Wir sind noch nicht übern Berg

von | 15. Aug 2022 - 08:18 | Kutzers Corner

Nein, bisher kein normaler Sommer – das gilt fürs Wetter wie fürs Börsenklima. Kann man das fortschreiben? Immerhin dauert es nicht mehr lange bis der Herbst beginnt. Ich plädiere für zurückhaltende Vorsicht. Die Börse liebt zwar Überraschungen, aber nur, wenn sie positiv sind. Kürzlich gab es eine und dazu die spontan feste Kursreaktion an den Aktienmärkten: „US-Inflationsdaten überraschen“, war die typische Schlagzeile. Wer genauer hinschaut, erkennt aber die Unterschiede in der Bewertung: Die einen sagen, die US-Inflationsrate gibt „leicht“ nach – auf + 8,5 % im Juli nach + 9,.1 % im Vormonat. Also doch „deutlich“ niedriger, wie es an anderer Stelle zu Recht heißt. Der „unerwartet deutliche“ Rückgang der US-Inflationsrate dämpft die Zinserhöhungserwartungen. Entgegen einem breiten Experten-Konsens ist auch ein Anstieg der Kerninflation ausgeblieben. Eine knappe Mehrheit der Marktteilnehmer rechnet wegen der leichten Entspannung nun nicht mehr mit einem großen Zinsschritt der Federal Reserve in Höhe von 75 sondern 50 Basispunkten im September.

Inflation ist noch viel zu hoch

Ist die Teuerung damit über den Berg? Manche Experten nicken zuversichtlich, andere bleiben skeptisch. Stellen Sie sich einmal vor, geschätzte Leser, Sie kämen nach einer mehrmonatigen Dschungelexpedition (ohne Kontakt nach draußen) an Ihren Arbeitsplatz in der Wall Street zurück und bekämen die Juli-Inflation auf den Monitor. Sie würden vor Schrecken vielleicht vom Stuhl fallen – will sagen, trotz des Rückgangs bleibt die Teuerungsrate in den USA viel zu hoch. Eine Entwarnung ist deshalb noch lange nicht angebracht. Hierzulande hat sich die Inflation ebenfalls abgeschwächt, wenn auch in geringem Maße. Ökonomen gehen allerdings davon aus, dass der Preisauftrieb mit dem Wegfall des 9-Euro-Tickets und des Tankrabatts sowie mit der neuen Gas-Umlage im Herbst wieder deutlich anziehen könnte. Deshalb befürchten Vermögensverwalter: Ein Ende des Inflationsanstiegs ist noch nicht in Sicht.

Krisen und Konflikte sind noch auf dem Tisch

Trotz der seit Wochen robusten Börsenverfassung traue ich der Kursentwicklung noch nicht. Natürlich ist die Inflation nicht nur „zu hoch“, sondern sie ist immer noch „viel zu hoch“. Und jeder Anleger muss sich bei der Suche nach Alternativen zur Aktie fragen, ob er sein Geld dorthin tragen soll, wo ihn Kaufkraftschwund erwartet – durch Negativrenditen (= Nominalzinsen minus Inflation). Deshalb plädiere ich auch immer wieder für Vorsicht gegenüber kurzfristigen Nachrichten. Aktuell geht es doch nicht nur um das Thema Inflation und Zinspolitik der großen Notenbanken. Denn alle gravierenden Konflikte, Krisen und Katastrophen sind nach wie vor auf dem Tisch: An den Aktienmärkten ist deshalb alles möglich – innerhalb kürzester Zeit. 

Zu früh für eine Entwarnung

Dass die Inflationsraten irgendwann einen Hochpunkt bilden und dann – zwangsweise – zurückgehen, darf niemanden überraschen. Das würde auch in den USA ohne das von der Biden-Regierung gerade durch den Kongress gebrachte „Inflationsreduktionsgesetz“ geschehen, wobei dieses kaum einen ernsthaften Beitrag zur Inflationsbekämpfung liefert. Es bleibt daher fraglich, schränken Investmentstrategen ein, ob die Teuerung wirklich so stark nachgibt, dass die Zentralbanken damit zufrieden sein können. Jüngste Aussagen von US-Notenbankern bestätigten deren Zweifel. Schließlich liegen die aktuellen Raten mit 8 bis 9 % noch meilenweit über den Inflationszielen der Währungshüter. Daher ist es sicherlich zu früh, um Entwarnung zu geben.

Neue Woche bringt spannende US-Daten

In der Berichtswoche steht eine Schwemme von US-Konjunkturzahlen an. Neben Daten zum Wohnimmobilienmarkt werden die Einzelhandelsumsätze und die Industrieproduktion veröffentlicht. Die Rezessionsbefürchtungen dürften die Daten vermutlich nicht verstärken. Ob dies ausreicht, die jüngste Zuversicht zu untermauern, ist eine andere Frage. Zudem werfen regionale Stimmungsindikatoren einen Blick in die nahe Zukunft. In Europa sieht die Agenda eher dünn aus. Die ZEW-Konjunkturerwartungen werden wohl ähnlich skeptisch wie zuvor ausfallen, glauben Frankfurter Volkswirte. Gleich am Montag werden Makro-Wachstumsdaten für China veröffentlicht, u.a. zur Industrieproduktion, zu den Einzelhandelsumsätzen und zu den Anlageinvestitionen. Der Markt rechnet mit einer anhaltenden Belebung der Wachstumsdynamik und einer Erholung im zweiten Halbjahr 2022. Außerdem gibt es in Japan Zahlen zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im zweiten Quartal 2022.

Euro noch in diesem Jahr unter Dollar-Parität?

Eine Rezession im Euroraum dürfte laut Commerzbank den Kurs des Euro bis zum Jahresende unter einen US-Dollar sinken lassen. Zuletzt hatte der Euro Ende 2002 weniger als einen Dollar gekostet. Die Volkswirte erwarteten wegen der hohen Energiepreise mittlerweile eine Rezession in der Eurozone, weshalb Devisenexperte Ulrich Leuchtmann die Prognose für den Euro-Dollar-Wechselkurs revidierte. Der Euro dürfte in den nächsten Monaten um und leicht unter Parität handeln, schrieb er in einer Studie am Freitag. Für 2023 rechne er zwar weiter mit einer Erholung, sei aber vorsichtiger geworden.

Konkret: Für Ende 2022 sowie für März 2023 setzt Leuchtmann für den Euro einen Kurs von 0,98 US-Dollar an. Erst anschließend rechnet er mit einer Erholung bis auf 1,10 Dollar Ende 2023. Zwar spricht eine Wirtschaftsschwäche nicht zwingend auch für eine Schwäche der Währung einer Region, doch Sprechen die Umstände in diesem Fall dafür. Denn die Rezession entsteht durch hohe Gaspreise, die energieintensive Branchen belastet und damit die Wirtschaftstätigkeit reduziert.

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