Das Gewicht Chinas für die Weltwirtschaft nimmt weiter zu. Was jahrelang angesichts überdurchschnittlicher Wachstumsraten galt, setzt sich jetzt auch in einer schwächeren Phase fort. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei nicht nur den Konjunkturdaten, sondern auch den wirtschaftspolitischen Reaktionen der Regierung, wie die Zinssenkung Ende vergangener Woche gezeigt hat. Die Entwicklungen im Reich der Mitte strahlen weltweit aus. China gilt immer mehr als Vorbild für andere Schwellenländer.
Keine Überraschung: Die geopolitische Lage bleibt ein wichtiges Thema, und die Kapitalmärkte beobachten die Geldpolitik der Federal Reserve genau – börsentäglich. Darüber hinaus ist auch die Situation in China für die Anleger von Interesse. Ob eine globale Stagflation eintritt, hängt nicht zuletzt vom Konjunkturverlauf in China ab. Kann die chinesische Regierung ihre „dynamische Null-Covid-Politik“ fortsetzen und gleichzeitig die angestrebte Wachstumsrate von rund 5,5% für dieses Jahr erreichen?
Die schwierige Lage für die Zentralbanken
Die Finanzmärkte waren nach Beobachtung führender Investmenthäuser in der abgelaufenen Woche im Risk-Off-Modus, da sich der Schwerpunkt von Inflations- auf Wachstumsängste verlagert hat. Der Ausverkauf am US-Aktienmarkt führte am Mittwoch zu einem Wertverlust von rund 1,5 Milliarden Dollar, und die Stimmung blieb auch weiterhin negativ. Der Markt erkennt nun an, dass eine weiche Landung unwahrscheinlich ist. Es wird für die Zentralbanken schwierig sein, eine politische Reaktion zu wählen, welche die hohe Inflation bekämpft, ohne das Wirtschaftswachstum zu bremsen. Kurzfristig wird die Volatilität wahrscheinlich anhalten, erwartet Allianz Global Investors, da es keinen dritten Weg zwischen zwei gleichermaßen unangenehmen Optionen zu geben scheint, also einer anhaltend hohen Inflation oder einer Rezession.
Chinas Entwicklung ein Unsicherheitsfaktor
Die Auswirkungen der aktuellen chinesischen Entwicklungen auf die Weltwirtschaft und insbesondere auf die Inflationsaussichten sind etwas unklar. Zwar haben sich die langwierigen Unterbrechungen der Lieferkette auf globaler Ebene als inflationär erwiesen, doch würde eine drastische Verlangsamung der chinesischen Nachfrage die Energie- und Metallpreise weltweit belasten, und der schwächer werdende Yuan dürfte ebenfalls einen Abwärtsdruck auf die Inflation weltweit ausüben.
Aber auch wenn die Aussichten für dieses Jahr eher trübe erscheinen – in der Vergangenheit hat Chinas Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte häufig überrascht. Grund dafür ist der große staatliche Sektor, dessen Anteil am chinesischen BIP bei rund 40% liegt und der einspringen kann, wenn es im privaten Sektor hakt. So legte die chinesische Regierung im Jahr 2009 ein Konjunkturpaket mit einem Volumen von 4 Billionen Renminbi für Infrastrukturinvestitionen nach der globalen Finanzkrise des Jahres 2008 auf. Die rasche Steigerung der staatlichen Investitionen und der sprunghafte Anstieg der privaten Immobilieninvestitionen trugen 2009 insgesamt 8 Prozentpunkte zum Gesamtwachstum des BIP bei und glichen die Belastung durch den Außenbeitrag (4 Prozentpunkte) mehr als aus. Jüngstes Beispiel: Die chinesische Zentralbank (PBOC) hat am Freitag die weltweiten Märkte mit einer Zinsentscheidung in gute Stimmung versetzt. Sie schraubte den Zins für Kredite mit fünfjähriger Laufzeit (LPR) stärker als erwartet um 15 Basispunkte auf 4,45 Prozent herunter – das war die größte Senkung seit 2019. Der Zinssatz beeinflusst die Hypotheken in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt und soll Chinas kriselnden Immobilienmarkt unterstützen. aus, die sich durch den Einbruch der weltweiten Nachfrage ergab.
Bedeutende Rolle für viele Rohstoffmärkte
Chinas Wachstumspfad ist für die Schwellenländer und die Weltwirtschaft insofern wichtig, als das Land den größten Beitrag zum Wachstum der Weltwirtschaft leistet. China ist zudem der größte Abnehmer von Rohstoffen und hat damit Einfluss auf die Aussichten für die globalen Rohstoffmärkte und die Preise für wichtige Energieträger und Rohstoffe wie Öl, Kohle, Flüssiggas, Eisenerz, Stahl, Aluminium usw.
Chinas wirtschaftlicher Erfolg hat dazu geführt, dass die Arbeitspreise im Laufe der Zeit erheblich gestiegen sind und dass es auf globaler Ebene nicht mehr der billigste Produktionsstandort ist. Inzwischen hat die Einführung von Handelszöllen die Wettbewerbsfähigkeit Chinas beeinträchtigt und die Pandemie hat die Probleme aufgezeigt, die sich aus einer zu starken Konzentration der Lieferketten auf nur einen Standort ergeben. Infolgedessen beginnt die Weltwirtschaft nun, ihre Abhängigkeit von China zu überwinden und neue Fabriken in anderen Schwellenländern zu errichten. Viele Unternehmen suchen nach neuen Wirtschaftsräumen, in denen sie Produktionszentren für die nächsten zwei Jahrzehnte ausbauen können. Die Länder, die am ehesten von dieser Diversifizierung profitieren können, sind die Schwellenländer der nächsten Generation, auch bekannt als „Frontier Markets“.
Wird Vietnam den gleichen Weg einschlagen?
Vietnam gilt als ein hervorragendes Beispiel für eine Volkswirtschaft, die derzeit dem bekannten Pfad des Wachstums im verarbeitenden Gewerbe beschreitet. Dank steuerlicher Anreize, preiswerter und junger Arbeitskräfte und einer wirksamen Strategie zur Bekämpfung der Pandemie hat das Land erhebliche Investitionen in arbeitsintensive Fertigungsindustrien angezogen. Deshalb glauben internationale Strategen, dass Vietnam das Potenzial hat, einen ähnlichen Weg einzuschlagen und den Erfolg zu wiederholen, den man vor 20 Jahren in China gesehen hat.
Emerging und Frontier Markets sind langfristige Anlageziele
Ob nach wie vor China oder andere Emerging und Frontier Marktes – für private Anleger sind das langfristige Ziele. Seit Jahresbeginn spielen jedoch kurzfristige und spekulative Einflüsse für die Marktentwicklungen der westlichen Börsen die Hauptrolle. Nur ändert das nichts am Grundsatz, dass die Aktienanlage langfristig – über möglichst viele Jahre – ihre überragende Qualität beweist. Wo sonst könnte der Privatanleger durchschnittlich 6 bis 9 Prozent Rendite pro Jahr (!) einfahren, und das trotz zwischenzeitlicher Kursrückschläge und Baisse-Phasen?
Es ist also gerade jetzt eine wichtige Aufgabe für professionelle Börsianer und die Medien, nicht nur einzelne Anlagechancen zu beschreiben und konkrete Tipps zu veröffentlichen, sondern die grundsätzliche Bedeutung von Langfristigkeit und Mischung beim Sachinvestment herauszustellen. Dazu gehört auch die Erfahrung, dass der Anlagezeitraum für die Performance wichtiger ist als der Anlagezeitpunkt. Deshalb sind Aktien- bzw. Aktienfonds-Sparpläne plus Edelmetalle und andere Rohstoffe besonders gut geeignete Instrumente für ein langfristiges Investment, das der (Alters-)Vorsorge dienen soll.