Was alte Börsenweisheiten bedeuten – und was nicht

von | 6. Nov 2023 - 09:15 | Kutzers Corner

Viele Privatanleger lassen sich von sogenannten Börsenregeln und -weisheiten leiten – die einen mit Erfolg, andere werden enttäuscht. Sie zu kennen, kann nicht schaden. Doch sollte man den „Weisheiten“ nicht blind folgen!

Momentan spielen alte Grundsätze für Aktienanleger ohnedies nur eine Nebenrolle. Zu stark sind die Einflüsse der Geldpolitik (Liquidität, Zinsen), der Konjunktur (Wirtschaftswachstum, Unternehmensgewinne) und der Geopolitik (Krisen, Kriege).

Was Analysten aktuell empfehlen

Kurz- bis mittelfristig planende Anleger sollten deshalb stets die Tagesaktualität und die zugrunde liegenden Stimmungsschwankungen im Auge behalten. Dazu wieder Auszüge aus jüngsten Veröffentlichungen namhafter Analysten. So schreibt Mark Dowding, Chief Investment Officer bei RBC BlueBay Asset Management: Wir halten es nach wie vor für verfrüht, eine wesentliche Abschwächung der Wirtschaftstätigkeit zu erwarten. Nach einem konjunkturell sehr starken dritten Quartal und angesichts einer Kerninflation von noch immer 4 Prozent überrascht es nicht, dass die US-Notenbank an ihrem straffen Kurs festhält. In gewisser Hinsicht sorgte nur die jüngste Verschärfung der finanziellen Bedingungen – dank höherer Renditen für Anleihen mit längeren Laufzeiten – dafür, dass in der vergangenen Woche keine weitere Zinserhöhung erfolgte. Mit Blick auf die Zukunft erwarten wir in den Vereinigten Staaten schwächere Wirtschaftsdaten. Daher denken wir, dass die US-Zinsen ihren Höhepunkt bereits erreicht haben könnten. Es ist aber weiterhin verfrüht, eine Lockerung der Geldpolitik vor der zweiten Jahreshälfte 2024 zu erwarten.

Unterschiedliche Wirtschaftsdaten

An anderer Stelle lese ich: In Europa scheinen die Wirtschaftsdaten eindeutig auf eine Abkühlung hinzudeuten. Das Geschäftsklima verschlechtert sich weiter und in Deutschland zeigt sich eine deutliche Schwäche bei den Einzelhandelsumsätzen und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit im Jahresvergleich. Es ist nicht zu erwarten, so heißt es in der aktuellen Stimmungsbeschreibung diverser Häuser, dass die Europäische Zentralbank (EZB) weitere Zinserhöhungen vornehmen wird. Wie auch bei der US-Notenbank sind aber Zinssenkungen wohl noch in weiter Ferne.

Anders klingt es bei M.M. Warburg: Auch wenn beide Notenbanken derzeit betonen, dass es noch nicht an der Zeit sei, über Zinssenkungen zu sprechen, wird dieser Zeitpunkt kommen, wahrscheinlich eher früher als später. Rückenwind für die Aktienmärkte kommt bereits jetzt von den Unternehmensgewinnen. Die Berichtssaison für das dritte Quartal läuft gut. Vor allem in den USA konnten erneut mehr Unternehmen als sonst die Gewinnerwartungen übertreffen. Hinzu kommt, dass die schlechte Börsenstimmung darauf hindeutet, dass die meisten verkaufswilligen Investoren ihre Bestände bereits reduziert haben.

Wie die Historie zeigt, ist die Vorhersagekraft der Experten für Konjunkturabschwünge bemerkenswert schlecht. Von Mitte der 1960er Jahre bis heute kam es in den USA laut National Bureau of Economic Research (NBER) zu acht Rezessionen. Die Konsensus-Schätzungen, welche aus Umfragen unter Ökonomen erhoben werden, sprangen aber nur in zwei Fällen über die Wahrscheinlichkeitsschwelle von 50 % – und das auch nur, als die Rezession bereits eingetreten war.

Soft Landing oder Rezession

Für die Märkte dürfte die weitere Entwicklung – weiche Landung oder Rezession – nicht folgenlos bleiben, wobei es zu einem Zusammenspiel mit der Geldpolitik kommt. Jeder Rezession in den Vereinigten Staaten seit Mitte der 1950er Jahre ging ein Zinserhöhungszyklus der Fed voraus, aber nicht jeder Zinserhöhungszyklus führte zu einer Rezession. In den vergangenen 12 Zinserhöhungszyklen der US-Notenbank folgten auf die letzte Zinserhöhung stets negative Renditen im Leitindex S&P 500, wenn sich innerhalb der folgenden 12 Monate eine Rezession entwickelte. Im Gegensatz dazu rentierten die Aktienrenditen bei einem „Soft Landing“ oder wenn eine Rezession um mehr als ein Jahr nach der letzten Zinserhöhung verschoben wurde, deutlich positiv. Historisch gesehen war es eher der Konjunkturzyklus als der geldpolitische Zyklus, der das Schicksal der Märkte für risikobehaftete Vermögenswerte in erster Linie beeinflusste.

„Daumenregeln“ können Anlegern helfen

Flaute im Sommer und Rally im Herbst: Börsenweisheiten haben (meistens) ihre Berechtigung. Timing ist alles – doch den richtigen Zeitpunkt für den Kauf oder Verkauf von Aktien zu finden, ist nicht einfach. Insbesondere für Nicht-Börsenprofis gibt es deshalb Daumenregeln, die beim Anlegen helfen sollen. Das DZ Bank Research hat einige Börsenweisheiten unter die Lupe genommen. Im historischen Vergleich wird etwa deutlich, dass der April für den Dax in den letzten 20 Jahren der stärkste Monat war. Der deutsche Leitindex verzeichnete ein durchschnittliches Wachstum von fast 3 Prozent. Ab Mai ging es dagegen stark nach unten. Das Sprichwort „Sell in May and go away“ hat demnach Bestand. Ein ebenfalls starker Börsenmonat ist der November mit einem durchschnittlichen Wachstum von 2,6 Prozent seit dem Jahr 2003. Da auch Oktober und Dezember durch starkes Wachstum glänzen, ist die Dax-Jahresendrally im historischen Vergleich eine echte Börsenweisheit. Der Index legte im vierten Quartal durchschnittlich um 6,2 Prozent zu.

Taktische Allokation für Aktien und Anleihen

Im geldpolitischen wie im konjunkturellen Kontext, und auch unter Einbeziehung des jüngsten hauseigenen „Investment Summit“, liegt die folgende taktische Allokation von Aktien und Anleihen nach Einschätzung von Allianz Global Investors nahe:    Anleger sollten sich auf höhere Nominalzinsen bei strukturell erhöhter Inflation und anhaltender Volatilität einstellen. Erhöhte Risiken legen taktisch eine vorsichtigere Allokation bei Aktien nahe. Bei den Staatsanleihemärkten bestehen noch Durationsrisiken. Ein langsames Nachvornetasten ist aber denkbar, vor allem vor dem Hintergrund eines möglichen Rezessionsszenarios. Längerfristige Anleger sollten in ihre Überlegungen die Wirkung einer zu erwartenden höheren Inflationsrate mit einbeziehen, was eine strategisch erhöhte Aktienquote nahelegt. Letztlich geht es darum, positive Realrenditen, also Renditen nach Abzug der Inflation, zu erzielen, um zumindest den Kaufkrafterhalt der Kapitalanlage zu ermöglichen.

Jahresschluss-Rally möglich

Das Helaba Research ist schon seit einiger Zeit bullisch und bestätigt jetzt seine positive Haltung: Aktien haben mit einer Erleichterungsrally auf das Ende der Zinsschritte nach oben reagiert. Gut 3 % gewannen Dividendentitel weltweit hinzu, der deutsche Leitindex Dax nahm nach der desaströsen Entwicklung im Oktober in der ersten Novemberwoche mit Leichtigkeit die Marke von 15.000 Punkten. Das könnte nun der Beginn der Jahresend-Rally werden, da die nach wie vor niedrige Bewertung die Investoren lockt. Es bleiben allerdings die Abhängigkeiten von den geopolitischen Risiken.