Wenn Wahlen auch die Börsen bewegen

von | 1. Jul 2024 - 08:32 | Kutzers Corner

„Election Uncertainty“ breitet sich aus, nicht nur am Finanzplatz London. Die aktuellen Orientierungsprobleme von Wirtschaft und Börsen nehmen weiter zu – eine Folge der innenpolitischen Unsicherheit durch wichtige Wahlen.  

Haben politische Börsen wirklich „kurze Beine“, wie Marktteilnehmer eine (von mir abgelehnte) Metapher gerne zitieren? Kann sein, muss aber nicht. Fest steht allerdings, dass in mächtigen Nationen richtungsweisende politische Veränderungen anstehen. Dabei geben westliche Demokratien kein ermutigendes Bild ab – Deutschland, England, Frankreich, USA. Die Aktienkurse gehen deshalb (noch) nicht tief in die Knie, doch könnten wir am Anfang einer zunehmend politisch beeinflussten Phase stehen. Es gilt jetzt zu beobachten, ob sich Wahlen und innenpolitische Gewichtsverlagerungen an den Märkten niederschlagen oder die Börsen nur dann von Wahlen nachhaltig bewegt werden, wenn diese gravierende ökonomische Konsequenzen auslösen.

Analysten blicken auf die Wall Street

In der letzten Juniwoche hat die politische Diskussion unter Investmentstrategen hörbar zugenommen. Dabei achten die Profis verstärkt auf die Entwicklungen in Washington D.C. und an der Wall Street. Interessante historische Vergleiche zeigen, dass es riskant sein kann, auf der Grundlage politischer Prognosen zu investieren. Dazu Rückblicke von Allianz Global Investors: Die US-Präsidentschaftswahlen 2016 haben die kurzfristigen Kursausschläge deutlich dokumentiert. Als die Ergebnisse am Abend des 7. November 2016 eingingen, wurden die Märkte zunächst nervös: Die S&P 500-Futures brachen über Nacht um bis zu 5 % ein. Mit der Eröffnung der Kassamärkte am 8. November 2016 wurden die Verluste jedoch rasch wieder wettgemacht, und bis zum Börsenschluss lagen Aktien um solide 1,2 % im Plus.

Daraus lässt sich einiges lernen. Erstens: Im Wahlkampfgetümmel geraten fundamentale Marktdaten leicht aus dem Blick. Zweitens: Führende Politiker stellen die Erfolge ihrer Wirtschaftspolitik zwar gern heraus, aber wahrscheinlich sind ihre Verdienste geringer als allgemein angenommen.

Unterschiedliches Gewicht der US-Präsidenten

Während der Amtszeit von Präsident Trump legten US-Aktien um knapp 70 % zu. Das ist nicht schlecht; es sieht so aus, als werde der Kursanstieg in der Amtszeit von Präsident Biden mit bisher 42 % seit dessen Amtseinführung schwächer ausfallen. Aber weder unter Trump noch unter Biden wurden so kräftige Kurszuwächse verzeichnet wie in der ersten Amtszeit von Präsident Obama oder in beiden Amtszeiten von Präsident Clinton. Das deutet darauf hin, dass die Regierungspolitik zwar durchaus von Bedeutung ist, aber zuweilen auch andere Faktoren in den Vordergrund rücken.

Dieses Anlageparadigma gilt auch außerhalb der USA. Im laufenden Jahr werden rund 4 Milliarden Menschen wählen (oder haben bereits gewählt) – also etwa die Hälfte der Weltbevölkerung. In den kommenden Wochen könnte es in Frankreich und Großbritannien zu politischen Kurswechseln kommen. Am 5. November stehen in den USA erneut potenziell spannende Wahlen bevor.

Und damit bestehen im aktuellen Umfeld reichlich Möglichkeiten, politisch motivierte Anlagefehler zu machen. Wenn die Stimmen erst einmal ausgezählt sind, werden für die Märkte eventuell wieder die alltäglichen Faktoren an Bedeutung gewinnen, die den Shareholder Value längerfristig beeinflussen.

Droht eine neue europäische Schuldenkrise?

Für uns Europäer steht das Geschehen bei unserem Nachbarn Frankreich im Fokus. Dessen Schulden sind zu hoch, heißt es in einer Studie von M.M. Warburg & Co. Die Staatsverschuldung, die mit über 110 Prozent der Wirtschaftsleistung ohnehin schon zu den höchsten in der Eurozone zählt (nur Griechenland mit gut 160 Prozent und Italien mit 137 Prozent haben eine noch höhere Verschuldung), dürfte weiter steigen, wenn der RN die nächste Regierung stellt. Ein solches Szenario ist allerdings auch ohne einen politischen Wechsel in Frankreich wahrscheinlich. Denn bislang ist davon auszugehen, dass das Haushaltsdefizit auch 2024 und 2025 über 5 Prozent des BIP liegen wird. Dies würde in den nächsten beiden Jahren zu einem Anstieg der Schuldenquote in Richtung 115 Prozent der Wirtschaftsleistung führen. Ohne deutliche fiskalische Anpassungen könnte in den kommenden Jahren ein weiterer Anstieg der Schuldenquote in Richtung 150 Prozent des BIP stattfinden. Damit drohen in Frankreich italienische oder gar griechische Verhältnisse! Kein Wunder, dass im Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen wieder häufig der Begriff „Schuldenkrise“ fällt.

Starkes Gewicht der EZB

Eine neue Schuldenkrise ist nach Einschätzung von Warburg dennoch unwahrscheinlich. Denn an einem Spieler kommt niemand vorbei: der Europäischen Zentralbank. Seit Mario Draghis berühmter „Whatever it takes“-Rede kann man sich darauf verlassen, dass die EZB im Falle einer Schuldenkrise als Bollwerk fungiert. Auch wenn die EZB grundsätzlich auf die Einhaltung der EU-Haushaltsregeln achtet, dürfte sie bei Turbulenzen an den Anleihemärkten eingreifen, um die Stabilität zu gewährleisten. Das „Transmission Protection Instrument“ (TPI) könnte von ihr bei Bedarf genutzt werden, um Anleihen von Ländern wie Italien, Spanien oder Portugal zu kaufen; französische Anleihen dürften aber außen vor bleiben. Damit droht Frankreich langfristig nicht nur ein Ansehensverlust, sondern auch ein dauerhafter Abstieg in die zweite europäische Schuldnerliga, nämlich in den „Club Med“ der weniger soliden südeuropäischen Länder.

Politische Folgen können langfristig wirken

Losgelöst von den kurzfristigen Spekulationen der Profis sollten Sie, geschätzte Privatanleger, in Ihrem Geldmanagement eine Besonderheit von Wahlen und deren möglichen Trendänderungen nicht aus dem Auge lassen: Politische Richtungswechsel, die auch das wirtschaftliche Geschehen verändern, haben meist langfristigen Charakter – sind also strategisch bedeutsam. Doch kann ich mir (noch) nicht vorstellen, dass angesichts der globalen Zukunftsaufgaben die aktuellen Anlageschwerpunkte aus politisch-wirtschaftlichen Gründen in Frage gestellt werden müssen. Bleiben Sie also neben dem Vorhalten von Liquidität langfristig in Sachwerten engagiert – ich denke dabei wie bisher an Aktien, Gold und Industrierohstoffe.

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