Erinnern Sie sich noch an die Aussichten zum Jahresanfang? Allgemein glaubten wir, 2022 werde ein gutes Jahr werden – die Weltwirtschaft wuchs kräftig, die Aktienkurse hatten Rekordhöchststände erreicht, ein Abklingen der Pandemie schien bevorzustehen, und in Europa herrschte Frieden. Das hat sich grundlegend geändert. Der Aktienmarkt befindet sich in einer ausgeprägten Baisse, in der Ukraine rollen Panzer, China hat immer noch mit Omikron zu kämpfen, und die Furcht vor einer Rezession nimmt zu. Nachdenkliche Sätze von Allianz Global Investors (AllianzGI) im wöchentlichen Rück- und Ausblick.
Begründung: Weil sich die Situation so rasch verschlechtert hat, ist der Kontext umso wichtiger. Offensichtlich werden die Zeiten schwieriger – vor allem für europäische Länder, die von Energie aus Russland abhängig sind. Deshalb muss man kein Schwarzmaler sein, um zu behaupten: Wenn Russland seine Gaslieferungen stoppt, ist eine Rezession eventuell unvermeidlich. Und für Russland könnte es umso verführerischer werden, den Hahn zuzudrehen, wenn der Winter naht und der Energiebedarf zunimmt.
Auch Entwicklung in den USA noch ungewiss
Ende vergangener Woche wurde aus Amerika berichtet, es werde vermutet, die Rezession sei bereits eingetreten. Mag sein. Im ersten Quartal 2022 schrumpfte die US-Wirtschaft um 1,6%, und der BIP-Tracker der Atlanta Fed deutet für das zweite Quartal 2022 auf einen Rückgang um 1,2% hin. Falls das zutrifft, erfüllen die USA die „technische Definition“ einer Rezession, also ein negatives Wachstum in zwei aufeinander folgenden Quartalen. Aber in den USA wird eine Rezession etwas anders definiert als in anderen Ländern. Anfang und Ende einer Rezession werden von einer privaten Organisation ermittelt: dem National Bureau of Economic Research (NBER). Das NBER legt anhand verschiedener Faktoren fest, wann der Höhe- bzw. Tiefpunkt eines Zyklus erreicht ist. Zu diesen Faktoren gehören das Lohnwachstum, die Beschäftigung, die Industrieproduktion und die realen Konsumausgaben – und all diese Daten steigen bisher zumeist weiter an.
Langfristig und weltweit hohe Inflation erwartet
Die Informationen und Vorhersagen zum Thema Inflation häufen sich mittlerweile in ungeahnter Weise. Da die Veröffentlichungen hierzu wie kommunizierende Röhren mit Ukraine-Krieg, Energieknappheit und China-Problemen verbunden sind, kann man die Kapitalmarkt-Akteure als überfordert bezeichnen. Klare Trends zu erkennen und danach zu handeln, ist kaum möglich. Jüngste Erhebungen zeigen, dass die erwarteten Teuerungsraten weltweit sehr hoch bleiben. Für das laufende Jahr liegt die erwartete Rate bei durchschnittlich 7,7 Prozent, so eine globale Umfrage im Rahmen des Economic Experts Survey (EES) mit Beteiigung des Ifo-Instituts. „Die Inflation ist weltweit gekommen, um zu bleiben“, sagt einer der Forscher. Auch für die kommenden Jahre sehen die Teilnehmenden hohe Inflationsraten. Für die abgefragten Jahre 2023 und 2026 erwarten sie Inflationsraten von weltweit durchschnittlich 6,2 Prozent und 4,5 Prozent. Das sind zwar Rückgänge im Vergleich zu den Erwartungen für dieses Jahr, doch würden die Raten damit noch deutlich über der von der Weltbank ausgewiesenen Zahl von 2,7 Prozent im Zeitraum 2010 bis 2019 liegen.
Konjunktursorgen belasten Kupferpreis
Und die Folgen für die Märkte? Bei alldem wird leicht übersehen, dass nicht nur Wertpapiere unter dem „Inflations-/Rezessions-Syndrom“ leiden, sondern auch Währungen, Edelmetalle und Industrierohstoffe. Wurde Kupfer an der Londoner Metallbörse (LME) noch Anfang März auf einem Rekordhoch bei 10.845 Dollar je Tonne gehandelt, sank der Preis vergangene Woche bis unter die 7.000 Dollar-Marke. Verantwortlich hierfür sind in erster Linie Konjunktursorgen. Die pandemiebedingten Lockdowns in China im Frühjahr bremsten die dortige Industrie und damit die Nachfrage nach Kupfer aus. Im Falle längerfristig ausbleibender russischer Erdgaslieferungen könnten mehrere Länder der Eurozone in eine Rezession fallen, was an den Märkten in den vergangenen Wochen eingepreist wurde. Allerdings sprechen die Fundamentaldaten nach Analystenmeinung für höhere Kupferpreise. Die weltweiten Kupferlagerbestände betrugen Ende Mai rund 560.000 Tonnen, das sind 31 Prozent weniger als im Vorjahr. Im Juni importierte China mit 538.000 Tonnen so viel Kupfer wie in keinem anderen Monat in diesem Jahr zuvor. Glaubt die Deutsche Bank: Die Nachfrage nach Kupfer dürfte mittelfristig auch aufgrund der Infrastrukturinvestitionen in den Ausbau Erneuerbarer Energien zunehmen. Auf längere Zeit betrachtet dürften Kupferproduzenten davon profitieren.
Wichtige Ereignisse in der neuen Woche
Der Euro jedenfalls ist weiter unter die Räder geraten und mit der Parität erreichte der Euro-Dollar-Kurs einen Meilenstein. Ein temporäres Abrutschen in Richtung 0,95 kann nicht ausgeschlossen werden, glaubt das Research der Helaba. So ist der Euroraum insgesamt wirtschaftlich stärker unter Zugzwang aufgrund der fehlenden Energiesicherheit. Nun kommt auch noch eine Regierungskrise in Italien hinzu. Schlechtes Timing für den Euro. Wenig Erbauliches gibt es zudem von der Weltwirtschaft zu berichten. Das chinesische BIP ist im zweiten Quartal dieses Jahres um 2,6 % gegenüber dem Vorquartal geschrumpft. Vermutlich wird Chinas Regierung ihr Wachstumsziel für das Gesamtjahr nicht halten können, zumal mit wieder steigenden Covid-Fallzahlen erneut Beschränkungen drohen. Hinzu kommt die bestehende Unsicherheit im chinesischen Immobilienmarkt. In der Berichtswoche stehen mit den geldpolitischen Sitzungen der EZB und der Bank of Japan die beiden letzten großen Notenbanken mit einer ausgeprägten Nullzinspolitik im Mittelpunkt. Die EZB hat die Wende zumindest verbal schon eingeleitet. Hält die Bank of Japan als letzte dagegen? Daneben dürften noch die Einkaufsmanager-indizes aus dem Euroraum von Interesse sein.
Was heißt das für Sie, geschätzte Investoren? Ich befürchte: wenig. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir auch in einer Woche nicht viel klarer sehen werden als jetzt. Aber vielleicht ist das zu skeptisch.