Die letzte Septemberwoche hat bestätigt, dass die wirtschaftlichen und politischen Probleme noch zunehmen. Das sind keine günstigen Voraussetzungen für das finale Quartal 2022. Die weitere Eskalation im Ukraine-Krieg hat direkte ökonomische und militärische Folgen, wird für die Regierungen Europas kaum mehr beherrschbar. Ein Blick auf die jüngsten volkswirtschaftlichen Zahlen macht zudem deutlich, warum sich auch die Finanzmärkte in einer unsicher-schwachen Verfassung präsentieren.
Ein zentrales Thema, das inzwischen die ganze Bevölkerung bewegt: die Inflation. Das Auslaufen von Tankrabatt und 9-Euro-Ticket hat im September die Inflationsrate in Deutschland noch einmal kräftig ansteigen lassen. Nach 7,9 Prozent im August kletterte die Teuerungsrate nun auf 10,0 Prozent. Damit ist die Geldentwertung zum ersten Mal seit 1951 wieder zweistellig. Neben den Energiepreisen sorgen derzeit vor allem die Nahrungsmittelpreise für Teuerungsdruck. Insbesondere da diese beim täglichen Einkauf im Fokus stehen, sorgt die hohe Inflationsrate bei den Verbrauchern für eine enorme Verunsicherung. Die daraus resultierende Kaufzurückhaltung wird den privaten Konsum in den kommenden Monaten empfindliche schwächen – zumal bei der Teuerungsentwicklung das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist. Von Seiten der Wirtschaftspolitik ist schnelle und unbürokratische Hilfe vor allem für Haushalte mit niedrigeren Einkommen sowie kleine und mittlere Unternehmen mit hohe Energieabhängigkeit gefordert. Die Regierung muss nun alles dafür tun, um soziale Härten und damit gesellschaftliche Verwerfungen zu vermeiden.
Krise durch drastische Verteuerung der Energie
Die krisenhafte Zuspitzung auf den Gasmärkten belastet die deutsche Wirtschaft schwer, stellen die Forschungsinstitute in ihrer Herbstdiagnose fest. Die stark gestiegenen Gaspreise erhöhen die Energiekosten drastisch und gehen mit einem massiven gesamtwirtschaftlichen Kaufkraftentzug einher. Trotz eines Rückgangs in der zweiten Jahreshälfte dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 1,4 Prozent ausgeweitet werden. Für das kommende Jahr erwarten die Institute für das Bruttoinlandsprodukt im Anstieg Jahresdurchschnitt einen Rückgang um 0,4 Prozent, für das Jahr 2024 einen um 1,9 Prozent. Die Institute halbieren damit annähernd ihre im Frühjahr aufgestellte Prognose für dieses Jahr. Für das kommende Jahr senken sie ihre Prognose von 3,1 Prozent auf -0,4 Prozent. In dieser Revision zeigt sich das Ausmaß der Energiekrise. So fällt die Wirtschaftsleistung im laufenden und kommenden Jahr insgesamt um 160 Mrd. Euro niedriger aus als noch im Frühjahr zu erwarten war. Die Inflationsrate dürfte sich in den kommenden Monaten weiter erhöhen. Jahresdurchschnittlich ergibt sich für das Jahr 2023 mit 8,8 Prozent eine Teuerungsrate, die nochmals leicht über dem Wert des laufenden Jahres von 8,4 Prozent liegt. Erst im Jahr 2024 wird die 2-Prozent-Marke allmählich wieder erreicht.
Permanenter Wohlstandsverlust erwartet
Der Grund für die Verschlechterung der konjunkturellen Aussichten sind vor allem die reduzierten Gaslieferungen aus Russland. Mit ihnen ist ein erheblicher Teil des Gasangebots weggefallen und auch das Risiko gestiegen, dass die verbleibenden Liefer- und Speichermengen im Winter nicht ausreichen werden, um die Nachfrage zu decken. Vor diesem Hintergrund sind die Gaspreise in den Sommermonaten in die Höhe geschossen. Die Unternehmen haben bereits damit begonnen, ihren Gasverbrauch spürbar einzuschränken. Auch wenn die Institute für den kommenden Winter bei normalen Witterungsbedingungen mit keiner Gasmangellage rechnen, bleibt die Versorgungslage äußerst angespannt. Mittelfristig dürfte sich die Lage zwar etwas entspannen, dennoch dürften die Gaspreise deutlich über Vorkrisenniveau liegen. Dies bedeutet für Deutschland einen permanenten Wohlstandsverlust.
Vom Arbeitsmarkt geht eine stabilisierende Wirkung aus. Zwar dürfte die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften angesichts der konjunkturellen Schwächephase zurückgehen. Die Unternehmen werden aufgrund des Fachkräftemangels in vielen Bereichen aber bestrebt sein, den vorhandenen Personalbestand zu halten, sodass die Erwerbstätigkeit nur vorübergehend geringfügig sinken dürfte.
Jetzt schon in Aktien einsteigen?
Viele Anleger fragen sich nach den jüngsten Schwächeanfällen der Kurse, ob jetzt die Zeit für einen Wiedereinstieg in den Aktienmarkt gekommen sei – eine traditionell heikle Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Das Research der Frankfurter Helaba hat untersucht, wie sich seit 1965 der Dax im vierten Quartal in Abhängigkeit von der Performance der ersten drei Quartale entwickelt hat: In Jahren mit einer positiven Wertentwicklung legte der Index um durchschnittlich 5,6 % zu, in Jahren mit einer negativen Zwischenbilanz verbuchte er ein durchschnittliches Plus von lediglich 0,5 %. Allerdings ist zu beobachten, dass die Performance im vierten Quartal in Jahren mit Kursrückgängen sehr weit streute. Salopp ausgedrückt: Alles ist möglich – von Jahresendrally bis Absturz. Zugegeben, dies ist ein ausgesprochen unbefriedigendes Ergebnis. Der Versuch, den optimalen Zeitpunkt für den Ein- bzw. den Ausstieg zu erwischen, wird selten von Erfolg gekrönt sein. Daher bietet es sich an, in Chance-Risiko-Kategorien zu denken.
Auf die Bewertung kommt es an
Eine wertvolle Orientierung bietet dabei die Bewertung. Zwar neigen Aktien dazu, nach unten wie nach oben zu übertreiben. Auf Sicht von mehreren Jahren zahlt es sich jedoch aus, Aktien dann zu kaufen, wenn sie unterbewertet sind. Auf Basis der gängigsten Bewertungskennziffern beträgt der faire Wert des Dax nach Berechnung der Analysten derzeit 14.700 Punkte. Auf dem aktuellen Niveau sind deutsche Standardwerte damit klar unterbewertet. Kann es zwischenzeitlich noch weiter nach unten gehen? Leider ja, gut möglich. Aber wer Mut und Geduld mitbringt, wird in der aktuellen Basis eine günstige Einstiegsmöglichkeit für ein betont langfristiges Investment sehen.