktor für Aktien, aber als positiver Faktor für Staatsanleihen angesehen. Der jüngste Eintritt der deutschen Wirtschaft in die Rezession könnte also dazu geführt haben, dass sich die Bedenken der Finanzmarktexperten von der Inflation auf das Wirtschaftswachstum verlagert haben, was ihren Meinungsumschwung zugunsten von Staatsanleihen und zum Nachteil von Aktien erklärt.
Breitere Aktienanlagen als den Dax empfohlen
Am 1. Juli 1988 – vor nunmehr 35 Jahren – wurde der Dax eingeführt. Seit damals hat der deutsche Leitindex insgesamt rund 1.270 Prozent zugelegt, was einer durchschnittlichen jährlichen Rendite von 7,7 Prozent entspricht. Den Dividenden sei Dank! Ohne sie läge das Plus gerade einmal bei 455 Prozent, die jährliche Rendite „nur“ bei 5 Prozent. Im internationalen Vergleich hat sich der Dax recht gut geschlagen. Der französische Cac 40 und der MSCI World stehen mit jährlichen Gesamtrenditen von 8,3 beziehungsweise 8,2 Prozent aber etwas besser da. Vorausschauend ist dem Dax einiges zuzutrauen, glaubt Deutsche-Bank-Chefstratege Ulrich Stephan: „Behielte er seine jährliche Zuwachsrate bei, stünde er an seinem 70. Geburtstag bei über 210.000 Punkten. Donnerwetter! Auf dem Weg dahin halte ich 17.000 Punkte im Juni 2024 für möglich. Anlegern rate ich jedoch, breitere Anlageziele zu wählen als den Dax, der mit seinen 40 Titeln recht konzentriert und zudem aufgrund seiner vergleichsweise hohen Konjunkturabhängigkeit schwankungsanfälliger als andere Indizes ist.“
Man sollte auch mal zuschauen
Mein Fazit: Aus diesen und anderen Stimmen der Profis sind heute tatsächlich (noch) keine klaren Trends zu erkennen. Ich sehe viele gravierende Probleme gerade für unsere und die europäische Wirtschaft insgesamt. Die Risiken daraus – auch für Aktien! – sind mit Blick auf die zweite Jahreshälfte und 2024 nicht zu unterschätzen. Wenn auch Sie, geschätzte Anleger, ähnlich skeptisch sind, so stellen Sie sich doch zunächst die Frage, ob Sie unbedingt jetzt investieren müssen (oder wollen). Vorübergehend den Börsen nur zuzuschauen, kann eine sinnvolle Alternative sein. Denn vergessen Sie nie: Im Gegensatz zu Angst und Gier ist Geduld ein wichtiger Ratgeber!