Ehrgeizige Privatanleger suchen gerne nach „Erfolgsrezepten“ und „heißen Tipps“. Wichtiger ist jedoch, zunächst einmal sich selbst zu erforschen und ein möglichst umfassendes Geldmanagement vorzubereiten. Der Homo oeconomicus ist gut beraten, dabei die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie zu berücksichtigen.
„Erkenne Dich selbst – Überliste Dich selbst“ ist der Titel einer neuen Studie von Allianz Global Investors (AllianzGI), die helfen will, mit den Erkenntnissen der sogenannten Behavioral Finance“ sinnvoll zu investieren. Behavioral Finance – die verhaltenswissenschaftliche Finanztheorie – ist ein Denkansatz, der in der Kapitalanlage immer mehr Zuspruch erhält. Grundlagen bilden die Arbeiten von Daniel Kahneman und Amos Tversky, die mit ihrer „Neuen Erwartungstheorie“ (engl.: Prospect Theory) aus psychologischer Sicht eine Alternative zur bis dahin gängigen Annahme formulierten, dass der Mensch rein rational als Homo oeconomicus entscheidet. Sie konnten Verhaltensmuster aufzeigen, die eben nicht rational erklärbar sind. Ihren Einzug in die Finanzwissenschaft dürfte die Prospect Theory mit Richard Thaler erhalten haben, der die Erkenntnisse von Daniel Kahneman und Amos Tversky auf die Kapitalanlage anwendete, woraus dann die Behavioral-Finance-Theorie entstand.
Die entscheidenden Einblicke sind:
- Anleger sind auch nur Menschen. Ihre Entscheidungen sind nicht ausschließlich rational. Im Gegenteil.
- Sie neigen zu typischen Verhaltensmustern, die sich in den Börsenkursen niederschlagen.
- Die Verhaltensanomalien führen zu ineffizienten Märkten. Diese sind nicht nur ein Argument für das aktive Management, sondern lassen sich gezielt nutzen.
- Wer sich selbst erkennt, kann sich selbst überlisten und bessere, d. h. rationalere Investitionsentscheidungen treffen.
- Die Wissenschaft der Behavioral Finance liefert die Grundlagen für diese Selbsterkenntnis.
Eine Checkliste als Ausgangspunkt
Niemand ist frei von verhaltensorientierten Anlageentscheidungen, die in ihrer Folge zu suboptimalen Investitionen führen. Wir sind Menschen, keine Roboter. Bei uns wirken Herz und Hirn zusammen – und selbst das Hirn ist keine Maschine, die nur den einen Prozess zum richtigen Ergebnis kennt. Deshalb gilt bei jeder (Anlage-)Entscheidung: Überliste Dich selbst! Damit dies leichter gelingt, hier nochmal eine Checkliste, die jeder Entscheidung vorausgehen sollte:
Gegen Selbstüberschätzung hilft ein stringenter Investmentprozess, der emotionales Verhalten möglichst ausschaltet. Die Beschränkung auf ein Investmentuniversum, in dem der Anleger besondere Kenntnisse hat, sind ein erster Schritt der Selbstbindung. Dann sollte die fundamentale Analyse folgen, die auf zukünftig zu erwartende Erträge und nicht auf vergangene Erfolge blickt. Suchen Sie nach Informationen, die Ihrer Meinung widersprechen, und suchen Sie das Gespräch mit Menschen, die die Rolle des „Advocatus Diaboli“ übernehmen, das schützt vor der Sucht nach Selbstbestätigung. Denken Sie an die Gefahr, zu glauben, alles vorher gewusst zu haben, auch wenn Ihre Erinnerung dies suggeriert.
Ist die individuelle Anlagewelt groß genug?
Ist das „Fenster“, aus dem heraus Sie die Anlagewelt betrachten, groß genug, damit Sie zwischen den wichtigen Anlagealternativen entscheiden können, oder schauen Sie aus einem zu kleinen „Fenster“ („Framing“) in die Welt, weil Sie etwas besonders gut kennen („deutsche Unternehmen“), Ihnen eine Geschichte besonders gut gefällt („Internetwerte“) oder Ihnen etwas besonders nahe liegt (die Mietimmobilie in Ihrer Straße statt Immobilienanlagechancen rund um den Globus)? Schauen Sie häufiger einmal über den Tellerrand. Reduzieren Sie die Komplexität Ihrer Entscheidungen so, dass sie nicht zu eingeengt in der Sichtweise sind („Framing“), aber gleichzeitig nicht vor einem Informationswirrwarr stehen. Hier können langfristig getroffene Regelbindungen helfen: Wer einmal bestimmt hat, welcher Risikotyp er bei der Anlage ist, muss nicht dauernd aufs Neue seine Aktien-Anleihen-Quote neu festlegen und ist auch davor geschützt, ständig auf den Aktienkursticker zu starren. Wer einmal bestimmt hat, welche besonderen Investmentthemen (aufstrebende Staaten, neue Energien, Rohstoffe) er beimischen will und was ihm nicht ins Konzept passt, muss nicht ständig über alle möglichen neuen Angebote nachdenken.
Nur kaufen, was man auch verstanden hat
Komplexitätsreduktion kann auch bedeuten, grundsätzlich nur in das zu investieren, was man auch tatsächlich verstanden hat. Was nutzen die schönsten Investmentideen, die hohe Renditen versprechen, deren Risiken aber nicht abschätzbar sind? Und: Ein gutes Grundverständnis hilft ebenfalls bei der Komplexitätsreduktion. Wer z. B. verstanden hat, dass eine höhere Renditeerwartung grundsätzlich mit einem höheren Risiko zusammenhängt, der ist gefeit vor waghalsigen Investments, die am Ende doch nicht aufgehen. Die Gefahr eines fehlenden Grundverständnisses ist auch, dass Sie gute Chancen verpassen, weil Sie die Entscheidung darüber immer wieder – mangels Verstehens – vertagen. Deshalb investieren Sie in Ihre finanzielle Allgemeinbildung.
Werden Sie sich Ihrer Gefühlslage zum Zeitpunkt der anstehenden Entscheidung klar: Sind Sie vielleicht gerade besonders aufgeputscht durch Koffein oder eine Erfolgsserie in der Kapitalanlage, die zu Überheblichkeit führt? Schlafen Sie grundsätzlich eine Nacht über weitreichende Entscheidungen. Was dann noch gut ist, ist des zweiten Blickes würdig. Welchen gefühlsgesteuerten Verhaltensmustern unterliegen Sie möglicherweise? Neigen Sie zur Selbstüberschätzung? Lassen Sie sich gerade von einer bestimmten Marktphase oder von erzielten Kursgewinnen anstecken?
Verluste begrenzen, Gewinne laufen lassen
Was lässt Sie eigentlich an einem Wertpapier, das Verluste produziert, festhalten? Der Kaufkurs als Referenzgröße oder die begründete Erwartung zukünftiger Gewinne, auf deren Grundlage Sie den zu erwartenden Kurs neu berechnet haben? Stellen Sie sich die grundsätzliche Frage: Würde ich dieses Wertpapier heute wieder kaufen? Falls nicht: „Verluste begrenzen, Gewinne laufen lassen“ ist meist eine gute Regel gegen das Verdrängen von Fehlentscheidungen oder die verfrühte Gewinnrealisierung, die den schnellen Gewinn jetzt über zukünftig noch höhere Erträge stellt („Zeitpräferenz“).
Aktiv gemanagte Fonds können ein gutes Mittel gegen Verlustaversion und Verharrensneigung sein: Das Management übernimmt Kauf und Verkauf der Wertpapiere. Der Anleger delegiert diese Maßnahmen und bleibt nicht gefangen in der Neigung, Verlierer zu spät und Gewinner zu früh zu verkaufen. Folgen Sie nur der Herde, weil jeder über bestimmte Kapitalanlagen spricht, oder haben Sie eine eigene Meinung, die sich nicht von selbst ernannten Experten mit „heißen Tipps“ beeindrucken lässt? Recherchieren Sie selbst und suchen Sie dabei andere Pfade.
Dr. Hans-Jörg Naumer, Leiter Capital Markets & Thematic Research bei Allianz GI, schließt seine Studie mit folgender Empfehlung: „Disziplin ist wichtig. Wer regelmäßig seine Finanzanlage überprüft, läuft weniger Gefahr, Opfer des Vogel-Strauß-Verhaltens bei Verlusten zu werden.“