Wirtschaft und Börse haben es auch 2023 nicht leicht. Während die Industrie noch tief in der Krise steckt, wächst am Kapitalmarkt seit Oktober die Hoffnung.
Ich habe eine Reihe von Analysen und Vorhersagen zusammengefasst, die in den vergangenen Tagen zum Beginn der Prognosesaison von namhaften Experten vorgelegt worden sind. Unterm Strich machen sie eines deutlich: Das Gesamtbild ist uneinheitlich, bei Aktien und Anleihen inzwischen aber freundlicher als in der Volkswirtschaft insgesamt.
Die deutsche Wirtschaft im Sog der Energiekrise. Die Geschäftserwartungen der Unternehmen für die nächsten zwölf Monate sind im Keller – das zeigt die aktuelle DIHK-Konjunkturumfrage unter bundesweit mehr als 24.000 Betrieben. Noch nie gab es in einer DIHK-Konjunkturumfrage so wenige optimistisch gestimmte Unternehmen wie in diesem Herbst. Zu groß ist die Unsicherheit bei der Energieversorgung und die Angst vor einem Rückgang der Nachfrage aus dem In- und Ausland. Aufgrund der überwiegend negativen Rückmeldungen rechnet der DIHK für 2023 mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um minus 3,0 Prozent.
„Gedämpft-konstruktiver“ Börsenausblick
Eine weitere prominente Erhebung: die DVFA-Monatsfrage. Die DVFA ist der Verband der Investment Professionals. Zum Jahresende sind die Mitglieder traditionell eingeladen, ihre Einschätzung zu zentralen Kapitalmarktindikatoren abzugeben. Ergebnis: „Insgesamt ein gedämpft-konstruktiver Ausblick in einem von Geo-Ökonomie, Geldpolitik und Rezession geprägten Kapitalmarktumfeld“, so das Fazit von Ingo R. Mainert, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der DVFA. Die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihen wird von 53 % der Umfrageteilnehmer Ende 2023 über 2,5 % erwartet. 35 % sehen den Dax zwischen 13.000 und 14.000 Punkten. Dass der Dax das kommende Jahr unter 13.000 Punkten schließt, halten 41 % für realistisch, über 14.000 Punkten sehen den Dax immerhin 24 %.
Das DZ Bank Research blickt verhalten auf das kommende Jahr. Die Analysten erwarten für die Eurozone und die Vereinigten Staaten eine spürbare Rezession, die sich erst ab der zweiten Jahreshälfte entspannen wird. Für Deutschland gehen die Experten von einem Wirtschaftseinbruch in Höhe von minus 1,9 Prozent aus. Weltweit legt das BIP um 1,8 Prozent zu. Die Inflation bleibt in Europa weit über dem EZB-Ziel von 2 Prozent, weshalb die Notenbank ihre Zinswende vorerst mit großen Schritten weiterführen dürfte. Das verleiht den Anleiherenditen Auftrieb und beendet den Anlagenotstand der vergangenen Jahre. Aktien bleiben attraktiv, weil insbesondere Großunternehmen kräftige Gewinne einfahren und mit den historischen Teuerungsraten umgehen können. Für den Dax sagt die DZ 15.000 Punkte voraus.
Vermögensklassen im Vergleich – Aktien weiter vorn
Liquidität, Renten, Aktien, Immobilien und Rohstoffe – welche Anlageklasse wird 2023 wohl am besten abschneiden? Die Nase deutlich vorn haben Aktien mit 47 % vor den Rohstoffen (20 %). Liquidität und Renten liegen fast gleichauf mit jeweils 13 und 14 %. Abgeschlagen ist die Anlageklasse Immobilien, nur 7 % trauen ihr zu, relativ am besten abzuschneiden. Eine große Bandbreite fast gleich wichtig eingestufter Unsicherheiten für 2023. Die insgesamt verhaltenen Prognosen für die Entwicklung 2023 haben auch mit den unsicheren Rahmenbedingungen zu tun. Hier waren Mehrfachnennungen möglich. Rezession (66 %), Energiekrise (59 %), hohe Inflation (58 %), Krieg in Europa (52 %) und steigende Zinsen (35 %) sind Bestandteile des diesjährigen Rankings. Zahlreiche Kommentare nennen den schwelenden Konflikt zwischen China und Taiwan als weiteren Risikofaktor.
„Das Glas ist wieder halb voll“
Was kann man jetzt kaufen? Das Glas ist wieder halb voll. Nach einem turbulenten Herbstbeginn mit wenig Aussicht auf Besserung der wirtschaftlichen Lage oder an den Finanzmärkten gaben die letzten Wochen wieder Grund zu vorsichtigem Optimismus. Einige inflationstreibende Faktoren fallen nicht mehr so schwer ins Gewicht, die Notenbanken steuern mit Zinserhöhungen gegen und die bevorstehende Rezession in Europa dürfte ebenfalls inflationssenkende Wirkung haben. Da die Finanzmärkte mittlerweile diese Entwicklung schon einpreisen, feiern sowohl Europa-Aktien als auch die zuletzt totgeglaubten Anleihen ein Comeback. Dadurch bieten sich wieder bessere Investmentmöglichkeiten, analysiert Christian Nemeth, Chief Investment Officer der Zürcher Kantonalbank Österreich. An den Finanzmärkten hat sich die Stimmung dennoch bereits verbessert. Wir treten nun endlich wieder in eine Phase ein, in der nicht mehr alles nur negativ, sondern das Glas wieder halb voll statt halb leer scheint.
Eines steht schon jetzt fest: Das Kapitalmarktjahr 2022 war von erheblichen Kursverlusten an den Aktien- und Rentenmärkten geprägt. Der russische Angriff auf die Ukraine hat uns – vor allem über die durch ihn ausgelösten dramatischen Energiepreisanstiege – hierzulande sogar zweistellige Inflationsraten beschert, die von der Europäischen Zentralbank EZB aufs schärfste bekämpft werden. Auch die meisten anderen großen Notenbanken straffen ihre Geldpolitik, um die Inflationsgefahren einzudämmen. Viele Industrieländer tauchen wegen der starken Belastungen der Konsumenten und Unternehmen in diesem Winter in Rezessionen mit Ansage ein. Weil die harzigen Inflationsprozesse aus unserer Sicht noch keine klare Aussage zulassen, wann die Notenbanken den letzten Schritt auf ihrer Zinstreppe nach oben gegangen sein werden, bleibt die Unsicherheit an den Kapitalmärkten hoch.
Beim Dax nur kleine Zwischenerholung
Zu den skeptischen Stimmen gehören die Volkswirte der Deka. Ist der Weg schon jetzt frei für eine nachhaltige Erholung? Sie beantworten diese Frage derzeit noch mit „nein“. Die jüngsten Aktienkursanstiege sind vermutlich nur eine kleine Zwischenerholung. Die Weltwirtschaft und damit auch die Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen, die weit über die aktuell ungünstigen Finanzierungsbedingungen hinausgehen. Die Knappheit von Arbeitskräften, die Neuordnung von Lieferketten, die anhaltende Verunsicherung im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und das Leben mit hohen Energiepreisen gehören dazu, um nur einige Punkte zu nennen. Dies sind nicht zuletzt auch Quellen der Unsicherheit für die Notenbanken. Sollte bei den Inflationsraten in den kommenden Monaten nicht der gewünschte Schwenk nach unten in Richtung der Inflationsziele der Notenbanken erfolgen, dann sind noch höhere Leitzinsen denkbar, als wir sie in unsere jüngsten Prognosen aufgenommen haben. Mithin gäbe es weiteres nennenswertes Enttäuschungspotenzial für die Kapitalmärkte. insofern ist es noch zu früh, belastbare positive und weniger schwankungsanfällige Trends an den Märkten auszurufen.
Milde Temperaturen geben Hoffnung
Hoffnung verbreiten dagegen die neuesten Ergebnisse der Sentix Konjunkturindizes. Hier dazu die Headlines:
• Im November überraschen die Sentix Konjunkturindizes auf der positiven Seite. Der Gesamtindex steigt um 7,4 Punkte auf -30,9 Punkte. Lage- und Erwartungswerte verbessern sich beide.
• Eine vergleichbare Entwicklung ist für Deutschland zu vermelden. Hier steigen die Erwartungen auf -32 Punkte, immerhin der beste Wert seit Juni. Hintergrund für diese Entspannungssignale sind der AKW-Kompromiss in Deutschland sowie die milden Oktober-Temperaturen, welche die Gas-Speicher weit über das angestrebte November-Ziel hinaus gefüllt haben.
• Auch international verbessern sich die Indikatoren überwiegend. In den USA trotzt der Arbeitsmarkt nach wie vor der Weltkonjunktur und den Zinserhöhungen der Fed.