Die Inflationsraten sind weltweit auf dem Rückzug. Das hat die Stimmung der Börsianer aber nicht entscheidend verbessert. Von klaren Trends weiterhin keine Spur. Und den Profis fallen Prognosen sichtlich schwer.
An den Finanzmärkten ist es ungemütlicher geworden, heißt es beispielsweise in einem Wochenrückblick. Das hat nicht nur mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA zu tun, die den Investoren aufs Gemüt geschlagen hat. Die Unsicherheit um das Ende der Zinserhöhungszyklen und deren konjunkturelle Auswirkungen, etwaige weiter bestehende Rezessions- und Inflationsrisiken sowie den möglichen Beginn erster Zinssenkungen hält an. Dazu gibt es keine Fortschritte bei der Lösung der geopolitischen und geoökonomischen Probleme. Deshalb mussten Aktien wie Renten in der abgelaufenen Handelswoche unterm Strich kräftige Verluste hinnehmen.
Unterschiedliche Konjunkturperspektiven
Einen Trend, der den Namen verdient, gibt es nicht. Dementsprechend liefern auch die institutionellen Investoren und Vermögensverwalter unterschiedliche Interpretationen der Aussichten und nur verhaltene Prognosen (soweit überhaupt). Das gilt nicht nur für den kurzfristigen Zeithorizont. Relativ deutliche Worte findet Allianz Global Investors: Wir stehen dabei auf der skeptischen Seite und stellen uns auf ein „höher für länger“ ein. Wichtigster Grund: Die Inflation dürfte sich als hartnäckiger erweisen als gemeinhin angenommen. Sicher haben die rückläufigen Energiepreise und die Normalisierung der Lieferketten zu einem nachlassenden Inflationsdruck beigetragen. Sorgen bereiten aber nach wie vor die Kernraten in vielen Ländern, also jener Teil des Warenkorbs, der nicht unmittelbar mit Energie- und Nahrungsmittelpreisen zusammenhängt. Gerade hier gilt es die Inflationserwartungen nachhaltig zu brechen.
Geldpolitik vs. Realwirtschaft
So oder so, eine Geldpolitik, die nahe ihres Hochpunkts im geldpolitischen Zyklus angekommen ist, lässt erwarten, dass sich das Augenmerk wieder stärker auf die realökonomischen Daten verschiebt. Ich teile diese Einschätzung, obwohl wir das Verhalten der Notenbanken nicht unterschätzen dürfen: Liquidität (und damit der Zins als Preis fürs Geld) bleiben der entscheidende Börsenmotor – jedenfalls kurz- bis mittelfristig. Die Frage „Rezession – ja oder nein“ ist dabei noch nicht ausgestanden. Die globalen Einkaufsmanagerindizes für die USA, den Euroraum, das Vereinigte Königreich und China sind zwar alle nach unten geneigt, weisen aber bisher keine rezessive Entwicklung auf Sicht der nächsten Monate aus. Aber die Abschwächung ist da: Der globale Einkaufsmanagerindex zeigt allein für das verarbeitende Gewerbe bereits eine rezessive Tendenz an, die auf das Dienstleistungsgewerbe schnell überspringen kann.
Inflation noch lange über den Zielwerten?
Wenngleich die vorsichtigen Inflationsvorhersagen der Skeptiker gut nachvollziehbar sind, sollte man den Überraschungsfaktor nicht unterschätzen. Denn erfahrungsgemäß kommt es nicht selten zu stärkeren Bewegungen als erwartet nach beiden Seiten. Die Zentralbanken der Industrieländer dürften nicht zu dem Niedrigzinsregime der letzten zehn Jahre zurückkehren, da die Inflation noch lange über ihren Zielwerten liegen könnte – ein Grund, warum internationale Investmentstrategen jetzt wieder interessante Anlagemöglichkeiten in den Emerging Markets sehen, und zwar sowohl in Hartwährungsanleihen als auch in Anleihen in lokaler Währung. Die Schwellenländer dürften jetzt davon profitieren, dass ihre Zentralbanken die Zinsen zum richtigen Zeitpunkt im Jahr 2021 angehoben haben, als die Notenbanken der Industrieländer noch keinen Handlungsbedarf sahen. Positiv steht man nicht nur den asiatischen Märkten gegenüber, sondern rät auch zu Anleihen aus Brasilien, Mexiko und Südafrika.
Schwellenländer-Aktien sind vielversprechend
Schwellenländer-Aktien sind derzeit eine der am stärksten fehlbewerteten Anlageklassen. Diese Meinung vertritt James Donald, Leiter der Emerging Markets-Plattform bei Lazard Asset Management. Die Bewertungen der Titel hätten eines der attraktivsten Niveaus überhaupt erreicht. Der Abschlag gegenüber den Industrieländern dürfte sich schon bald verringern.
„In den letzten 20 Jahren haben sich die Aktien der Schwellenländer weiterentwickelt und bieten immer neue Anlagemöglichkeiten“, sagt Donald. Die Liquidität habe sich erhöht und das Interesse der Anleger sei gestiegen. Die langfristigen Aussichten seien vielversprechend: Demografische Trends und die Urbanisierung würden für langfristigen Rückenwind sorgen, der das Wachstum der Anlageklasse beschleunigen könne. Mit einer wachsenden Mittelschicht entstehe ein Verbraucher, der jünger und zunehmend gebildeter sei, neue Technologien schneller annehme und dessen Konsummuster und Präferenzen sich ständig ändern.
Die Volkswirtschaften der Schwellenländer generieren seit vielen Jahren insgesamt ein höheres reales Wachstum als die Volkswirtschaften der Industrieländer.„Nach dessen starkem Rückgang im Anschluss an die globale Finanzkrise gibt es aktuell gute Gründe, bis mindestens Ende 2024 wieder steigende relative Wachstumsraten zugunsten der Schwellenländer zu erwarten“, erläutert Donald. Es lohne ein Blick auf einzelne Regionen.
Attraktive Beispiele: Indien und Indonesien
So werde Indien aufgrund seiner demografischen Dividende und der Tatsache, dass fast 80 % Prozent der Bevölkerung jünger als 50 Jahre sind, voraussichtlich bis weit in die 2060er-Jahre hinein wachsen. Indonesiens Wachstumsaussichten verbesserten sich ebenfalls angetrieben durch dessen Aufstieg in der Metallwertschöpfungskette, welche bei Erzen beginnt und sich über verarbeitete Metalle bis hin zu Elektrofahrzeugen erstreckt. Dabei verfüge der Subkontinent über viele der Schlüsselmetalle (z.B. Nickel, Kupfer, Bauxit) für die Produktion von Elektroautos. Neben Asien hätten sich die Wachstumsaussichten in Lateinamerika, insbesondere in Brasilien und Mexiko, aufgrund von Nearshoring-Trends und einer Zunahme ausländischer Direktinvestitionen stark verbessert.