Die Energy Watch Group (EWG) hält Klimaneutralität in Deutschland schon bis 2030 für machbar. Die EU geht derweil von 2050 aus. Fakt ist: Der Wandel wird viele Rohstoffe verbrauchen.
Vor wenigen Monaten, im April 2021, hat das Bundesverfassungsgericht die Regelungen des bisherigen deutschen Klimaschutzgesetzes vom Dezember 2019 teilweise gekippt beziehungsweise präzisiert. Seither ist nicht nur klar, dass die Bundesregierung das Gesetz bis spätestens Ende 2021 nachbessern und neue Emissionsziele für die Zeit nach 2030 formulieren muss. Seither ist auch klar: Klimaschutz gewinnt in Deutschland eine immer größere Relevanz; Investitionen in Zukunftstechnologien müssen verstärkt und beschleunigt werden.
Für die weltweiten Rohstoffmärkte bedeutet diese Nachricht vor allem: Die Nachfrage nach vielen Strategischen Metallen wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter steigen. Ob und inwieweit aber auch die Preise für jene Rohstoffe in ähnlich steilen Kurven anziehen, hängt von verschiedenen Markt- und Geopolitischen Entwicklungen ab. Schließlich sind es gerade Technologiemetalle und Seltene Erden, deren Abbau und Verfügbarkeit von nur wenigen Staaten abhängen. So ist China nach wie vor Lieferant für 80 bis 90 Prozent des weltweiten Bedarfs an Strategischen Metallen, darunter beispielsweise Neodym und Terbium, aber auch Gallium und Germanium. Diese werden unter anderem für klimaneutrale Technologien wie Photovoltaik, Windkraft und E-Mobilität gebraucht.
Windkraftausbau ist zentraler Baustein
Interessant in diesem Kontext ist deshalb auch die Frage, ob, wann und wo genau Klimaneutralität überhaupt erreicht werden wird beziehungsweise erreicht werden soll. So machte kürzlich die Energy Watch Group (EWG) mit einer Studie auf sich aufmerksam, die Klimaneutralität ein Deutschland schon bis 2030 als machbar erachtet. Die EWG mit Sitz in Berlin bezeichnet sich selbst als globales unabhängiges Non-Profit-Netzwerk, dem sowohl Wissenschaftler als auch Parlamentarier angehören. Aus dem Deutschen Bundestag beispielsweise gehören mehrere Abgeordnete von SPD und Bündes90/Die Grünen dem Netzwerk an. Ende Mai schreibt die EWG in ihrer Studie: „Innerhalb von nur zehn Jahren kann Deutschland flächendeckend auf eine Energieversorgung umgestellt werden, die vollständig auf Erneuerbaren Energien beruht.“ Allerdings – und auch das schreibt die Studie – könne dies nur gelingen, wenn die Investitionen in Photovoltaik, Windkraft, Bioenergien, Geothermie und Wasserkraft sowie in Speicher, Wärmepumpen im Wärmesektor und Elektrische Antriebe im Verkehr sowie vieler weiterer Technologien bis 2030 massiv ausgebaut werden. Wesentlich sei laut EWG zudem ein dezentraler Ausbau aller Technologien, insbesondere der Windkraft in den südlichen Bundesländern. Die Forderung der EWG: „Die heutigen jährlichen Ausbauraten müssen zum Teil um das bis zu 20ig-fache erhöht werden.“ EWG-Präsident Hans-Josef Fell hält das für plausibel: „Solche exponentiellen Wachstumsgeschwindigkeiten ähneln denen, wie sie in bisherigen Technik- Revolutionen der Weltgeschichte oftmals in nur einer Dekade realisiert wurden: Mondlandung, PC, Internet und Mobilfunk.“
Ob es mit diesen immensen Investitionen und der Klimaneutralität in Deutschland tatsächlich so schnell gehen wird, ist allerdings fraglich. Zumal auch der von der Europäischen Union vor knapp einem Jahr verkündete „Green Deal“ noch reichlich ambitioniert klingt. Im Mai 2020 sagte EU-Präsidenten Ursula von der Leyen: „Heute beginnen wir, die EU bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen. Das Klimagesetz ist das Herzstück des Grünen Deals der EU.“ Inzwischen sind die Prozesse weiter vorangekommen: Am 5. Mai 2021 haben EU-Rat und EU-Parlament eine vorläufige politische Einigung erzielt, „mit der das Ziel einer klimaneutralen EU bis 2050 und die kollektive Zielvorgabe, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 um mindestens 55 Prozent zu senken, rechtlich verankert werden.“
IEA-Chef: „wachsende Diskrepanz“
Je stärker allerdings die EU strengere Klimaziele vorantriebt, desto deutlicher wird auch die Abhängigkeit der Europäischen Union und anderer westlicher Staaten von China. Erst vor wenigen Monaten warnte die Internationale Energiebehörde (IEA) davor, dass Mineralstoffe und Seltene Erden knapp werden könnten. Bei der Vorstellung einer entsprechenden Studie verwies IEA-Chef Fatih Birol auf eine „wachsende Diskrepanz“ zwischen den strenger werdenden Klimazielen sowie der Verfügbarkeit kritischer Mineralstoffe und Seltener Erden. Ignoriere man das, so Birol weiter, könne dies den gesamten globalen Prozess in Richtung sauberer Energien verlangsamen und verteuern und somit letztlich die Anstrengungen im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel behindern.
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