Alles dreht sich weiter um die Inflation

von | 11. Apr 2023 - 08:10 | Kutzers Corner

Hellt sich der weltwirtschaftliche Horizont zum Beginn des zweiten Quartals endlich auf? Weit gefehlt. Denn völlig entspannt sind die Finanzmärkte noch nicht.

Gewiss, das erste Vierteljahr ist besser als erwartet verlaufen. Doch blieb die Preisentwicklung stark uneinheitlich. Ein Grund: Die Analysen und Prognosen blieben (wie von mir erwartet) wechselhaft, wurden alle paar Wochen korrigiert. Dabei standen die Maßnahmen und Aussagen der großen Zentralbanken im Mittelpunkt des Interesses der Marktteilnehmer. Die US-Inflation insgesamt wird weiter zurückgehen, aber eine zu hohe Kernteuerung mag Zinssenkungshoffnungen enttäuschen. Aktien haben sich zuletzt aus dem Mix von Inflation- und Konjunktursorgen eher das Positive herausgepickt.

Welche Ursachen liegen den aktuellen Spannungen im Bankensystem zugrunde? Und mit welchen Folgen müssen Anleger in den kommenden Monaten rechnen? Wie komplex die Hintergründe der Fragestellung sind, macht Sean Shepley, Senior Economist bei Allianz Global Investors (AllianzGI) deutlich:

Unsicheres Umfeld in den USA

Die Weichen in Richtung noch restriktiverer Kreditbedingungen dürften bereits gestellt sein. Und wir sollten von weiter steigenden Finanzierungskosten der Banken ausgehen. Dies wiederum wird im Laufe der Zeit zu teureren Krediten für Unternehmen und Haushalte führen. Vor allem in den USA, wo die Regionalbanken eine Schlüsselrolle im gewerblichen Immobiliensektor spielen, ist bestenfalls mit einem sehr mageren Wachstum in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen.

Für Anleger ergeben sich daraus nach Einschätzung von Shepley folgende Ansätze bei der Asset Allokation: Das unsichere Umfeld im Bankensektor verstärkt die allgemeinen Konjunktur- und Anlagerisiken. Insgesamt empfiehlt sich bei Aktien eine vorsichtige Gewichtung, wobei die Eurozone und China zu den bevorzugten Regionen gehören dürften. Mit einer Outperformance von Staatsanleihen der Industriestaaten darf weiterhin gerechnet werden. Die Notenbanken müssen derzeit noch für die Wiederherstellung der Preisstabilität sorgen. Sollte sich allerdings die Erwartung eines schwächeren Wirtschaftswachstums im weiteren Jahresverlauf bestätigen, dürfte sich das Ende des Zinserhöhungszyklus deutlicher abzeichnen.

Zunächst noch weitere Zinserhöhungen

Zwar neigt der US-Dollar in Phasen finanzieller Anspannung dazu, an Stärke zu gewinnen. Doch dürften die mittelfristigen Aussichten für den Kurs Euro/US-Dollar zunehmen. Ohne die Erwartung weiterer signifikanter Zinserhöhungen durch die US-Notenbank ist nach hauseigenen Berechnungen eine anhaltende Aufwertung des Euro auf über 1,10 US-Dollar zunehmend wahrscheinlich.

Benjamin Melman, Global Chief Investment Officer von Edmond de Rothschild Asset Management, erwartet künftig eine restriktivere Kreditvergabe und ein daraus resultierendes erhöhtes Rezessionsrisiko sowie weitere Zuflüsse bei den Geldmarktfonds.

Marktteilnehmer erwartet Zinswende noch 2023

Sowohl die Fed als auch die EZB neigen weiterhin zur Straffung der Geldpolitik. Behalten sich nach ihren jüngsten geldpolitischen Sitzungen jedoch die Möglichkeit vor, abzuwarten. Eine Lockerung der Geldpolitik kommt für sie – insbesondere angesichts des nach wie vor hohen Inflationsdrucks – nicht in Frage. Dennoch rechnet der Markt damit, dass die Fed die Leitzinsen vom kommenden Juni bis Januar um 80 Basispunkte senken wird. Die Anleger halten eine Ausbreitung der Bankenkrise für wahrscheinlich. Die Volatilität der Zinsen, die in den letzten Wochen stark angestiegen waren, dürfte also weiterhin hoch bleiben. Denn die prognostizierte Zinsentwicklung ist angesichts der anhaltend hohen Inflation nicht plausibel.

Verschärfung der Kreditvergabepolitik schürt Rezessionsrisiko

Auch wenn sich die Bankenkrise nicht weiter ausbreitet, erhöht die Verschärfung der Kreditvergabepolitik, die trotzdem folgen dürfte, das Rezessionsrisiko. Dazu schreibt Rothschild Asset Management weiter: „Gegenüber Aktien ziehen wir es daher vor etwas vorsichtiger zu sein. Innerhalb dieser Anlageklasse bevorzugen wir China, das trotz einer unerwartet schwachen Konjunkturerholung und eines nach wie vor instabilen geopolitischen Umfelds von der Unterstützung der Behörden und dem fehlenden Inflationsdruck profitiert. Gleichzeitig favorisieren wir den Gesundheitssektor, der von den aktuellen Problemen nicht betroffen ist und von attraktiven Bewertungen und günstigen Aussichten profitiert.“

Zinssenkungen erst im nächsten Jahr?

Auch Christian Jasperneite, Chief Investment Officer bei M.M. Warburg & CO, warnt vor voreiligen Zinssenkungserwartungen. Vor fast genau einem Jahr nahm die US-Notenbank ihren Kampf mit der Inflation auf. Mitte März 2022 erhöhte sie erstmals ihren Leitzins um 25 Basispunkte und gab damit den Startschuss für den schärfsten Zinserhöhungszyklus seit den 1980er Jahren. Neun Zinserhöhungen später liegt der Leitzins in den USA nicht mehr bei null, sondern bei fast fünf Prozent. Viele andere Zentralbanken aus den Industrieländern beschritten denselben Weg. Mittlerweile zeichnet sich jedoch ab, dass der Inflationshöhepunkt überschritten ist. Aus diesem Grund setzen viele Marktteilnehmer darauf, dass sich die Zeit steigender Zinsen dem Ende nähert.

Obwohl die Kerninflationsrate in den USA erstmals seit der Corona-Pandemie wieder unterhalb des Leitzinses liegt, rechnet Warburg mit einer weiteren Zinserhöhung in Höhe von 25 Basispunkten auf der nächsten FOMC-Sitzung am 3. Mai. Und weiter: „Im Unterschied zu den meisten Marktteilnehmern, die im weiteren Verlauf des Jahres mit bis zu drei Zinssenkungen rechnen, gehen wir davon aus, dass die Fed die Zinsen vorerst unverändert lassen wird. Ähnlich sieht es in der Eurozone aus. Die EZB dürfte ihren Leitzins noch mindestens ein weiteres Mal in diesem Jahr um 25 Basispunkte anheben, vermutlich auf der nächsten Sitzung am 4. Mai. Darüber hinaus ist aus heutiger Sicht eine weitere Erhöhung um 25 Basispunkte am 15. Juni wahrscheinlich, ehe auch die EZB dann für den Rest des Jahres eine Zinspause einlegen dürfte.“

Fazit: Solange es zu keiner Rezession kommt, dürften die meisten Notenbanken in den Industrieländern mit Blick auf die immer noch zu hohen Inflationsraten das Thema Zinssenkungen erst im nächsten Jahr auf die Agenda nehmen. Sobald absehbar ist, dass sich die Preissteigerungsraten, vor allem auch die Kernrate, wieder in Richtung zwei Prozent bewegt, werden die Zinsampeln von gelb auf grün springen. In den USA könnte die Federal Reserve den Leitzins 2024 um rund 200 Basispunkte auf etwa drei Prozent reduzieren, in der Eurozone sind im nächsten Jahr Zinssenkungen zwischen 50 und 100 Basispunkten denkbar.

Nach Ostern: Die Fragezeichen bleiben

Was Sie, geschätzte Anleger, in den nächsten Tagen besonders beachten sollten, betont das Helaba Research in seinem Wochenausblick: Da der Fokus der Finanzmärkte derzeit auf der US-Entwicklung liegt, bekommen sie auch in der Berichtswoche einiges geboten. Denn nach dem Arbeitsmarkt ist vor den Verbraucherpreisen. Die US-Inflation insgesamt wird weiter zurückgehen, aber eine stabil zu hohe Kernteuerung mag manche Zinssenkungshoffnungen enttäuschen. Zudem werden neben den Erzeugerpreisen einige Konjunkturdaten veröffentlicht. Ob aber die Einzelhandelsumsätze, die Industrieproduktion oder das Verbrauchervertrauen ausreichend schwach ausfallen, um die Rezessionserwartungen und damit die Spekulationen auf Zinssenkungen zu füttern, ist mit einem Fragezeichen zu versehen.

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