Die politische und wirtschaftliche Unsicherheit ist inzwischen ungewöhnlich groß geworden, bei uns und international. Experten empfehlen privaten Anlegern dennoch gelassen zu bleiben.
Anleger kennen längst die enormen Risiken durch politische Konflikte und Kriege sowie durch schwache Volkswirtschaften und Inflation. Die Börsen haben sich von alldem bislang nicht nachhaltig beeindrucken lassen, sondern orientieren sich unverdrossen an ihren Kurs-Höchstständen. Profis und Private fragen sich seit Monaten, ob das anhalten kann. Wie sollten sich Anleger jetzt verhalten?
„Bleiben Sie aktiv beim Abstieg vom Zinsgipfel“, resümiert Dr. Hans-Jörg Naumer in seiner jüngsten Marktanalyse. Der Director Global Capital Markets & Thematic Research von Allianz Global Markets (den ich seit langem sehr schätze) befasst sich jetzt insbesondere mit der Zinsentwicklung und dem Einfluss von Wahlen, vermittelt grundsätzliche Empfehlungen – im Folgenden aus der Analyse wesentliche Auszüge:
Was eine Zinswende bedeutet
Erinnern wir uns an das Jahr 2022, das mit roten Renditezahlen quer über fast alle Anlageklassen endete. Hintergrund war die Zinswende, welche zuvorderst von der US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) eingesteuert wurde. Der Zinsanstieg, der darauf folgte und dem sich Zentralbanken rund um den Globus anschlossen, war an Schnelligkeit und Heftigkeit geschichtlich so gut wie einmalig. Aber alles hat sein Gutes: So wurde die Phase extrem niedriger, ja sogar in weiten Bereichen des Anleihenmarktes negativer Anleiherenditen beendet. Die Kapitalmarktwelt kehrte annähernd wieder in einen Normalzustand zurück. Vorbei die Zeit der Ängste vor Deflation, vorbei die Zeit der Pandemie, vorbei auch die Nachwirkungen von Häusermarktkrise in den USA und Schuldenkrise in der Eurozone. Zwar hatte die Fed in der Zwischenzeit Anläufe genommen, sich aus diesem Szenario zu befreien, aber es kam ihr die Covid-Pandemie in die Quere. Als Resultat gibt es wieder positive Nominalrenditen am Geldmarkt und bei Anleihen.
Abstieg vom Zinsgipfel bereits eingeläutet
Aber Vorsicht. Der Abstieg vom Zinsgipfel ist bereits eingeläutet, daran sollte uns auch die November-Sitzung des Offenmarktausschusses der Fed gleich zum Monatsbeginn wieder erinnern. Und dieser Abstieg sollte sich bis in das Jahr 2025 hinein weiter fortsetzen. Gut für die Wirtschaft, herausfordernd für die Kapitalanlage, denn schon jetzt wird deutlich: Die hohen Nominalrenditen können, gerade bei kurzen und mittleren Laufzeiten, nicht gesichert werden.
Der Abstieg vom Zinsgipfel bedeutet auch: Wer mehr Rendite will, muss sich überlegen, wo er diese findet. Hilfreich sind hier die Lehren vergangener Gipfelabstiege. Von 1981 bis heute lassen sich bei der Fed neun Abstiegszyklen unterscheiden. Der jetzige wäre der 10. Betrachtet man den Zeitraum der Veränderung von der ersten bis zur letzten Zinssenkung und vergleicht die Rendite einzelner Vermögensgattungen mit der Alternativanlage am Geldmarkt (welche nach unten geschleust wurde), so zeigt sich in der Gesamtsicht, dass Anleihen in dieser rein historischen Betrachtung quer durch die Bank gut abschlossen und höhere Renditen erzielten als der Geldmarkt. Haarig wird es bei Aktien. Diese schnitten in dieser Gesamtsicht schlechter ab als die Anlage am Geldmarkt.
Erfolgreiche Inflationsbekämpfung
Aber Zinssenkungszyklus ist nicht gleich Zinssenkungszyklus. Der eine endete in der Rezession, beim anderen gelang es diese zu verhindern. Dies war in vier der neun Zyklen der Fall. Konzentriert man sich auf diese Form der „Versicherungszyklen“, bei denen die Geldpolitik die Zinsen hauptsächlich aus dem Motiv heraus gesenkt hat, einem Konjunkturabschwung vorzubeugen, so zeigt sich an anderes Bild. Auch hier schnitten die Anleihen besser ab als der Geldmarkt, aber auch die Aktien performten besser.
Zugegeben: Die frühere Wertentwicklung lässt nicht auf zukünftige Renditen schließen. Das ist der immer richtige und immer gültige Lehrsatz, der in jedem Beipackzettel zur Kapitalanlage stehen sollte. Und wenn man die Kapitalanlage auch nicht mit dem Blick durch den Rückspiegel steuern sollte, so entbehren die Ergebnisse doch nicht einer gewissen Logik: Gelingt es die Inflation zu bekämpfen (genau das zeigt die aktuelle Entwicklung), so tut dies Anleihen gut. Dann kommt es darauf an, eine Rezession zu vermeiden – in anderen Worten: Es kommt zu einer „sanften Landung“ der Wirtschaft.
Die konjunkturelle Entwicklung bleibt also weiter ganz oben auf der Agenda, denn die Historie zeigt auch, dass eine „Bruchlandung“ namens Rezession nie ausgeschlossen werden kann, wenn es auch zum jetzigen Stand nicht danach aussieht.
Taktische Allokation für Aktien und Anleihen
Während beim „soft landing“ das Rollfeld näherkommt und einige Konjunkturdaten zuletzt zeigten, dass mit einem unruhigen Landeanflug zu rechnen ist, bleiben Wachstum und Geldpolitik auf der Agenda. Außerhalb der USA finden Anleger ganz unterschiedliche konjunkturelle Hintergründe vor. In der Eurozone dominieren Abwärtsrisiken, während in China Hoffnung auf Besserung geschürt wird. In Japan erscheint die Wirtschaft ausreichend robust, derzeit dominiert die Entwicklung des Yen das Marktgeschehen.
Nicht ganz so einfach hat es da die Fed, die mit ihrer Geldpolitik dem Verlauf der Daten folgen will, und sich entsprechend in den Zyklus hineintastet. Der Datenkranz aus Inflations-, Arbeitsmarkt- und Konjunkturdaten legte eine Senkung bei der Sitzung Anfang November nicht zwingend nahe. Gemäß den Verlautbarungen der Fed-Offiziellen scheint diese aber wahrscheinlich. Im Dezember dann sollte es schwieriger werden. Dazu die Wahlen in den USA gleich zu Beginn des neuen Monats. Zum Zeitpunkt des Schreibens ist auf Grundlage der Wahlumfragen nicht erkennbar, wer die größten Chancen auf das höchste Amt der Vereinigten Staaten hat, noch wie sich die Mehrheitsverhältnisse in den beiden Kammern des Kongresses darstellen werden.
US-Wahlergebnis besonders wichtig
Das Wahlergebnis ist, gerade aus dem Blickwinkel der Konjunktur, nicht unwichtig. Zu den Schlüsselbereichen, in denen der Präsident, respektive die Präsidentin, ohne große Beteiligung des Kongresses Veränderungen bewirken kann, gehören Handel (Zölle), Außenpolitik, Regulierung und Klimapolitik. Der Kongress kontrolliert die Bundeskasse, was bedeutet, dass ein Präsident für die meisten Politiken, die sich auf Steuern und Ausgaben auswirken, Mehrheiten im Repräsentantenhaus und im Senat haben muss. Dabei zeigt sich, dass beide Kandidaten ausgabenfreudig sind, was zumindest kurzfristig gut für die Konjunktur sein sollte. Kamala Harris geht allerdings stärker in Richtung Steuererhöhungen zur Gegenfinanzierung als ihr Mitbewerber Donald Trump.
Einsteigen oder abwarten?
Auch bei den vorherrschenden negativen Realrenditen gilt die eiserne Regel: Wer mehr Rendite will, muss bereit sein, höhere Risiken in Form höherer Kursschwankungen in Kauf zu nehmen. Damit geraten die Aktienmärkte in den Blickpunkt. Die Historie zeigt, dass sich dies über alle Höhen und Tiefen hinweg gelohnt hat, aber es gab auch schmerzliche Perioden dazwischen. So stellt sich die Frage: Am Aktienmarkt einsteigen, oder doch lieber noch abwarten? Die Unsicherheiten sind erhöht. Gerade die Invasion in der Ukraine führt zu vielen Unabwägbarkeiten. Nicht zu vergessen: Die steigenden Inflationsraten und Geldpolitiken, die vom großen Bild her die Zinszügel wieder straffen.
Einsteigen oder Abwarten? Das ist also die Frage. Verhaltensökonomisch betrachtet keine einfache Entscheidung, denn die typischerweise vorherrschende Risikoaversion führt dazu, dass Anleger möglicherweise zu lange warten. Die Verlustaversion ist einfach zu stark. Das kann aber dazu führen, dass Rendite liegen bleibt. Die Vergangenheitsbetrachtung verdeutlicht dies: Hatte ein Anleger über die letzten 25 Jahre z. B. in den globalen Aktienmarkt investiert, der hier mit dem MSCI-Welt abgebildet wurde, dabei aber die besten 20 Tage an der Börse verpasst, erzielte er eine Durchschnittsrendite von jährlich 2,7 %. Verpasste er sogar die besten 40 Tage, musste er einen Verlust von 0,6 % pro Jahr hinnehmen. War er dagegen die ganze Zeit investiert, konnte er sich über knapp 8 % p.a. freuen. Natürlich ist das der Blick in den Rückspiegel. Die Vergangenheit wird sich kaum 1:1 wiederholen, aber der Blick ist lehrreich, weil er die Kosten des Abwartens veranschaulicht.
Was helfen kann, ist ein schrittweises Einsteigen, also eine ratierliche Vorgehensweise. Dabei wird der Betrag, der investiert werden soll, festgelegt, aber er wird nicht auf einmal, sondern über jeweils gleiche Beträge aufgeteilt über einen bestimmten Zeitraum investiert, z. B. über ein halbes Jahr. Verhaltenspsychologisch betrachtet wird die Selbstbindung an eine Strategie mit dem von Sparplänen bekannten Durchschnittskosteneffekt verbunden.
Insgesamt dürften die Bedingungen sowohl für Anleihen als auch für Aktien positiv bleiben, wobei der Fokus vor allem auf Aktien der Industrieländer, Investment-Grade-Unternehmensanleihen und Staatsanleihen nahe liegt.