Australien: Gegen den Klimawandel mit Hightech und jahrtausendealtem Wissen

von | 10. Aug 2023 - 12:05 | Wissen

Australien gilt als Testlabor des Klimawandels. Schon vor Jahren war das Land mit Naturkatastrophen konfrontiert, die nun zunehmend auch andere Regionen der Welt zu spüren bekommen: Dürre, Rekordhitze, verheerende Waldbrände und Wasserknappheit auf der einen Seite, massive Überschwemmungen, Springfluten und ein steigender Meeresspiegel auf der anderen. Im trockensten bewohnten Erdteil sind Extremwetterereignisse zwar schon immer aufgetreten, doch diese nehmen in ihrer Häufigkeit und Stärke immer weiter zu. Auf längere Sicht könnten ganze Landesteile unbewohnbar werden.

Die Folgen des Klimawandels gefährden dabei Australiens einzigartigen Wildtierbestand und seine Naturräume wie das weltbekannte Great Barrier Reef ebenso wie die Lebensgrundlagen seiner menschlichen Bewohner. 80 Prozent der rund 25 Millionen Einwohner leben am Meer, wo mit Ausnahme der Hauptstadt Canberra alle Großstädte liegen. Australiens Strände und Küstengebiete stehen nicht nur sinnbildlich für die als offen und entspannt geltende Outdoorkultur des Landes, sondern bilden auch eine wichtige Grundlage seines wirtschaftlichen Wohlstands. Durch den steigenden Meeresspiegel sei Infrastruktur im Wert von 130 Milliarden Euro in Gefahr, zitierte der Deutschlandfunk Anfang 2019 den Ökonomen Bruce Thorn. Hinzu kommen immer häufigere Flutkatastrophen, wie 2010, 2011 und 2019 vor allem in Queensland und 2022 sowie 2023 in gleich mehreren Landesteilen, aber auch extreme Hitzewellen: Melbourne und Sydney müssten sich auf 50-Grad-Tage einstellen – selbst wenn die im Pariser Abkommen festgelegte Obergrenze für die globale Erwärmung von zwei Grad Celsius eingehalten werde, zeigte 2017 eine Studie unter Leitung der Australian National University.

„Der australische Sommer, einst eine Zeit des unschuldigen Vergnügens, wird nun gefürchtet“

Richard Flanagan, tasmanischer Autor

„No worries“, zu Deutsch etwa „Sei unbesorgt“, das inoffizielle Nationalmotto Australiens, scheint angesichts des Klimawandels zum Auslaufmodell zu werden. Australische Sommer seien nicht länger eine Zeit des unschuldigen Vergnügens, mittlerweile erwarte man sie mit Schrecken, schrieb 2019 der tasmanische Autor und Umweltaktivist Richard Flanagan.

Buschfeuer nehmen in Australien durch den Klimawandel zu.

Australiens Buschfeuersaison wird durch den Klimawandel immer langandauernder und verheerender. – Photo: iStock/moisseyev

Brisbane in Australien wurde 2010 bis 2011 von einer Jahrhundertflut heimgesucht.

Sturmfluten und Starkregen mehren sich. 2010 und 2011 wurden große Teile von Queensland, wie hier Brisbane, überschwemmt. – Photo: iStock/O-Air

Erst 2022 verabschiedete Australien ein nationales Klimaschutzgesetz

Australien ist jedoch nicht nur besonders betroffen von den Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels, sondern hat zugleich eine der weltweit höchsten CO2-Emissionsraten pro Kopf. Grund dafür ist vor allem die Kohleindustrie, die zweitgrößte Exportbranche des Landes. Dennoch wurde erst 2022, nach einem Regierungswechsel, ein nationales Klimaschutzgesetz verabschiedet, das eine Senkung der CO2-Emissionen um 43 Prozent bis 2030 vorsieht. Die nun amtierende Labor Party will Australien außerdem zu einer Supermacht der erneuerbaren Energien machen, auch weil es große Vorkommen der dafür benötigten Rohstoffe wie Seltene Erden und Lithium besitzt. Die konservative Vorgängerregierung, die stark die Interessen der klimaschädlichen Kohleindustrie vertritt, hatte nach Ansicht vieler Australier zu zögerlich auf den Klimawandel reagiert, trotz seiner deutlich sichtbaren Auswirkungen.

Derweil haben viele australische Städte die Notwendigkeit eines ambitionierteren Klimaschutzes schon lange erkannt und waren auf lokaler Ebene aktiv geworden, Melbourne etwa legte 2009 eine Anpassungsstrategie vor, Darwin 2011 (PDF). Man sei nach wie vor „frustriert über den Mangel an politischer Führung auf globaler und nationaler Ebene“ schrieb Sydneys Oberbürgermeisterin Clover Moore 2017 im Vorwort zum Klima-Aktionsplan (PDF) der Stadt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Australiens größte Metropolregion mit rund fünf Millionen Einwohnern schon viele eigene Maßnahmen initiiert.

So wurde das städtische Notfallmanagement besser auf Extremwetterereignisse wie starke Hitzewellen und Überschwemmungen abgestimmt, unter Einbeziehung von Polizei, Feuerwehr, Rettungskräften und weiteren Beteiligten. Auch in Frühwarnsysteme und Programme zur Sensibilisierung der Bevölkerung wurde investiert. Dem steigenden Meeresspiegel und der drohenden Zerstörung der Küstengebiete will Sydney unter anderem mit angepassten Bebauungsplänen beikommen, angedacht sind auch Schutzmaßnahmen wie Deiche.

Um Emissionen zu reduzieren, wurden die Stadtbetriebe 2008 CO2-neutral (PDF), seit 2020 werden sie komplett mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt, erzeugt in Wind- und Solarparks in der Region. Dies betrifft unter anderem Straßenbeleuchtung, Schwimmbäder, Sportplätze, Verwaltungsgebäude und das historische Rathaus. Der Wasser- und Energieverbrauch großer privater Wohngebäude kann im Rahmen des Smart Green Apartments-Programms optimiert werden.

Begrünung, Wasserspiele und neue Baumaterialien gegen die Hitze

Sydney Fassadenbegrünung
Kühlere Städte: 2014 wurde in Sydney Australiens erste Politik für begrünte Fassaden und Dächer beschlossen. – Photo: iStock/Elias

Um städtischen Hitzeinseln vorzubeugen, CO2 zu absorbieren und zugleich die Folgen von Starkregen abzumildern, wurden seit 2005 fast 15.000 Bäume gepflanzt und neue Grünflächen angelegt. Ähnliche Ziele verfolgt Sydneys 2014 beschlossene Politik für begrünte Dächer und Fassaden (PDF), die erste ihrer Art in Australien. Gegen die bei Hitze- und Dürrewellen drohende Wasserknappheit legte die Metropole 2012 einen Masterplan (PDF) vor. Die Wasserversorgungs- und Abwasserinfrastruktur der Stadt war zu diesem Zeitpunkt die älteste in Australien, bis 2030 soll sie an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Kernelemente sind Einsparungen durch effizientere Nutzung, deutlich mehr wiederaufbereitetes Wasser und die Einrichtung eines dezentralen Wassernetzes, das sich stärker aus lokalen Quellen speist. Das kostbare Nass könnte auch bei der Kühlung der Stadt zum Einsatz kommen. Barry Calvert, Präsident der Western Sydney Regional Organisation of Councils, empfiehlt in entsprechende Infrastruktur wie Brunnen, Wasserspiele, Sprinkleranlagen oder Straßenbefeuchtung zu investieren. Springbrunnen könnten die Lufttemperaturen in der Umgebung um drei Grad Celsius senken, ihre kühlende Wirkung sei bis zu 35 Meter weit spürbar.

Laut einer Studie haben Wassertechnologien und kühlende oder reflektierende Baumaterialen zusammen den größten dämmenden Effekt auf städtische Hitze. – Photo: iStock/SerrNovik

Solche wasserbasierten Technologien hätten die größte eindämmende Wirkung auf städtische Hitze, kombiniert mit kühlenden oder reflektierenden Baumaterialien, zeigte 2017 eine Studie (PDF) der Behörde Sydney Water und der University of New South Wales. Bereits 2014 wurden in einem Straßenabschnitt testweise helle Beläge aufgebracht, die Stadt stufte das Kosten-Nutzen-Verhältnis allerdings als nicht lohnend ein. Angesichts der drängenden Klimaprobleme ist jedoch abzusehen, dass eine angepasste Bauweise schon bald an Bedeutung gewinnen könnte. Ein Forschungsprojekt der University of New South Wales und der University of Sydney dient der Entwicklung neuer Baumaterialien für Bürgersteige, Dächer oder Zäune. Diese sollen nicht nur die Umgebungstemperatur in der Stadt senken, sondern auch den Energiebedarf für die Kühlung von Gebäuden reduzieren.

Neue Stadtteile von Anfang an für den Klimawandel rüsten

Während bestehende Stadtteile nachträglich „aufgerüstet“ werden müssen, will Sydney bei der Planung von Bradfield City (PDF) von Anfang an den Klimawandel mitdenken. Die Stadt entsteht aktuell westlich von Australiens größter Metropole, soll an einen neuen internationalen Flughafen grenzen und wird von der Regierung mit umgerechnet 668 Millionen US-Dollar gefördert sowie von internationalen Unternehmen unterstützt. Die Planer setzen unter anderem auf 100 Prozent erneuerbare Energien, baumgesäumte Straßen und eine Vorschrift für helle Dächer. Das erste Gebäude soll 2024 fertiggestellt werden und sowohl Solarzellen als auch eine Begrünung auf dem Dach aufweisen. Diese Kombination könne die Dachoberfläche um bis zu 20 Grad kühlen, die Umgebungswärme reduzieren und sogar die Solarleistung um durchschnittlich 4,5 Prozent erhöhen, haben Wissenschaftler der University of Technology Sydney herausgefunden.

Sydney Atlassian
Der neue Hauptsitz des Softwarekonzerns Atlassian steht für Innovation und energieeffiziente Bauweise in Sydneys Tech-Bezirk. – Photo: SHoP Architects

Nachhaltigkeit ist auch gefragt bei der Entwicklung von Sydneys neuem Tech-Viertel (PDF), das oft als „Silicon Valley Australiens“ bezeichnet wird. Grünflächen, energieeffiziente Bauweisen und öffentlicher Nahverkehr spielen eine Rolle bei der Planung. Als Wahrzeichen gilt der Hauptsitz des Softwarekonzerns Atlassian, der bei seiner Fertigstellung 2025 mit 180 Metern Höhe das größte hybride Holzgebäude der Welt sein soll. Neben Holz kommt Stahl als Exoskelett zum Einsatz. In die Glasfassade integrierte Solarzellen mit Verschattungsfunktion, bepflanzte Terrassen und ineinander übergehende Innen- und Außenräume tragen dazu bei, dass das Gebäude in weiten Teilen ohne mechanische Kühlung und Lüftung auskommen soll, schreibt das zuständige New Yorker Architekturbüro SHoP. Verglichen mit konventionellen Hochhäusern könnten 50 Prozent an CO2-Emissionen eingespart werden.

Feuer mit Feuer bekämpfen: Uraltes Klimawissen der Aborigines

Während Großstädte die Stärken von High-Tech wie Solarzellen und naturnahen Konzepten wie Brunnen, Begrünung und Holzbauweise kombinieren, um sich gegen den Klimawandel zu wappnen, kommt vor allem in Australiens ländlicheren Regionen das Wissen der indigenen Bevölkerung hinzu. Sogenanntes Carbon Farming wie im Northern Territory (PDF) soll die traditionelle Kultur der Ureinwohner stärken und zugleich dabei helfen, das Land zu regenerieren. Dazu zählen die gezielten Buschfeuer der Aborigines, eine 50.000 Jahre alte Methode, um das Land zu bewirtschaften. Durch das kontrollierte Legen „kühler“ Brände in der frühen Jahreszeit wird Unterholz gelichtet, um ungeplanten Feuern in der Spätsaison weniger Nahrung zu bieten. Diese können so reduziert oder sogar verhindert werden. Bei den kühlen Bränden entstehen vergleichsweise geringe Treibhausgasemissionen, zudem wird davon ausgegangen, dass das CO₂ durch das Nachwachsen der Vegetation wieder aus der Atmosphäre entfernt wird, da die „cultural burns“ die Fruchtbarkeit des Bodens fördern. Der Verkauf der so entstandenen Emissionsgutschriften an Unternehmen oder die Regierung soll die wirtschaftliche und soziale Situation der indigenen Bevölkerung verbessern, denn aufgrund nach wie vor bestehender Benachteiligungen ist diese besonders betroffen von den Auswirkungen des Klimawandels.

Sydney-Opernhaus-Aborigenes-Badu-Gili

Seit 2017 projiziert die Installation „Badu Gili“ täglich die Geschichten und Kultur der australischen First Nations auf die Segel des ikonischen Opernhauses in Sydney.  – Photo: iStock/Kirsten Walla 

Zum Carbon Farming zählen auch Methoden der regenerativen Landwirtschaft, um CO₂ aus der Atmosphäre zu entziehen und langfristig in Form von
Kohlenstoff in Böden oder Vegetation zu speichern, etwa durch Fruchtfolgen und Mischkulturen. Bei der Pflanzung von einheimischen Bäumen für klimaresiliente Wiederaufforstung und zum Ausgleich von Emissionen sind Aborigines ebenfalls in wachsendem Maße beteiligt.

Kulturelle Praktiken und archäologische Belege zeigten, dass die Aborigines schon einmal einen Klimawandel erlebt hätten, schreibt die Bezirksregierung von New South Wales. Das jahrtausendealte Wissen der verschiedenen indigenen Gruppen könnte helfen, auch die aktuellen, diesmal menschengemachten Klimaveränderungen zu verstehen und mit Australiens größter heutiger Herausforderung umzugehen.

Wie geht man rund um den Globus mit den Herausforderungen des Klimawandels um? Klicken Sie dazu auf die einzelnen Bilder:

Ab Frühjahr: Unser Rohstoff-Newsletter

Jetzt schon anmelden und auf dem Laufenden bleiben!

Rohstoff.net Newsletter
Jetzt anmelden und auf dem Laufenden bleiben!

Für den Versand unserer Newsletter nutzen wir rapidmail. Mit Ihrer Anmeldung stimmen Sie zu, dass die eingegebenen Daten an rapidmail übermittelt werden. Beachten Sie bitte auch die AGB und Datenschutzbestimmungen.