Die Zweifler mit Blick auf die Chancen im nächsten Jahr sind zwar nicht verstummt, doch haben sich die Börsen-Bullen inzwischen durchgesetzt. Die Jahresend-Rally lockt immer mehr kurz- bis mittelfristige Aktienfans. Dax daraufhin in Rekordlaune.
Frohlocken zum Monatswechsel auch in den Medien: Die Jahresend-Rally am deutschen Aktienmarkt ist in vollem Gange. Angetrieben von Erwartungen auf bald sinkende Zinsen übersprang der Dax am Freitag die Marke von 16.300 Punkten. Die laufende Aufwärtsbewegung hat den Leitindex von seinem Oktober-Tief inzwischen um rund 12 Prozent nach oben getrieben. Im November gewann der Leitindex 9,5 Prozent und machte den Großteil der Korrektur seit August wett. Zudem schaffte das wichtigste deutsche Börsenbarometer seine fünfte Woche in Folge im Plus. Das entspricht der längsten Gewinnserie des Jahres 2023.
US-Notenbank bleibt im Fokus
Als vorläufiges Endergebnis von 2023 kann man jetzt bereits festhalten, dass (erwartungsgemäß) die US-Trends das internationale Anlegerverhalten bestimmen – Inflation, Zinsen und Konjunktur sind die entscheidenden Stimmungsfaktoren. Die Anleger honorieren den guten Job der US-Notenbank, begründen Marktexperten den starken Lauf. Die Fed habe die Inflation bekämpft, ohne zugleich eine schwere Rezession auszulösen. Eine moderatere Teuerung stelle nun das hohe Zinsniveau infrage, weshalb Investoren baldige Zinssenkungen erwarten. Das gilt ebenso für die Euroregion. In den kommenden Monaten dürfte sich die Inflation auch dort weiter abschwächen, glauben die optimistischen Experten. Marktteilnehmer können daher vermehrt darauf setzen, dass der nächste Zinsschritt eine Senkung sein wird.
Was skeptische Stimmen sagen
Es gibt vereinzelt aber auch anders klingende Stimmen – selbst wenn die Inflation aktuell nachlässt: Ron Temple, Chief Market Strategist bei Lazard, ist der Ansicht, dass sie im kommenden Jahrzehnt strukturell bedingt wieder zulegen dürfte. Das liege unter anderem daran, dass China seinen Wachstumsbonus ausgespielt habe und in Zukunft keine Deflation mehr durch niedrige Produktionskosten exportieren könne. Wer einen Blick auf die Bloomberg Konsensschätzungen der Jahre 2023-2025 werfe, könne einen signifikanten Rückgang der Wachstumsprognosen feststellen, so Temple. Zwar hätten sich die Wachstumsaussichten einzelner Märkte wie der USA zuletzt verbessert, dies könne den globalen Trend der Stagnation jedoch nicht bremsen: „Ich habe die Befürchtung, dass die Märkte ein wenig zu optimistisch auf die USA blicken. Zusammen mit der Eurozone und Großbritannien erwarte ich auch dort eine relative Stagnation gegenüber dem Post-Corona-Boom. Lediglich Japan könnte den Trend nächstes Jahr übertreffen.“ Gleichzeitig sei ein Rückgang der zyklischen Inflation zu vermerken. Die pandemie- und energiepreisbedingte Inflation von 2021-2023 nehme bald ihr Ende, sollten die Energiepreise weiterhin auf konstantem Niveau bleiben. „Der Gipfel ist bereits überschritten. Wir befinden uns mitten in einer Disinflationsphase, die voraussichtlich bis Mitte 2024 anhalten wird“, so Ron Temple.
Fragezeichen hinter der Teuerung 2024
Das zu Ende gehende Jahr ist aus Anlegersicht ertragreicher als erwartet verlaufen. Worauf schauen Strategen im nächsten Jahr und welche Chancen könnten sich ergeben? Der erste Blickpunkt bleibt die Inflationsentwicklung. Diese lieferte im Trend zuletzt ermutigende Signale einer Abkühlung. Aber dann wird es kompliziert. Die Kerninflationsraten ohne Energie und Nahrungsmittelpreise sind auf beiden Seiten des Atlantiks gefallen. Dennoch liegen die Jahresveränderungsraten noch erheblich über dem 2-Prozent-Ziel vieler Zentralbanken. Falls sich erste Beruhigungstendenzen, wie zuletzt erkennbar bei Löhnen und besonders im Falle der USA bei den Mieten, fortsetzen sollten, könnten sich die Inflationsraten 2024 zwischenzeitlich zumindest der 2-Prozent-Marke annähern. Dies ist aber keineswegs sicher.
Die Vergangenheit lehrt, dass sich die Rückgänge bei Inflationsraten circa ein Jahr nach dem Inflationsgipfel spürbar verlangsamen und sich Inflationsraten aus Phasen mit hohen Preissteigerungsraten in Wellen verringern. Inflationserwartungen von Konsumenten bleiben hingegen erhöht. Die Inflation ist rückläufig, aber noch nicht besiegt.
Geldpolitik hängt von der Inflation ab
Unmittelbar verwoben mit dem Blick auf die Inflation ist die Betrachtung der Geldpolitik. In den Augen der allermeisten Anleger haben die westlichen Zentralbanken ihren Zinsgipfel erreicht. Die daraus fast zwangsläufig folgende Frage ist, wie oft die Zinsen im nächsten Jahr gesenkt werden können. Zunächst sollte jedoch die Frage geklärt werden, ob die Zentralbanken wirklich eine nachhaltig ausreichende Nachfragedrosselung erreicht haben. Diese Frage lässt sich für die Eurozone eher bejahen als für die USA, wobei sich auch dort die Anzeichen für eine schleichende Abkühlung der Wirtschaft mehren.
Konjunktur darf nicht abgewürgt werden
Und die Konjunktur? Die Mehrheit der Anleger scheint eine „weiche Landung“ für die US-Konjunktur herbeizusehnen, darauf sind die Wachstums- bzw. Gewinnschätzungen der Ökonomen und Unternehmensanalysten ausgerichtet. Zur Erfüllung dieser Hoffnung bedarf es des Zusammenspiels von nachhaltig „gezähmter“ Inflation und von gedrosseltem, aber nicht „abgewürgtem“ Wachstum. Ein Balanceakt für alle Akteure, der mit nur einer Zutat erheblich vereinfacht würde: steigende Produktivität. Diese würde das Angebot an Waren und Dienstleistungen erhöhen, ohne über eine steigende Nachfrage die Inflation anzufeuern. Daher dürften strukturelle Themen wie Künstliche Intelligenz (KI), Automatisierung und Digitalisierung im Fokus der Anleger bleiben, im Jahr 2024 und darüber hinaus. Bei allen Hoffnungen auf eine sanfte Landung ist das Risiko einer stärkeren Wachstumsabkühlung jedoch nicht außer Acht zu lassen, warnen vorsichtige Investment Manager.
Was Anlegern von Profis empfohlen wird
Die konkreten Anlageempfehlungen der Profis haben sich zuletzt kaum verändert. Neben der Wall Street wird verschiedentlich der japanische Markt genannt. Außerdem wird beim Blick auf europäische Aktien zum Stockpicking geraten. Zu guter Letzt gibt es vermehrt bullische Experten, die sich verstärkt für Gold als Portfolioelement aussprechen.
Trotz aller Risiken bietet das Jahr für langfristig orientierte Anlegerinnen und Anleger Chancen, betonten die Experten der Deutschen Bank in ihrem Kapitalmarktausblick 2024. Für Aktien und Anleihen dürfte es der Analyse zufolge ein unter dem Strich gutes Jahr werden – vorausgesetzt, die geopolitischen Krisen eskalieren nicht und die Wirtschaft wächst, wenn auch schwach. „Der Gleichlauf der beiden Anlageklassen könnte noch eine Zeit lang weitergehen: Bis Ende 2024 erwarten wir hohe einstellige Renditen bei Aktien und Anleihen“, erklärt Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.