Die indonesische Regierung geht drastische Wege, um dem steigenden Wasser zu entkommen und verlegt den kompletten Regierungssitz.
Zahlreiche Megastädte rund um die Welt liegen am Meer, von New York City über Lagos bis hin zu Tokio. So auch Indonesiens Hauptstadt Jakarta auf der Insel Java – an der gleichnamigen Javasee. Die Megacity mit über zehn Millionen Einwohnern, beziehungsweise über 34 Millionen in der Metropolregion, ist eine der am schnellsten sinkenden Städte der Welt. Laut Wissenschaftlern wird bis zum Jahr 2050 circa 95 Prozent von Nord-Jakarta überflutet sein. Auch der Rest der indonesischen Millionenstadt sinkt, jedoch nicht im gleichen Maße wie der an der Küste gelegene nördliche Teil. Während der Norden um circa 25 Zentimeter pro Jahr sinkt, sind es in anderen Stadtteilen nur wenige Zentimeter. Auch andere Großstädte haben mit dem Absinken zu kämpfen, in Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam etwa sind es jährlich einige Zentimeter. Hervorzuheben ist außerdem Japans Hauptstadt Tokio. Diese sank bis in die 1960er Jahre um vier Meter ab, bevor das Abpumpen des Grundwassers verboten wurde.
Warum sinkt Jakarta?
Die Gründe für Jakartas Absinken sind mehrschichtig. Auf der einen Seite stehen der Klimawandel und damit verbundene steigende Meeresspiegel. Da Jakarta im Durchschnitt nur acht Meter über dem Meeresspiegel liegt, sind die Metropole und ihre zehn Millionen Einwohner damit unmittelbar von dem Ansteigen der Weltmeere bedroht. Auf der anderen Seite steht die stetig wachsende Bevölkerung der Stadt und der damit verbundene Bedarf an Wasser. In der Metropole leben heute doppelt so viele Menschen wie noch im Jahr 1975, mit dramatischen Folgen: Grünflächen, Wälder und andere Sickerflächen wurden versiegelt und zu Wohnquartieren umfunktioniert. Das Wasser der jährlichen Monsunregenfälle hat somit nur noch einen Bruchteil der Fläche, um wieder zu verschwinden. Gleichzeitig brauchen mehr Bewohner auch mehr Trinkwasser.
Da Dreiviertel der Einwohner Jakartas aufgrund der fehlenden Infrastruktur keinen Wasseranschluss haben, sind sie auf Tankwagen und andere Wege angewiesen, um an sauberes Wasser zu kommen. Dazu zählen auch illegale Brunnen zum Grundwasser. Das unkontrollierte Abpumpen des Grundwassers lässt den sumpfigen Untergrund, auf dem Jakarta steht, porös und instabil werden. Der Boden kann die Last von Beton und Gebäuden nicht halten und gibt nach. Regelmäßig werden daher Teile der indonesischen Hauptstadt durch das Meer oder starken Monsunregen überschwemmt. 2007 standen beispielsweise 70 Prozent der Stadt unter Wasser.
Was tun Jakarta und seine Einwohner dagegen?
Pragmatische Lösungen wie Dämme und Mauern gegen die steigenden Wasserspiegel helfen nur bedingt. Mehrmals wurde die meterdicke Wand bereits ausgebaut, zuletzt mit der größten Erhöhung 2017. Aber auch das ist langfristig keine Lösung, Jakarta wurde in den letzten Jahren dennoch jährlich überflutet. 2020 standen 10.000 Häuser unter Wasser. 2021 stand das Wasser bis zu einem Meter hoch und verursachte erhebliche Schäden an Gebäuden. Auch zuletzt 2022 waren tausende Menschen gezwungen, ihre Häuser vorübergehend zu verlassen.
Indonesiens Regierung unter Präsident Joko Widodo hatte daher 2019 drastische Pläne bekannt gegeben. Widodo, genannt Jokowi, kündigte damals an, Jakarta als Regierungssitz aufzugeben und zu verlegen. 1.200 Kilometer entfernt in den indonesischen Teil der Insel Borneo, welche in Indonesien Kalimantan genannt wird. Anfang 2022 stimmte schließlich das Parlament den Plänen zu. Bereits 2024 sollen die ersten Behörden in die neu gegründete Planstadt Nusantara umziehen. Geplant ist, die für zwei Millionen Einwohner konzipierte Stadt 2045 fertig zu stellen.
Ein zweischneidiges Schwert
Der Standort Nusantaras soll zwei strategische Ziele miteinander verknüpfen. Borneo ist weniger von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Tsunamis bedroht als Java und bietet somit eine langfristige Alternative zu Jakarta. Der zweite nicht zu verachtende Aspekt ist die Verlagerung der Machtzentrale von Java nach Borneo. Java ist die bevölkerungsreichste der vier Hauptinseln Indonesiens mit rund 56 Prozent der Landesbevölkerung und 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Durch seine Vormachtstellung innerhalb des Landes dominiert Java die indonesische Kultur und Identität. In einem Archipel-Staat mit knapp 360 verschiedenen Völkern ist jedoch eine Balance zwischen einzelnen Regionen und Volksgruppen wichtig. Nusantara entsteht in der Nähe des geografischen Zentrums Indonesiens und erhält damit einen einenden Charakter.
Damit Nusantara allerdings überhaupt entstehen kann, werden über 6.000 Hektar Dschungel abgeholzt. Genau dieser Urwald auf Borneo ist die Heimat von Orang-Utans und anderen, vom Aussterben bedrohter Tiere. Orang-Utans leben weltweit nur noch auf Sumatra und Borneo und sind durch Abholzungen und illegalen Wildtierhandel stark gefährdet. Gleichzeitig betont Widodo jedoch die Nachhaltigkeit des Mega-Projekts. Millionen Setzlinge sollen gepflanzt werden, um 75 Prozent der Stadt zu begrünen. Generell ist die Stadt im Zeichen von Nachhaltigkeit geplant: Innerhalb Nusantaras soll alles fußläufig zu erreichen und dank der neu aufgeforsteten Bepflanzung grün sein.
Außerdem wird die Stadt Widodo zufolge komplett von erneuerbaren Energien versorgt werden. Dank Wasser-, Wind- und Solarenergie soll Nusantara schon in wenigen Jahrzehnten klimaneutral sein; ein gewaltiger Staudamm ist bereits im Bau. Zudem ist der öffentliche Nahverkehr nach offiziellen Angaben hochmodern geplant, Widodo spricht von autonom fahrenden Fahrzeugen und zentralen Verkehrsknotenpunkten. Zukunftspläne wie Hyundais fliegende Autos, die 2024 in Nusantara getestet werden sollen, sind derzeit jedenfalls nicht mehr als Pläne. Laut Widodo werden Verbrennungsmotoren in Nusantara darüber hinaus nicht erlaubt sein, sondern ausschließlich Elektroautos.
Indonesiens Weg durch den Dschungel des Klimawandels
Indonesien setzt sich seit geraumer Zeit dafür ein, den Ausbau von Erneuerbaren Energien und Elektromobilität voranzutreiben, und wirbt für internationale Investitionen in die Archipel-Nation. Erst kürzlich unterstrich Bundeskanzler Olaf Scholz die Bedeutung Indonesiens für Deutschland, gefolgt von der Verkündung eines gemeinsamen Ausschusses für Wirtschaft und Investitionen durch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seinem indonesischen Amtskollegen Airlangga Hartarto. Indonesien hat bereits 2021 das Ziel angekündigt, bis 2060 komplett klimaneutral zu werden. Maßnahmen, um dies zu erreichen, sind beispielsweise die Einführung des Emissionshandels für die Industrie. Hierbei kritisiert der Wirtschaftsexperte der Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing GTAI Niklas Mahlke jedoch den zu niedrig angesetzten Preis pro Tonne Kohlendioxid. Außerdem seien die mangelnden Sanktionierungen von klimaschädlichen und fehlenden staatlichen Förderungen für klimaneutrale Projekte einschneidende Hürden für das ambitionierte Ziel. Sollte Nusantara jedoch tatsächlich so grün entstehen wie geplant, könnte die Planstadt eine Signalwirkung für das gesamte Land haben.
In der Zwischenzeit bleibt die Frage, wie es mit Jakarta weiter geht. Der Bau Nusantaras verlagert zwar den sinkenden Regierungssitz und damit die Machtzentrale näher an die geografische Mitte des Landes, was aber Jakartas 33 Millionen Einwohner in der Metropolregion machen, bleibt ungelöst.
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