Politik kann zur Bremse für die Börsen werden

von | 3. Jun 2024 - 08:24 | Kutzers Corner

Wo besondere Chancen sind, sind auch besondere Risiken. Als alter Optimist möchte ich heute einmal die Börsenampel auf Gelb schalten.

Bei allen Tagesschwankungen (= kurzfristiges Handeln der Profis) drängt sich zum Monatswechsel auch für Privatanleger eine nachdenkliche Haltung auf – Anlass sind die jüngsten negativen Nachrichten aus dem politischen und wirtschaftlichen Umfeld der Finanzmärkte. Die jüngsten Meldungen sind zum Teil widersprüchlich und ergeben kein klares Bild. Vor allem die politische Zuspitzung zwischen Moskau und der Nato sowie im Nahen Osten muss uns zunehmende Sorgen bereiten. Niemand kann die Gefahren konkret beurteilen. Deshalb müssen Sie sich selbst, geschätzte Leser, eine Meinung bilden und gegebenenfalls daraufhin Ihre Investmenttaktik anpassen. Vorweg: Meine Langfrist-Beurteilung bleibt bullisch für Sachanlegen, aber meine aktuelle Einschätzung wird von wachsender Vorsicht geprägt.

Inflation und Zinsen enttäuschen die „Bullen“

Enttäuschende News und Stimmungsberichte aus der Wirtschaft nahmen in der letzten Maiwoche zu, diesmal auch von der monetären Front. Das Statistische Bundesamt hat die vorläufigen Ergebnisse zur Entwicklung der deutschen Inflationsrate im Mai 2024 veröffentlicht. Die am Verbraucherpreisindex gemessene Inflationsrate ist von 2,2 auf 2,4 Prozent gestiegen. ZEW-Professor Friedrich Heinemann erklärt dazu: Dass die Inflationsrate jetzt nicht weiter fällt, hat einerseits statistische Gründe. Die Einführung des Deutschlandtickets liegt jetzt ein Jahr zurück. Der damit verbundene preisdämpfende Effekt fällt somit aus dem Vorjahresvergleich heraus.

Andererseits wäre es unzutreffend, die Hartnäckigkeit der Preisentwertung allein auf solche Basiseffekte zurückzuführen. Die Inflation der Dienstleistungen war zuletzt mit 3,4 Prozent noch voll im Gang. Beispielsweise steigen die Versicherungsprämien wegen hoher Kostenschübe etwa in der Pkw-Versicherung derzeit mit einer zweistelligen Rate. Hinzu kommen die aktuellen Lohnabschlüsse, die verständlicherweise die Kaufkraftverluste der letzten Jahre ein Stück korrigieren. Nicht übersehen sollte man auch die inflationären Kosten dauerhaft gestiegener durchschnittlicher Krankenstände. Arbeit, die bezahlt werden muss, aber nicht geleistet wird, treibt die Kosten und die Inflationsrate.

Politik und Märkte – ein Wahljahr

Und die Politik? Politische Wahlen laufen in der Regel lautstark ab und bringen Unsicherheit für die Kapitalmärkte mit sich. Im Jahr 2024 steht nicht nur die US-Präsidentschaftswahl an, auch das Europaparlament wird gewählt. Wie gehen Aktienmärkte mit diesem Wahljahr um? „Es schwingt vielerorts die Besorgnis mit, dass an den globalen Aktienmärkten nach dem hervorragenden Start ins Jahr 2024 eine ´politische Ernüchterung` einkehren könnte“, analysiert Thomas Grüner, Gründer von Grüner Fisher Investments, und fährt unter Hinweis auf die bevorstehenden Europa-Wahlen fort: Wie in diesen Tagen in Europa üblich, wird viel über den Vormarsch der ´rechtsextremen` Populisten gesprochen, was bei den traditionellen Parteien der Mitte für viel Unruhe sorgt. Das meiste davon ist soziologischer Natur und liegt außerhalb des Einflussbereichs der Märkte. Dennoch schwingt eine hohe Unsicherheit mit, dass sich marktrelevante Veränderungen ergeben werden. Beispielsweise könnten Maßnahmen wie der Green Deal – ein umfangreiches Paket von Subventionen und Zielen für erneuerbare Energien – in Frage gestellt werden.

Was kann sich in Europa ändern?

Die Wahlen zum Europäischen Parlament gelten oft als eine Protestwahl. Bürger, die mit der Regierungsführung der etablierten Parteien in ihren Heimatländern unzufrieden seien, würden eher für kleinere Parteien an beiden Enden des ideologischen Spektrums stimmen, um ein Zeichen zu setzen. Inwieweit dies der Fall ist, bleibt abzuwarten. Grüners Analyse: Kleinere Parteien regen tendenziell die Debatte an, aber die großen zentristischen Fraktionen werden normalerweise eine Einheitsregierung bilden und bestimmten die Tagesordnung. Umfragen würden darauf hindeuten, dass sich daran nichts ändern wird, was bedeutet, dass der Green Deal und andere Punkte – ob man sie nun wunderbar für Aktien oder für Fehlinvestitionen hält – wahrscheinlich intakt blieben. „Je mehr ein Status quo verlängert wird, den Unternehmen kennen, desto mehr wird es ihnen ermöglicht, vorausschauend zu planen und zu investieren, so dass die Wirtschaft und die Märkte brummen, während die Politiker im Hintergrund streiten“, beschreibt Grüner.

Die US-Wahl rückt näher

Nach der absolvierten Europawahl wird sich auch der Fokus der europäischen Anleger in die USA verlagern. Die US-Präsidentschaftswahl wird mit einer Menge Lärm einhergehen und Anleger tendenziell verunsichern. Im übergeordneten Blickwinkel ist es jedoch ebenso unwahrscheinlich, dass sich der Status quo tiefgreifend verändert und die Märkte von einem ´politischen Erdbeben` getroffen werden würden. Grüners gelassene Einschätzung: „Natürlich könnten sich Personalien ändern, sollte die US-Präsidentschaft von den Demokraten auf die Republikaner übergehen, ebenso könnten sich die Mehrheitsverhältnisse im US-Kongress ändern. Ein politischer Erdrutschsieg ist jedoch unwahrscheinlich und so wird das ausgeglichene Bild in den USA fortbestehen, welches bereits in der aktuellen Legislaturperiode für einen ausgeprägten politischen Stillstand gesorgt hat. Zudem würden sich mit Donald Trump und Joe Biden zwei Kandidaten gegenüberstehen, die bereits je eine Amtszeit als US-Präsident hinter sich haben, wodurch das Überraschungspotential für die Märkte eingeschränkt bleibt.“

Wahlen kein großes Risiko

Was schließen professionelle Strategen daraus? Wahlen können für Unsicherheit an den Aktienmärkten sorgen, diese haben jedoch längst bewiesen, dass sie sich konsequent darüber hinwegsetzen. Wahlergebnisse schaffen Klarheit und die schwindende Unsicherheit verleiht den Aktienmärkten tendenziell Rückenwind. Politische Pattsituationen schaffen eine vorteilhafte Situation, da sie das legislative Risiko gering halten. Unter diesem Stern würden die Ereignisse im Wahljahr 2024 stehen und das sei tendenziell positiv für die Aktienmärkte.

Kriegsgefahren werden noch vernachlässigt

Diese Denkweise klingt plausibel und mag viele Privatanleger überraschen, ist beim Blick auf die kommenden Monate in meinen Augen aber nicht stabil. Insbesondere die Drohungen im Ost-West-Konflikt sind nicht mehr zu unterschätzen. Ich befürchte deshalb, dass auch die Börsen – hier: die europäischen Aktienmärkte – in die Knie gehen können. Jetzt schon darauf einstellen? Wie gesagt, entscheiden Sie selbst, liebe Leser. Vielleicht ist es besser, kurz- bis mittelfristig an der Seitenlinie zu stehen und abzuwarten. Denn Sie wissen ja: Auch „Cash ist fesch“.

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