Logistikkrise dauert an

von | 19. Okt 2021 - 13:35 | Markt, Wirtschaft

Über den Versorgungsengpass bei Computerchips, der die Automobilindustrie auch hierzulande belastet, kann man derzeit fast täglich lesen. Doch selbst wenn die überwiegend aus Asien stammenden Bauteile schließlich vorhanden sind, ist der Weg zu den Fabriken in Europa noch ein weiter.

Durch das Auslagern der Warenproduktion in Länder mit vergleichsweise niedrigen Lohnkosten sind die Lieferketten mittlerweile sehr langgestreckt. Sie wurden mit der Zeit immer weiter optimiert, um Waren just-in-time bereitzustellen, ohne durch Zwischenlagerung Kosten zu erzeugen. Dieses genau aufeinander abgestimmte System lässt wenig Spielraum für Abweichungen. Wie störanfällig das internationale Netzwerk ist, rückte spätestens im März dieses Jahres mit der Havarie des Containerschiffs Ever Given im Suezkanal in den Blick der Öffentlichkeit.

Stau im Suezkanal

Längst an das Versprechen „heute bestellt – morgen geliefert“ vieler Onlinehändler gewöhnt, mussten sich Verbraucher und Verbraucherinnen im Frühjahr in Geduld üben. Nachdem die ägyptischen Behörden die unter panamaischer Flagge fahrende Ever Given zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bis Juli festgehalten wurde, erreichte es einige Wochen später Europas größten Hafen in Rotterdam. Sechs Tage lang blockierte die Ever Given den Kanal, hunderte weitere Schiffe konnten infolge die wichtigste Verbindung zwischen Asien und Europa nicht durchqueren. Beladen war das Schiff unter anderem mit Fahrrädern, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung, einem Produkt, das sich genau wie Möbel oder Hometrainer größter Beliebtheit während der Lockdown-Phase der Pandemie erfreute.

Fehlende Container, geschlossene Häfen und zu wenig Personal

Laut Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erfolgen 90 Prozent des internationalen Handels über die Weltmeere. Zentraler Baustein des globalen Netzwerkes sind die Seefrachtcontainer, genormte Großraumbehälter, die den Transport unterschiedlichster Waren ermöglichen, ohne dass diese während der Lieferkette umgeladen werden müssen. China, das Land, das zuerst von der Corona-Pandemie betroffen war, war auch das erste, das sich davon erholen konnte. Die zurückgefahrene Produktion und der Warenexport zogen wieder an.

Das veränderte Konsumverhalten weg von Dienstleistungen hin zu Konsumgütern erhöhte die Nachfrage nach Waren Made in China zudem deutlich. Für deren Transport fehlten in den chinesischen Häfen nun Container, die sich derweil in den Häfen und Warenlagern Europas und den Vereinigten Staaten stapelten. Die Covid-Restriktionen hatten zur Reduzierung des ohnehin knappen Personals in der Logistikkette geführt, wie CNBC berichtet. Dieser Personalmangel hält bis heute an und führt zu Schiffsstaus in vielen Häfen. In der vergangenen Woche warteten beispielsweise über 60 Schiffe vor den Häfen von Los Angeles und dem benachbarten Newport in Kalifornien auf ihre Einfahrt, wie das Wall Street Journal berichtete. Vor der Pandemie war es unüblich, dass mehr als ein Schiff auf einen freien Platz warten musste, zitiert die Zeitung den Chef des Hafens von Los Angeles, Gene Seroka. Übergroße Schiffe wie die Ever Given können 20.000 und mehr Container transportieren, entsprechend groß sind die Auswirkungen, wenn ihre Transportkapazität durch das Warten auf See ausfällt.

Auch in Rotterdam warten Binnenschiffe, die rheinaufwärts den Weitertransport der Waren übernehmen, zum Teil 200 Stunden auf Einfahrt in den Hafen, weil Liegeplätze bevorzugt an Hochseeschiffe vergeben würden, wie der Tagesspiegel kürzlich meldete. Auch in Hamburg ist Situation derart angespannt, dass einige Reedereien auf andere Nordseehäfen wie Wilhelmshaven oder Bremerhaven ansteuern, berichtet der Focus.

Auswirkungen bis Mitte 2022?

Die hohe Nachfrage nach Transportkapazitäten führt unterdessen zu höheren Frachtpreisen. Dem auf die Schifffahrt spezialisierten Beratungsunternehmen Drewry zufolge ist der Preis für den Transport eines Standard 40 Fuß  (12,2 Meter) Containers von Shanghai nach Rotterdam im Vergleich zum Vorjahr um 565 Prozent gestiegen. Die Preise werden früher oder später auch an die Endverbraucher weitergegeben werden.

Eine rasche Beruhigung der gehörig aus dem Tritt geraten Lieferketten ist derzeit nicht absehbar. Die Investmentbank Jefferies rechnet erst Mitte 2022 mit einer spürbaren Verbesserung, so Business Insider. Für die Industrie bedeutet das, dass fehlende Vorprodukte und Rohstoffe weiterhin die Produktion bremsen werden. Nicht überraschend kommt das Bundeswirtschaftsministerium in einem letzte Woche vorgelegten Bericht zu dem Schluss, dass  Lieferengpässe das größte Risiko für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland darstellten.

Für das Weihnachtsgeschäft des Einzelhandels sind dies ebenfalls keine guten Nachrichten, vermutlich werden nicht alle von den Kunden gewünschten Waren in ausreichender Zahl verfügbar sein. Einkaufsmanager berichteten von anhaltenden Schwierigkeiten in der Warenbeschaffung für das letzte Quartal, schreibt der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). Vermutlich wird dies nicht die letzte Episode der Lieferkettenprobleme bleiben, denn in China bahnt sich die nächste Krise an. Die Rationierung von Strom in zahlreichen Provinzen führt dort zu einer Drosselung der Produktion insbesondere von energieintensiven Erzeugnissen. Mit der Rationierung sollen die Emissionen reduziert werden, um die eigenen Klimaziele zu erreichen. Das Land verstromt überwiegend Kohle, deren Preis sich stark erhöht hat.

Der BME ruft seine Mitglieder daher zur Wachsamkeit auf und erwartet weitere Belastungen für die Endverbraucher.

Photo: iStock/Alex_Wang1

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