Zwischenphase oder Zeitenwende

von | 5. Sep 2022 - 08:14 | Kutzers Corner

Erleben wir eine besondere Ära der Weltgeschichte? Vielleicht. In anspruchsvollen Veröffentlichungen und Vorträgen taucht sie häufig auf, die „Welt im Wandel“. Aber ist das nicht selbstverständlich, weil ein Dauerzustand? Zumindest behaupte ich, dass wir erst nach Jahren historisch einordnen können, ob wir uns geopolitisch und wirtschaftlich in einer Zeitenwende befinden oder nur eine Art Zwischenphase.

Die Vordenker des Investment-Giganten Allianz Global Investors haben dazu einen klaren Standpunkt: Zeitenwende überall. Geopolitisch strukturiert sich die Welt neu. Die „Deglobalisierung“ nimmt Gestalt an. Demografisch wächst die Welt zwar weiter, wird dabei aber älter und die Zuwachsraten nehmen ab. Die Babyboomer verabschieden sich in die Rente. Bereits seit 2013 scheiden in den Industriestaaten mehr Menschen aus dem Arbeitsleben aus, als neue hinzutreten. Plötzlich werden Arbeitskräfte knapp, woran nicht zuletzt die jüngsten Arbeitsmarktdaten aus den USA erinnern.

Wird die Inflation anhalten?

Die Inflation – ein lange für tot geglaubtes Gespenst – meldet sich mit lautem Gepolter zurück und zwingt die Zentralbanken der Welt zum Handeln. Ob diese das in Anbetracht der sich abschwächenden Konjunkturdaten wollen oder nicht. Daran hat nicht zuletzt das kürzliche Treffen der Zentralbanken in Jackson Hole erinnert. Von Seiten der US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) aber auch der Europäischen Zentralbank kamen geradezu erstaunlich klare Worte, dass die Inflationsbekämpfung Vorrang sogar vor Wachstumsfragen hat.

Die historisch einmalige Phase negativer (Nominal-)Zinsen kam zu einem abrupten Ende. Dafür sehen sich die Anleger nach Abzug der Inflation jetzt mit tiefroter Realrendite konfrontiert. Und während die aktuellen Konjunkturdaten immer argwöhnischer auf rezessive Tendenzen, ja sogar auf Stagflation abgeklopft werden, entfaltet sich die neue, langfristige Wachstumswelle hin zur klimaneutralen Ökonomie. AllianzGI: „Eine Zeitenwende. Die Verlierer und Gewinner des Dekarbonisierungstrends sortieren sich bereits jetzt. Für die Umstellung auf die treibhausgasneutrale Weltwirtschaft sind der Krieg gegen die Ukraine und die damit verbundenen Lieferengpässe bei Gas geradezu ein Katalysator. Ein Katalysator auch für die Deglobalisierung.“ Wurde diese schon von der Digitalisierung (welche Roboterarbeitsplätze im Inland gegenüber Arbeitsplätzen in Übersee preiswerter werden lässt) und der Brüchigkeit der Lieferketten beschleunigt, so kommen die geopolitischen Spannungen jetzt noch dazu.

Kaufkraft leidet unter anhaltender Teuerung

Noch herrscht in der Fachwelt keine Einigkeit bei der Einschätzung der Inflationsdauer. Auch ich setze noch ein Fragezeichen hinter die These, die Inflation sei gekommen, um zu bleiben. Und auch das sei eine Zeitenwende. Ja, unterstützt von jüngsten Warnungen hochrangiger Notenbanker beiderseits des Atlantiks gehen zahlreiche Experten mittlerweile davon aus, dass die Inflation schon bald über die 10-Prozent-Marke klettern wird. Was ist zu tun? fragen sich die Anleger. Empfiehlt Allianz Global Investors: Dies ist eine gute Zeit, die mittel-/längerfristige Zusammensetzung der Kapitalanlage zu überdenken und auf die Segmente zu setzen, die von der Zeitenwende profitieren.

An Aktien kommt man weiterhin nicht vorbei

Bei niedrigen Nominal- und tiefroten Realrenditen ist es für die Kapitalanlage keine leichte Aufgabe, zumindest die Kaufkraft des Vermögens zu verteidigen. Ohne risikoreichere Anlageformen wie Aktien wird es nicht gehen. Diese haben sich in der Vergangenheit gegenüber der Inflation gut geschlagen. Zu mehr Rendite gehört aber immer auch mehr Risiko. Und die Risiken haben nicht abgenommen: Die Konjunktur bewegt sich auf abschüssigen Pfaden, die Zentralbanken kämpfen gegen die Inflation und dürften, von Ausnahmen wie China abgesehen, die Zinsen weiter anheben. Und natürlich immer wieder die Geopolitik. Es kann andererseits neuer Mut aufkeimen, wenn das dritte Hilfspaket der Bundesregierung zunächst psychologisch und dann tatsächlich bei den Verbrauchern Wirkung zeigen sollte. Beobachten Sie selbst, geschätzte Leser, wie die Reaktion bei den Medien und in der Bevölkerung in den nächsten Tagen ausfällt.

Wie groß wird der kommende EZB-Zinsschritt?

Hinter uns liegt eine tiefrote Woche an den Kapitalmärkten rund um den Globus, befördert durch anhaltende, rekordhohe Inflationsraten. Rezessionssorgen greifen um sich. Nach der Fed scheint nun auch die EZB gewillt, mit „Jumbo-Schritten“ von bis zu 75 Basispunkten sich dem Teuerungsdruck von zuletzt 9,1 % entgegenzustellen und so eine Vertrauenserosion ihrer Geldpolitik zu verhindern. Zumindest preist das der Geldmarkt für die kommende Sitzung ein. Im Ergebnis zeigt sich in der abgelaufenen Handelswoche aber viel Tristesse, Lichtblicke sind derzeit kaum auszumachen, so der Eindruck der Helaba. Die EZB-Sitzung am Donnerstag steht nicht nur bei Bankern und Börsianern im Fokus. Bei dieser Ratssitzung dürfte die EZB den Hauptrefinanzierungs- und den Einlagensatz um jeweils 75 Basispunkte anheben, glaubt auch die Deka-Bank. Zahlreiche Notenbanker zeigten sich zuletzt besorgt nicht nur über die Höhe der Inflation, sondern auch aufgrund des Eindrucks, dass der Preisauftrieb länger anhalten könnte als bislang angenommen. Zeitenwende?

In diesem globalen Umfeld einer weit verbreiteten Inflation, steigender Zinssätze und erhöhter geopolitischer Risiken hat sich der US-Dollar als Gewinner herausgestellt. Obwohl die US-Aktienmärkte volatil waren, finden versierte Anleger gut verwaltete Large- und Midcap-Value-Aktien mit starken Bilanzen und hohen US-Umsätzen attraktiv.

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