Börsen jetzt weiter mit Vorsicht genießen

von | 24. Jun 2024 - 08:21 | Kutzers Corner

Die Börsenkurse entwickeln sich zusehends uneinheitlich. Kurzfristige Anleger sollten eher mit Vorsicht ins zweite Halbjahr 2024 gehen.   

Klare Trends sind zur Jahresmitte nicht mehr zu erkennen. Die Wirtschaftsdaten und Konjunkturprognosen bleiben international und hierzulande gemischt. Das Jammern deutscher Unternehmen und ihrer Verbände nimmt hörbar zu. Damit verbunden ist der politische Ärger, denn die Kritik an der (noch) regierenden Ampel wird lauter. Das spiegelt sich auch in den aktuellen Börsenanalysen der professionellen Investmentstrategen wider: Ihre Berichte am Ende der vergangenen Woche bieten alles andere als ein klares Bild.

Ifo-Institut erhöht Wachstumsprognose

Haben die Finanzmärkte die Erholung der Wirtschaft ebenso wie die Zinswende weitgehend vorweggenommen? Es sieht so aus. Denn der jüngste Monatsbericht des Ifo-Instituts ist überraschend positiv ausgefallen, hat aber keine besondere Wirkung mehr auf die Börse gezeigt. Das Münchner Institut hat seine Prognose für das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr von 0,2 auf 0,4 Prozent heraufgesetzt. Im kommenden Jahr dürfte es sich beschleunigen auf 1,5 Prozent. „Es entsteht gerade neue Hoffnung“, sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. „Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich langsam aus der Krise. Das zweite Halbjahr 2024 dürfte deutlich besser ausfallen als das erste.“ Gleichzeitig wird die Inflation abflauen, von 5,9 Prozent im vergangenen Jahr auf 2,2 Prozent in diesem und auf nur noch 1,7 Prozent im kommenden Jahr.

Weitere Zinssenkungen erwartet

Im weiteren Verlauf des Jahres dürfte die Kaufkraft der privaten Haushalte weiter an Stärke gewinnen und die gesamtwirtschaftliche Erholung im Zuge der Normalisierung der Konsumkonjunktur an Tempo gewinnen.  Der weltweite Handel mit Waren und die globale Industrieproduktion dürften sich insbesondere ab der zweiten Jahreshälfte weiter erholen. Dazu trage auch eine allmähliche Belebung der Investitionen bei, die von der Lockerung der Geldpolitik in den Industrieländern unterstützt werde. Das Ifo rechnet mit zwei weiteren Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank im laufenden Jahr.

Sind Aktien teuer geworden?

Dennoch stellen sich Börsenprofis die Frage, ob Aktien inzwischen (zu) teuer geworden sind. Die Bewertungen stehen jetzt intensiver im Fokus. In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die Aktienmärkte als „relativ teuer“ einstufen und somit in absehbarer Zukunft allenfalls „mittelmäßige Renditen“ erwarten. „Begründet wird diese Sichtweise mit hohen Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGVs) – eine häufig auftretende Sorge”, erklärt Thomas Grüner, Gründer von Grüner Fisher Investments.

Nicht rückwärts denken

Tendenziell werde in den KGV-Diskussionen oft ignoriert, dass es sich um eine rückwärtsgerichtete Kennzahl handele. Beim „nachlaufenden“ KGV – Aktienkurse geteilt durch die Gewinne der letzten zwölf Monate – sei es offensichtlich, beim „erwarteten“ KGV – Aktienkurse im Vergleich zu den Gewinnerwartungen für das nächste Jahr – sei es etwas besser versteckt. „Die Gewinnerwartungen mögen versuchen, in die Zukunft zu blicken, aber sie werden von der jüngsten Vergangenheit beeinflusst und verschieben sich mit den früheren Ergebnissen nach oben und unten. Und Aktienkurse sind eine Momentaufnahme der vergangenen Performance, welche niemals Rückschlüsse auf die Performance der nahen Zukunft zulässt”, führt Grüner in seiner aktuellen Betrachtung aus.

KGVs würden häufig ihren Höchststand in der Nähe von Aktienmarktspitzen erreichen. Das sei ein wichtiger Grund, warum Anleger hohe KGVs nicht mögen. Aber sie neigten auch dazu, in neuen Bullenmärkten früh in die Höhe zu schießen, wobei der Effekt bei den nachlaufenden KGVs besonders ausgeprägt sei. Folglich ist es unsinnig, allein aus dem Niveau eines KGVs großartige Schlüsse zu ziehen. Die Tatsache, dass dieser Bullenmarkt im historischen Vergleich noch keine zwei Jahre alt ist, gibt Grüners Meinung nach Anlass, tief durchzuatmen.

Schwankungen sind normal

Gewisse Schwankungen könnten jederzeit auftreten. Der Fokus liege oft auf den Aktienkursen, zwangsläufig seien aber die Gewinne der Unternehmen ebenso relevant. In Bullenmarktphasen würden Gewinne dafür sorgen, dass der Nenner in der KGV-Gleichung anwachse, in Krisenzeiten sinke dieser. „Das macht die KGVs unübersichtlich, weil sich die zukunftsorientierten Aktienmärkte zuerst bewegen. In Bärenmärkten fallen die Aktienmärkte, da der Markt die zunehmende Wahrscheinlichkeit eines Gewinnrückgangs einpreist. Dieser Abschwung tritt in der Regel erst ein, wenn der Bärenmarkt bereits seit einiger Zeit im Gange ist. Manchmal beginnt er auch erst, wenn sich die Aktien – immer noch zukunftsorientiert – bereits erholt haben”, erläutert Grüner. In jedem Fall aber würden sich die Aktien in der Regel erholen, bevor die Gewinne stiegen. Daher komme es zu Beginn eines Bullenmarktes zu dieser seltsamen Kluft, bei der die Aktien steigen würden, während die Gewinne fielen. Dies führe zu einer Verzerrung der KGVs – der Zähler springe, während der Nenner sinke. Das bedeute nicht, dass die Aktien überbewertet seien, es sei reine Mathematik und in gewisser Weise mit der heutigen Situation vergleichbar. „Wichtig ist, dass zukunftsorientierte Faktoren für ein weiteres Gewinnwachstum sprechen, vor allem die steigende Dynamik der Unternehmensinvestitionen. Unternehmen investieren ihre Gewinne wieder in ihr Kerngeschäft und starten neue Projekte, verfügen über robuste Bilanzen und hohe Liquidität”, betont Grüner. Das kann man nur unterstreichen.

Uneinheitliche Kurse im zweiten Halbjahr?

Beim Studium der jüngsten Analysen werde ich an eine Episode erinnert, die ich immer wieder gerne erzähle: Vor ein paarJahrzehnten, zum Abschluss eines Investmentkongresses in Los Angeles begrüßte der prominente Keynote Speaker die 2.000 Teilnehmer mit einem großen Briefumschlag: „Hier sind 100 Namen von billigen Aktien drin (cheap stocks). Ich möchte die versteigern. Wer von Euch bietet?“ Spontan regte sich niemand, man wusste noch nicht, was das soll. Dann zog der der Redner lächelnd einen gleichgroßen Umschlag hervor: „Hier habe ich die Zettel mit den Namen von 100 Aktien, die steigen werden (stocks to rise) – andere Aktien.“ Tosender Applaus, man hatte verstanden. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die differenzierte Entwicklung an den Aktienmärkten im zweiten Halbjahr fortsetzen wird – einschließlich kurzfristiger Schwankungen. Mit welchem Ergebnis, bleibt offen. Sollten Sie, geschätzte Anleger, kurz- bis mittelfristig investieren wollen, kommen Sie an einer selektiven Auswahl nicht vorbei. Einen Umschlag mit 100 Titeln, die im Kurs garantiert steigen werden, kann ich Ihnen aber nicht liefern. Sorry.

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