Es bleibt spannend – Börsen suchen Balance 

von | 5. Jun 2023 - 08:32 | Kutzers Corner

Auch die jüngsten Inflations- und Konjunkturdaten sind (wie erwartet) uneinheitlich geblieben und bieten Stoff für unterschiedliche Interpretationen. Wer kurz- bis mittelfristig investieren möchte, hat es also nicht leicht.

Dabei sind die Unterschiede zwischen den USA und Europa nicht zu übersehen. Stärker noch können die auseinandergehenden Kurs- und Stimmungsindikatoren den Anleger irritieren. Immerhin repräsentieren die (vorsichtig) bullisch eingestellten Strategen nach meiner Statistik noch die Mehrheit, wenn man die Einschätzung bis Jahresende beobachtet. Europäische Aktien gehören nicht selten zu den Favoriten. Daneben sprechen internationale Profis von einer Wiederentdeckung der Schwellenländer-Märkte. Auffallend sind dabei die gleichlautenden Empfehlungen für Indien, wo Analysten überdurchschnittliche Chancen sehen.

Europäische Börsen zur Diversifizierung

Typisch ist eine neue Börsenbetrachtung der Frankfurter Helaba: Der Helaba-Best-Indikator ist zuletzt deutlich gesunken und erreicht fast schon wieder Kauf-Niveau. Handlungsempfehlung: Positionen halten. Der Dax ist leicht unterbewertet. Die Gewinnerwartungen haben nach oben gedreht. Der Teilindikator Anlegerstimmung hat den neutralen Bereich nach unten verlassen. So viel Pessimismus birgt auf Sicht der kommenden Monate weiteres Nachfragepotential.

Europa bietet Diversifizierung, betont Jupiter Asset Management. Bei den fünf führenden MSCI World-Aktien handelt es sich um US-Technologiewerte, die von den Anlegern vermutlich aufgrund ihres Wachstums gekauft werden. Einige der führenden europäischen Unternehmen haben jedoch im letzten Jahr ein besseres Ertragswachstum erzielt. Trotzdem werden diese europäischen Unternehmen mit einem Abschlag gegenüber den US-Unternehmen gehandelt (durchschnittliches 12-Monats-Kurs-Gewinn-Verhältnis von 25 für die Europäer gegenüber 32 für die US-Unternehmen).

Es ist nicht überraschend, dass die globalen Aktienmärkte – zum Beispiel gemessen am MSCI World – aufgrund der hohen Gewichtung nordamerikanischer Aktien eng mit der Performance des US-Aktienmarktes korrelieren. Das bedeutet, dass die globalen Indizes in ähnlicher Weise von der Performance einer kleinen Anzahl großer US-Tech-Unternehmen abhängig sind. Der europäische Markt hingegen ist weitaus weniger stark von Technologieunternehmen und deutlich stärker von Basiskonsumgütern und Industrieunternehmen abhängig. Daher bietet Europa den Anlegern eine „hervorragende Gelegenheit“ zur Diversifizierung ihrer Aktienportfolios.

„Die große Rebalancierung“

Ein besonders interessantes und breit angelegtes Bild des Börsenumfelds mit dem   Titel „Die große Rebalancierung“ skizziert Dr. Hans-Jörg Naumer, Chefstratege bei Allianz Global Investors (AllianzGI). Im Folgenden Ausschnitte daraus: Wenn Angebot und Nachfrage ins Ungleichgewicht kommen, reagiert nichts so sensibel darauf wie die Preise. Daher sind die enormen Anstiege der Inflationsraten letztlich ein Ergebnis massiver Schocks, seien diese nun fiskalischer, geldpolitischer oder pandemischer Natur.

Das Geldangebot der großen Zentralbanken geriet spätestens mit der Pleite der Investmentbank Lehman aus dem Lot. Die Covid-19-Pandemie (Nachfrageschock) wurde mit einer Öffnung der monetären und fiskalischen Schleusen beantwortet. Es kam zu Verknotungen bei den Lieferketten (Angebotsseite). Der Ukraine-Krieg sorgte dann über den Hebel der Energiepreise für einen weiteren Angebotsschock, der mit fiskalischen Gegenmaßnahmen, wie z. B. dem „Inflation Reduction Act“ der US-Regierung, beantwortet wurde. Dieses Paket, das dem Verlauten nach der Inflationsbekämpfung dienen soll, wirkt sich auf beiderlei aus: die Nachfrage wie auch das Angebot, im Hinblick auf die Ausweitung von Produktionskapazitäten.

Kurz: Die ökonomische Welt bewegt sich von einem Ungleichgewichtszustand zum nächsten, was sich nicht zuletzt in den öffentlichen Schulden niederschlägt. Hier schaukeln sich die Schuldenstände weiter auf, so auch in den Vereinigten Staaten. In der Summe geht es um Rebalancierung: Angebot und Nachfrage müssen wieder zurück ins Gleichgewicht. Die Zentralbanken rund um den Globus haben den Pfad dazu schon längst eingeschlagen, allen voran die US-amerikanische Zentralbank Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB). Vor allem die Fed scheint bereit zu sein, eine Anpassungsrezession in Kauf zu nehmen.

Es bleiben schwerwiegende Fragezeichen

Es bleibt also spannend, wohin sich die Konjunktur entwickelt. Gemessen an den globalen Einkaufsmanagerindizes scheinen die Wachstumsindikatoren die Talsohle durchschritten zu haben. Die Wirkung der bereits erfolgten Zinserhöhungen dürfte aber schrittweise stärker durchschlagen. Zudem werden die Finanzierungsbedingungen restriktiver. Das wirkt nicht nur an den Immobilienmärkten, sondern macht auch den US-Banken zu schaffen, wie die jüngsten Entwicklungen bei den dortigen, weniger streng regulierten Regionalbanken zeigen. „Gleichgewichtsstörungen“ infolge des großen Ausbalancierens wären nicht verwunderlich. Mit Zinsentscheidungen, Schuldenobergrenze in der größten Ökonomie der Welt sowie Inflations- und Konjunkturdaten dürfte der Juni einige wichtige Signale liefern.

Anleger trauen dem Markt noch nicht

Zweifel an einer Dauerhaftigkeit scheinen angebracht. Diese Form der Fantasie könnte auch verdecken, dass sich der Aktienmarkt mit seinen Anstiegen der jüngeren Zeit selbst nicht traut. Es fehlt die Marktbreite. Die Anzahl der im Kurs gestiegenen Aktien hat über die letzten Wochen gegenüber der Anzahl der gefallenen Titel immer weiter abgenommen. Die Anleger scheinen der Lage an den Kapitalmärkten zu misstrauen. Die von Sentix gemessene Anlegerstimmung trübte sich bei der auf die Zukunft gerichteten Komponente weiter ein.

Fazit des AllianzGI-Vordenkers: Wenn die Stimmung bereits schlecht ist, wie könnte sie da noch schlechter werden? Anders gefragt: Wer wollte noch verkaufen und Druck auf die Aktienmärkte ausüben, wenn alle schon im „Bären“-Camp sind? Allerdings steht diese Überlegung nicht in Einklang mit den gestiegenen Kursen.     Bei insgesamt wieder gestiegenen Bewertungen liegt für taktisch agierende Investoren in diesem Kontext ein vorsichtigeres Agieren nahe. Strategisch mittel- /langfristige Anleger sollten bei insgesamt negativen Realrenditen den Kaufkrafterhalt ihrer Anlagen stärker im Blick behalten.

Weltpolitik nicht aus dem Auge lassen!

Wall Street vernachlässigen und nur auf europäische Aktien setzen? Das ist für mich nicht die Lösung. Die geopolitischen Risiken nehmen weiter zu und sind unberechenbar. Europa lebt mit der Gefahr eines weiter eskalierenden Kriegs. Der Dax lässt sich davon bisher nicht beeindrucken (was mich wundert). Noch nicht.

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