Aktien oder Anleihen? Diese klassische Frage beschäftigt Anleger und Anlageberater nach den jüngsten Notenbank-Beschlüssen noch intensiver als zuvor. Ich bekräftige unverändert mein Plädoyer für die langfristige Aktienanlage.
Viele Investoren fragen sich derzeit, ob sich vor dem Hintergrund der gestiegenen Zinsen eine Investition in die stark schwankenden Aktien noch lohnt. Edgar Walk, Chefvolkswirt von Metzler Asset Management, hat interessante Argumente und historische Vergleiche zusammengestellt. In seiner Analyse „Aktien – trotz gestiegener Zinsen noch attraktiv?!“ kommt er zu einer für Aktien positiven Antwort. Deshalb im Folgenden wesentliche Auszüge der Studie:
Höhere Zinsen nur auf Geldmarktanlagen
Die Europäische Zentralbank hat im September den Leitzins auf 4,0 Prozent erhöht. Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass die EZB im aktuellen Zyklus in einem relativ kurzen Zeitraum den Leitzins ungewöhnlich schnell anhob – nur zur Erinnerung: Noch im Juli vergangenen Jahres betrug dieser -0,5 Prozent. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass sich das Zinsniveau von 4,0 Prozent nur auf kurz laufende Geldmarktanlagen bezieht. Eine deutsche Staatsanleihe mit einer Laufzeit von 10 Jahren handelte zuletzt dagegen nur bei etwa 2,7 Prozent.
Der Grund dafür ist, dass die Finanzmarktakteure damit rechnen, dass die EZB den Leitzins bald wieder senken wird. Für das Jahr 2025 wird bereits wieder mit einem Leitzins von etwa 2,7 Prozent gerechnet. Das hängt damit zusammen, dass vor allem aufgrund der ungünstigen demografischen Entwicklung – die arbeitsfähige Bevölkerung in der Eurozone wird sich voraussichtlich in den kommenden Dekaden verringern – nur noch mit einem strukturell niedrigen Wirtschaftswachstum und damit einhergehend nur noch mit einem strukturell niedrigen Gleichgewichtszinsniveau von etwa 2,5 Prozent gerechnet wird. Natürlich handelt es sich hierbei nur um Prognosen und Erwartungen, die sich auch als falsch erweisen können. Nichtsdestotrotz spiegeln sie den gegenwärtigen, allgemeinen Kenntnisstand wider.
Hohes Zinsniveau nicht von langer Dauer?
Je länger der Anlagehorizont eines Investors, desto geringer das Risiko, mit Aktien hohe Verluste zu erleiden. Seit 1975 haben deutsche Aktien im Durchschnitt etwa 8,4 Prozent pro Jahr für Anleger erwirtschaftet. Zwischenzeitlich gab es zwar immer wieder turbulente Phasen mit erheblichen Kursschwankungen. Die dadurch entstandenen Verluste wurden aber immer wieder aufgeholt. So haben deutsche Aktien beispielsweise seit dem Zweiten Weltkrieg über eine rollierende Periode von 15 Jahren noch nie einen Verlust ausgewiesen. Im Gegensatz dazu unterliegt Festgeld keinen Schwankungen und lässt damit Anleger ruhig schlafen. Der Preis dafür aber ist, dass Festgeld seit 1975 nur einen durchschnittlichen Ertrag von 3,8 Prozent pro Jahr einbrachte – ein Wert nur knapp über der durchschnittlichen Inflation von 2,4 Prozent. Für die Altersvorsorge ist es aber wichtig, hohe durchschnittliche Erträge in der Kapitalanlage zu erzielen.
Was die „72-Regel“ besagt
Um dies zu verdeutlichen, lohnt sich ein Blick auf die sogenannte 72-Regel. Teilt man nämlich die Zahl 72 durch die erwartete Rendite eines Portfolios, erhält man den Zeitraum für die Verdopplung des eingesetzten Kapitals. Ein Anleger, der mit Zinsanlagen im Durchschnitt über die kommenden Jahre 3,0 Prozent Rendite pro Jahr erzielt, muss etwa 24 Jahre warten, bis sich sein Vermögen verdoppelt hat. Im Gegensatz dazu braucht ein Anleger mit einem Mischportfolio aus Aktien und Anleihen, das etwa 6 Prozent Ertrag erwirtschaften kann, nur 12 Jahre, bis sich sein Vermögen verdoppelt hat. Nach 24 Jahren ist sein Vermögen sogar doppelt so groß wie das eines Anlegers mit nur 3,0 Prozent Ertrag pro Jahr. Natürlich handelt es sich hierbei nur um historische Erfahrungen, die aber trotzdem gute Anhaltspunkte für die Zukunft bieten können.
Aus- und Einstieg am Aktienmarkt
Natürlich könnte es bei den aktuell hohen Zinsen auch eine Überlegung sein, jetzt in Festgeld zu investieren und bei zukünftig niedrigeren Zinsen wieder in den Aktienmarkt einzusteigen. Die Erfahrung zeigt aber, dass es oft lange Phasen am Aktienmarkt ohne größere Kursbewegungen gibt, die dann von wenigen Tagen mit starken Kursgewinnen abgelöst werden. Für Anleger kann es sehr schmerzhaft sein, genau diese Tage zu verpassen. So wurde beispielsweise aus einer Anlage von 10.000 Dollar am US-Aktienmarkt zwischen 1993 und 2022 ein Vermögen von rund 158.000 Dollar. Hätte ein Anleger die besten 10 Tage in diesem Zeitraum verpasst, hätte sich sein Ertrag mehr als halbiert auf etwa 72.000 Dollar. Ein Verpassen der 30 besten Tage hätte den Ertrag sogar auf nur noch knapp 27.000 Dollar reduziert.
Gute Chancen für Jahresendspurt
Soweit die langfristige Betrachtung. Bullische Argumente für Aktien gibt es aber auch auf kurz- bis mittelfristige Sicht. So schreibt das Helaba Research u.a.: Negative Konjunkturüberraschungen im Euroraum und China lassen nach. Der globale Zinserhöhungszyklus scheint sein Ende erreicht zu haben. Deutsche und europäische Aktien sind attraktiv bewertet. Das Zutrauen hiesiger Anleger in Aktien hat inzwischen den Tiefpunkt durchschritten. Im traditionell starken vierten Quartal dürften Aktien spürbar zulegen.