Viele Jahrhunderte schon sind Plagiatsvorwürfe ein vieldiskutiertes Thema. Auch die Präsentation des damals noch neuen Rohstoffes Tellur wird 1798 in Berlin von einem Streit um Gedankengut überschattet.
Als der deutsche Chemiker Martin Heinrich Klaproth, Entdecker von Uranium, Zirkonium und Cer, am 25. Januar 1798 an der Akademie der Wissenschaften zu Berlin die Entdeckung des Elements Tellur verkündet, ist die Empörung einiger Wissenschaftler groß – denn Tellur war bereits entdeckt worden.
Zeitachse eines Missverständnisses?
1781. Die Goldausbeute aus den Golderzen der Mariahilf-Grube bei Siebenbürgen im heutigen Transylvanien fällt nicht so ergiebig aus wie erwartet. Der Chemiker Anton von Ruprecht kommt schließlich zu dem Befund, dass das Gold mit reinem Antimon (Spiesglaskönig) verbunden sein müsse. Er fasst seine Ergebnisse in einer Publikation mit dem Titel Ueber den siebenbürgischen gediegenen Spießglanzkönig und ein neues Nagyager Golderz zusammen.
1782. Der österreichische Chemiker und von Ruprechts Lehrer, Baron Franz Joseph Müller von Reichenstein, zweifelt die Ergebnisse seines Schülers an. Er untersucht daher die Erze der Mine erneut. Seine erste Vermutung, dass Siebenbürgener Golderz enthalte geschwefeltes Wismut, verwirft er wieder.
1783. Die Art des Metalls, welches sich in den Golderzen verbirgt, bleibt ein Rätsel. Entsprechend gibt Müller von Reichenstein ihm den Namen metallum problematicum, beziehungsweise aurum problematicum oder aurum paradoxum. Der Chemiker sucht schließlich Rat bei dem Ende des 18. Jahrhunderts hochgeschätzten schwedischen Mineralogen und Chemiker Torben Olof Bergman. Bergman beginnt die Analyse erster Proben, bittet jedoch schriftlich um weitere. Die Sendung erreicht den Schweden jedoch wahrscheinlich zu spät. Bergmann stirbt 1784, zwei Monate nach Versand seines Briefes an Müller von Reichenstein.
1785. Zwei Jahre, vier Publikationen und viele weitere Experimente später gelingt es Müller von Reichenstein nicht, den Rohstoff zu identifizieren oder die Existenz eines neuen Rohstoffes zu beweisen. Die Forschungen zum metallum problematicum kommen zum Erliegen.
1797. Der gefeierte, deutschen Chemiker Martin Heinrich Klaproth wird von Bekannten auf metallum problematicum aufmerksam gemacht. Er lässt sich von Müller von Reichenstein Proben der Erze aus der Mariahilf-Grube schicken. Klaproth gelingt es nun, den unbekannten Rohstoff zu isolieren. Er bestätigt Müller von Reichensteins Vermutung, dass hier ein neues Element vorliegt.
25. Januar 1798. In einem Vortrag an der Akademie der Wissenschaften zu Berlin informiert Klaproth die Öffentlichkeit über den Fund eines neuen Rohstoffes. Er nennt Müller von Reichenstein als den Entdecker, behält sich jedoch das Privileg vor, dem neuen Element einen Namen zu geben. Er wählt Tellur nach der Erde (lat. tellus). “Zur Ausfüllung dieser bisherigen Lücke in der chemischen Mineralogie“ so heißt es im Abdruck seiner Rede über die Chemische Untersuchung der Siebenbürgischen Golderze von 1803 „lege ich hier meine mit diesen kostbaren Erzen angestellten Versuche und Erfahrungen dar, deren Hauptresultat in der Auffindung und Bestätigung eines neuen eigenthümlichen Metalls besteht, welchem ich den von der alten Mutter Erde entlehnten Nahmen Tellurium beylege”
1803: Ein Briefwechsel wider die gelehrte Fehde
Klaproths Verkündung löst in Teilen der wissenschaftlichen Welt Erstaunen und Unmut aus. Schließlich erscheinen erste Plagiatsvorwürfe in einer Reihe ungarischer und deutscher Publikationen. Was war geschehen?
Schon 1789 hatte der ungarische Chemiker Paul Kitaibel im ungarischen Bergbauort Nagybörzsöny die Existenz eines unbekannten Halbmetalls, dort im wasserbleyigen Silber (Wehrlit), festgestellt. Dem Rat von Kollegen folgend hatte er schließlich auch metallum problematicum untersucht und Ähnlichkeiten zwischen den in den Proben befindlichen Metallen festgestellt. Kitaibel hatte dem österreichischen Mineralogen Franz Joseph Estner 1794 ein Manuskript mit seinen Erkenntnissen übergeben. Dieses war 1796 zu Klaproth gelangt und von diesem zu Kenntnis genommen worden.
Klaproth gerät daher in den Verdacht, sich Kitaibels Forschung, die ihm schließlich seit 1796 vorlagen, zu eigen gemacht zu haben. Auf die Anschuldigungen folgt ein Briefwechsel zwischen den beiden Wissenschaftlern, bei dem beide die eigene, wie die Ehre des anderen wahren möchten.
2. September 1803 Klaproth an Kitaibel: „Erst dieser Tagen ist mir von Wielands Neuen Teutschen Merkur das 4. Stück 1803 zu Gesicht gekommen, und finde darin, zu meinem höchsten Erstaunen, unter der Rubrik: Fortgesetzte Nachricht über Ungarns neueste Literatur und Cultur, mich einer an Ihnen begangen haben sollenden Diebstals beschuldigt, nämlich, ich soll Ihnen die Entdeckung des Telluriums geraubt haben!! Sie, theuerster Herr College, werden mit mir einverstanden sein, dass ich zu dieser Beleidigung meiner Ehre und Befleckung meines Charakters durchaus nicht schweigen darf.“
Klaproth beteuert, sich nicht an den Inhalt des Manuskripts mit Kitaibels Aufzeichnungen erinnern zu können. „Allein, auf meiner Ehre, und bei allem, was dem rechtschaffenen Manne heilig ist, versichere ich, dass jener Aufsatz nicht den aller mindesten Einfluss auf meine chemischen Versuche mit dem Tellur gehabt hat.“ Er bittet Kitaibel daher um einen Widerruf.
19. September 1803 Kitaibel an Klaproth: Kitaibel tut sich schwer, zu erkennen, was er widerrufen soll, war Klaproth doch faktisch von Kitaibels Entdeckungen in Kenntnis gesetzt worden. Hinzu kommt die Enttäuschung, vor der Akademie der Wissenschaften zu Berlin fünf Jahre zuvor nicht genannt worden zu sein.
„Ich freute mich hier über umso mehr, da ich nach dem Allen mit Grund hoffen konnte, dass Sie bei der Bekanntmachung Ihrer Untersuchung von meinen Arbeiten eine Erwähnung machen würden. Als ich {im} folgenden Jahr nach Wien kam, las man eben Ihre Entdeckung das Tellurs und Estner äusserte sich: es wundere ihn sehr, dass Sie von meinen Ihnen mitgetheilten Nachrichten gar keine Meldung machten.“
Doch ist Kitaibel bereit, dem Kollegen Glauben zu schenken, dass dieser Kitaibels Ergebnisse vergessen habe und beteuert „Sie werden mich (…) jederzeit bereit finden zu allem, was Ihre Ehre heisst und meine erlaubt: denn ich glaube Ihnen gerne, dass Sie auf dem Inhalt meiner Nachrichten vergassen; dass Sie das Tellur entdeckten ohne von diesen etwas zu wissen, und dass Sie ohnerahtet die Prämissen wahr sind u[nd]zu nachtheiliger Folgerung Anlass geben, unschuldig gekränkt wurden.“
4. Oktober 1803 Klaproth an Kitaibel: Die versöhnliche Haltung der Wissenschaftler setzt sich fort. Hasst doch Klaproth, wie er beteuert, gelehrte Fehden wie die Sünde“. Dazu unterstreicht er, dass er die Entdeckung von Tellur nicht für sich beansprucht, sondern Müller von Reichenstein zuschreibt: „Doch ich muss fast vermuten, das meine vollständige Abhandlung über das Tellur Ihnen nicht zu Gesicht gekommen sei. Unmöglich könnten Sie sonst in dem Irrthume sein, als maasste ich mir die Entdeckung an. Mit keiner Silbe habe ich dieses gesagt; vielmehr habe ich ausdrücklich und namentlich erklärt, dass das Verdienst der Entdeckung dem Hrn. Müller v[on] Reichenstein angehöre. Kann man redlicher das Suum cuique beobachten? Da ich mir nun nirgends die Entdeckung zugeeignet habe, so liegt ja klar am Tage, dass ich auch niemanden diese Ehre geraubt haben könne.“
Überzeugt von Klaproths Aufrichtigkeit veröffentlicht Kitaibel noch im Oktober 1803 eine Erklärung. Diese entlastet Klaproth vom Vorwurf des Plagiats: „Man gieng aber in den Folgerungen weiter, und schloss aus den angeführten Umständen, dass Herr Klaproth mir die Entdeckung des Tellurs abgeborgt habe, was ich hiemit aus folgenden Gründen für höchst ungerecht und falsch erkläre: Fürs Erste ist Herrn Klaproths unbescholtener Charakter Bürge, dass er, der zur Vermehrung seiner grossen Verdienste und seines ausgebreiteten Ruhms keines so elenden Mittels nöthig hat, keiner solchen Handlung fähig war;[…]“
So endet der wohl höflichste Plagiatsstreit der Geschichte. Als Entdecker von Tellur hat sich Müller von Reichenstein in den Geschichtsbüchern verewigt. Es hätte jedoch ebenfalls Paul Kitaibel sein können.
Photo: Christian Rewitzer – CC BY-SA 3.0