Wie sollten sich Anleger in politischen Krisen – insbesondere mit internationaler Ausstrahlung – verhalten? Eine alte Frage, die immer wieder neu gestellt werden muss. Und sie ist wichtiger denn je, nicht allein wegen der räumlichen Nähe des Ukraine-Kriegs. Im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung, das seine Wurzeln in den 1980er Jahren hatte, zeigen sich eindrucksvoll und beängstigend zugleich die grenzüberschreitenden Auswirkungen politischer Konflikte auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Deshalb sind für den Kapitalanleger Erfahrungen aus früheren Krisen wichtig, jedoch nur begrenzt nützlich. Denn die parallelen Entwicklungen der wirtschaftlichen Einflussfaktoren haben alles in allem ein größeres Gewicht.
In diese Richtung geht auch eine aktuelle Untersuchung von Allianz Global Investors. Was bedeutet der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine für die Anleger? Um diese Frage beantworten zu können, haben die Investmentstrategen 13 geopolitische Krisen seit 1953 analysiert. Fazit: Tendenziell hängt die Entwicklung an den Märkten eher von zugrundeliegenden wirtschaftlichen Faktoren als von geopolitischen Ereignissen ab. Daher die zusammenfassende Empfehlung: „Behalten Sie als Anleger den Ölpreis, die Inflation und die Zentralbankpolitik im Auge.“
Für Aktien zunächst noch vorsichtig
Klar, dass auch eine bekannte, alte „Börsenweisheit“ kritisch unter die Lupe genommen wurde: „Kaufen, wenn die Kanonen donnern …“ Doch konnten in der Analyse von 13 geopolitischen Krisen keine Belege gefunden werden. Manchmal, aber nicht immer sind die Aktienkurse nach dem Ausbruch globaler Krisen angestiegen, und zuweilen mussten „sichere“ Vermögenswerte Verluste hinnehmen. Die Wertentwicklung hing aber in aller Regel stärker von Faktoren ab, die nichts mit der Krise zu tun hatten. Aktuell sollten die Anleger weiterhin die Inflationsentwicklung im Blick behalten: Steigende Ölpreise wirken inflationstreibend, und die Zentralbanken wollen die Inflation unter Kontrolle halten. Allianz Global Investors bleibt in Bezug auf Aktien vorerst vorsichtig: Die Märkte haben sich über Jahre hinweg gut entwickelt, und die Ukrainekrise könnte in den kommenden Wochen zu weiteren Kursverlusten führen.
Rund um die Welt wurde vergleichsweise einmütig auf Russlands Invasion der Ukraine reagiert: Es handelt sich um einen Verstoß gegen internationales Recht, eine ernsthafte Bedrohung der globalen Sicherheit und eine humanitäre Katastrophe. Aus Anlegersicht ist das Bild jedoch nicht ganz so klar. Alle neuen Entwicklungen scheinen sich auf den Ölpreis auszuwirken, die Finanzmärkte in Turbulenzen zu stürzen und den Inflationsausblick unklarer zu gestalten.
Mehrheitlich andere Faktoren ausschlaggebend
Wie haben die Märkte auf 13 Krisen in der jüngeren Vergangenheit reagiert? Die Studie lässt keine eindeutigen Schlüsse darauf zu, wie sich globale Krisen auf Aktien, Anleihen, Rohstoffe oder Währungen auswirken. Manchmal haben sich die Märkte rasch und kräftig erholt, manchmal aber auch nicht. Nach den beiden Irak-Kriegen stiegen die Kurse an den Märkten recht deutlich an. Allerdings wurde diese Erholung von anderen Faktoren getrieben, nämlich dem nahenden Ende einer Rezession (1991) bzw. der Erholung nach dem Platzen der Technologieblase (2002 – 2003).
Nach dem Einmarsch Russlands in Georgien im Jahr 2008 standen die Märkte massiv unter Druck, was aber wohl eher auf die globale Finanzkrise als auf die politische Krise zurückzuführen war. In zahlreichen anderen Fällen kam es nicht zu spektakulären Kursausschlägen an den Aktienmärkten. Insgesamt haben Aktien im Durchschnitt nach dem Ausbruch globaler Krisen etwas besser abgeschnitten. Gleichzeitig notierten „sichere Häfen“ wie US-Treasuries im Durchschnitt in der Vergangenheit etwas schwächer und ihre Renditen stiegen an. Noch einmal wird betont: Es spricht nichts dafür zu kaufen, „wenn die Kanonen donnern“. Kauf- oder Verkaufsentscheidungen sollten eher mit Blick auf den Gesamtzustand der Wirtschaft und den Ausblick für einzelne Sektoren sowie für die Gewinnentwicklung getroffen werden.
Keine Panik an der Wall Street
Die Russland-Ukraine-Krise hat bisher an den wichtigsten Märkten keine Panik ausgelöst. Der sogenannte „Angstindex“, also der amerikanische Volatilitätsindex VIX, liegt derzeit bei etwa 35, und damit deutlich über seinem langfristigen Durchschnitt (ca. 20), aber weit entfernt von den Extremwerten der jüngeren Vergangenheit (über 50). Auch wenn die Anleger die Märkte als volatil empfinden – faktisch waren die Kursbewegungen seit dem Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen der Ukraine und Russland vergleichsweise moderat. Der S&P 500 hat zwar gegenüber seinem Höchststand vom Jahresbeginn über 10% verloren, aber im historischen Vergleich sind die US-Aktienbewertungen immer noch recht hoch. In Europa fiel der Kursrückgang zudem geringer aus, und in den Schwellenländern – natürlich mit Ausnahme Russlands – haben sich die Kurse nicht nennenswert bewegt.
Bei den Ölpreisen ergibt sich ein anderes Bild. Die Energiepreise sind deutlich angestiegen. Sowohl West Texas Intermediate (WTI) als auch Brent Blend sind derzeit mit über 100 US-Dollar doppelt so teuer wie vor zwei Jahren. Dies dürfte durchaus Spuren bei den Wachstumsraten hinterlassen. In der Vergangenheit hat eine Verdoppelung der Ölpreise innerhalb von zwei Jahren mehrfach zu einer Rezession geführt. Vor diesem Hintergrund stellt sich durchaus die Frage, ob die Zentralbanken (und insbesondere die US-Notenbank Federal Reserve) die angekündigte Normalisierung der Geldpolitik verschieben oder sogar ganz aussetzen werden. Allianz Global Investors: Wir halten dies vor allem aufgrund des Inflationsausblicks nicht für wahrscheinlich. Wegen des Ölpreisanstiegs dürfte sich die Inflation stärker beschleunigen als zuvor erwartet.
Und darin sehe ich volkswirtschaftlich – und für das Börsengeschehen – die größte Gefahr. Denn das betrifft alle, Unternehmen und private Haushalte, ist mitentscheidend für Konjunktur und Zinsen. Deshalb sollten Sie sich auf höchst unsicherere Zeiten einstellen, geschätzte Anleger – nicht nur wegen der geopolitischen Entwicklungen.