Genormte Maßeinheiten sind für Wissenschaft, aber auch Handel und Technologie unerlässlich. Der Weg zur Einheitlichkeit gestaltete sich allerdings kompliziert und bis vor kurzem wurde noch an ihr gefeilt.
Die Französische Revolution krempelte ab 1789 die Verhältnisse der damaligen Zeit gehörig um. Nicht nur das Ancien Régime sollte verschwinden, die Revolutionäre wollten auch die Zeitrechnung ändern. Ein Tag sollte zehn Stunden zu je 100 Minuten haben. Doch der Dezimalzeit war nur eine kurze Geltungsdauer beschieden, schon 1795 wurde sie per Dekret abgeschafft. Weitaus erfolgreicher war die Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten. Derer gab es in Frankreich und andernorts in Europa unzählige. Die Académie des sciences mit Sitz in Paris berief eine Expertenkommission ein, um ein völlig neues System zu entwickeln. Das Längenmaß, später „Meter“ genannt, sollte der zehnmillionste Teil der Strecke zwischen Nordpol und Äquator sein, gemessen an dem durch Paris führenden Meridian. Berechnet werden sollte dies anhand der Strecke von Dünkirchen nach Barcelona, zweier Städte, die auf demselben Meridian wie Paris liegen. Dies war deutlich weniger beschwerlich als eine Reise zum Nordpol. Dennoch verzögerte sich das Vorhaben, mit dem Pierre Méchain und Jean-Baptiste Delambre beauftragt wurden, durch die Wirren der Französischen Revolution bis ins Jahr 1799. Zwischenzeitlich waren bereits mehrere Stäbe aus dem Edelmetall Platin in Auftrag gegeben worden, die als Referenz für das neue Längenmaß vorgesehen waren.
Dass die Wahl auf Platin fiel, ist durchaus erstaunlich, denn erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts befasste man sich in Europa intensiv mit diesem Material. Derjenige Platinstab, der den Berechnungen Méchains und Delambres am nächsten kam, wurde im Sommer 1799 dem Nationalarchiv des Landes übergeben und als mètre des Archives bekannt.
Mit dieser Referenz für das Längenmaß konnte auch die bis dahin provisorische Definition des Gramms präzisiert werden: Das Gewicht von einem Kubikzentimeter Wasser bei einer Temperatur von vier Grad, wenn es die größte Dichte aufweist. Ebenfalls aus Platin gefertigt, gelangte auch das kilogramme des Archives in die Räumlichkeiten des Archivs im Palais des Tuileries. Das metrische System war geboren.
Platin und Iridium für das zweite Urkilo
Meter und (Kilo-)Gramm hatten es jedoch auch in ihrem Ursprungsland nicht leicht, bis weit in die 1850er Jahre sollte es dauern, bis sie sich dort endgültig etablierten. Parallel begann die Nutzung auch in anderen europäischen Ländern. Die 1875 von 17 Ländern (darunter das Deutsche Kaiserreich und natürlich Frankreich) unterzeichnete Meterkonvention sollte die Entwicklung und Harmonisierung des metrischen Systems weiter vorantreiben, zusätzlich wurden die Entwicklung von drei neuen Kilo-Prototypen beschlossen. Einer davon, KIII, löste schließlich 1889 das Urkilo ab. Aufbewahrt wird es bis heute in Sèvres bei Paris in einem Tresor des Internationalen Büros für Maß und Gewicht (BIPM).
Im Gegensatz zu seinem Vorläufer besteht das neue Urkilo nicht mehr aus reinem Platin, sondern aus einer Legierung von 90 Prozent Platin und 10 Prozent Iridium. Dies verleiht ihm eine größere Härte, was den Materialabrieb minimieren soll. Denn das zylinderförmige, auch Le Grand K genannte Objekt mit einer Höhe von 39 Millimeter und gleicher Breite muss trotz Lagerung unter zwei Glasglocken hin und wieder von Staub befreit werden.
Le Grand K wird leichter
Aufgrund der Verwendung zweier Edelmetalle sollte man meinen, das Standardkilo sei eine unerschütterliche Größe, schließlich kommen Platingruppen auch heute in Hightechanwendungen mit geringsten Fehlertoleranzen zum Einsatz. Doch regelmäßige Nachmessungen ergaben Erstaunliches: Le Grand K wird leichter. 50 Mikrogramm, das Gewicht eines Salzkorns, hatte es verloren, als man es 1992 nachwog. Die Ursache dafür ist bislang nicht bekannt, die potentiellen Auswirkungen sind jedoch so hoch, dass Wissenschaftler sich um eine neue Basis für die Masseeinheit bemühten. So war es schon beim Meter geschehen, für den seit 1983 die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ausschlaggebend ist, sowie für die Sekunde, die über eine atomphysikalische Konstante definiert ist.
Auf der 26. Generalkonferenz für Maß und Gewicht in Versailles wurde im November 2018 festgelegt, dass die Planksche Konstante künftig zur Berechnung des Kilogramms dient. Der Beschluss trat im Mai des folgenden Jahres in Kraft. Wenngleich diese Naturkonstante für die meisten Menschen (inklusive des Autors dieses Beitrags) im Detail vielleicht nicht nachvollziehbar ist, nach Ansicht der Wissenschaftler ist sie zumindest zukunftssicher.
Auf der anderen Seite des Atlantiks hält man derweil in vielen Bereichen des täglichen Lebens am United States customary system fest, das wiederum aus dem ehemaligen Mutterland England stammt. Alleine für das Messen von Längen gibt es mit inches, feet, yards und miles genug Einheiten, um europäische Besucher vor Rätsel zu stellen. Bei den Volumenmaßen steigt die Anzahl nochmal deutlich.
Beitragsphoto: Physikalisch-Technische Bundesanstalt