Was Profis fürs zweite Halbjahr empfehlen

von | 8. Juli 2024 - 08:21 | Kutzers Corner

Was steht den Anlegern im zweiten Halbjahr bevor? Börsen-Bullen und -Bären haben unverändert Argumente. Eine eindeutige Mehrheitsmeinung lassen die Profis momentan nicht erkennen.

In der vergangenen Woche waren es vor allem politische Entwicklungen rund um den Globus, die den Kapitalmarkt beschäftigten. Damit haben sich meine Sorgen bestätigt. Im Gegensatz zu verschiedenen Volkswirten und Finanzanalysten sehe ich keine Entspannung von dieser Seite am Horizont. Im Gegenteil, die innen- und geopolitischen Ausstrahlungen können noch weitaus stärker auf die Märkte wirken, auch längerfristig. Das bedeutet, dass die konkreten Prognosen (soweit es überhaupt welche gibt) nur mit Fragezeichen zu versehen sind.

Ruhige Sommermonate – auch diesmal?

Dazu schreibt Mark Dowding, Chief Investment Officer bei RBC BlueBay Asset Management: „Vor uns liegen die historisch häufig ruhigeren Sommermonate. Allerdings besteht ein hohes Maß an Unsicherheit ob des makroökonomischen Umfelds und wir bekommen noch eine Menge neuer Wirtschaftsdaten, die es zu interpretieren gilt. Dazu kommen die politischen Entwicklungen in Europa und den Vereinigten Staaten, wo es schockierend ist, zu sehen, in welche Lage sich die Demokraten mit ihrem aktuellen Präsidentschaftskandidaten Biden gebracht haben. Die Zeit ist definitiv nicht auf der Seite des noch amtierenden US-Präsidenten.“

Welche Risiken existieren

Die meisten Börsenexperten widmen sich inzwischen also intensiver den Risiken. So lese ich bei Simon Landt von M.M. Warburg & Co.: „Selbstverständlich sind unsere Prognosen mit Unsicherheit behaftet. Zu dem wahrscheinlich größten Risiko zählt eine hartnäckigere Inflation.“ Kurzfristig könnten steigende Energiepreise sowie eine anhaltend hohe Dienstleistungsinflation für Preisdruck sorgen. Mittel- bis langfristig könnten handelspolitische Spannungen zu höheren Zöllen führen und damit die Importe verteuern. Im Mai erhöhte die Biden-Administration beispielsweise die Zölle auf Elektroautos aus China von 25 auf 100 Prozent und auch die EU kündigte Zölle auf Elektroautos aus China an. Gleichzeitig dürften Unternehmen die Ausgaben für den klimagerechten Umbau von Produktionsstätten an die Konsumenten weitergeben und damit den Preisdruck aufrechterhalten.

Neben der Inflationsunsicherheit bilden die zunehmenden geopolitischen Spannungen ein ernst zu nehmendes Risiko. Da sind zum einen der anhaltende Krieg zwischen Russland und der Ukraine sowie der Nahost-Konflikt und zum anderen die Spannungen zwischen Taiwan und China zu nennen. Jetzt kommen aber immer mehr und schwerwiegende innenpolitische Spannungen hinzu – Deutschland, Frankreich, Großbritannien, USA. Es ist noch nicht abzusehen, was das für Europa, die Nato und den Weltfrieden bedeutet.

Dennoch kommt der Warburg-Banker (anders als meine Warnungen) zu einem durchaus zuversichtlichen Fazit seiner jüngsten Analyse: „Insgesamt bleibt das wirtschaftliche Umfeld für die Kapitalmärkte aber konstruktiv, sodass wir weiterhin optimistisch in die Zukunft blicken.“

Was man kurzfristig tun kann

Was können Sie, geschätzte Anleger, in diesem unsicheren, aber (noch) nicht dramatisch-turbulenten Umfeld tun? Der Investmentgigant Allianz Global Investors  empfiehlt in seiner jüngsten Analyse u.a. folgende taktische Allokation für Aktien und Anleihen: Aktien sollten von der Markterwartung fallender Leitzinsen bei weiterhin positiven Wachstumsdaten profitieren. US-Aktien weisen auf Indexlevel erhöhte Bewertungen auf – was die Erwartung einer „sanften Landung“ widerspiegelt. Aktien der Eurozone erscheinen insgesamt neutral bewertet, während Aktien des Vereinigten Königsreichs und der aufstrebenden Länder günstig erscheinen.

Für internationale Investoren bietet sich in Anbetracht der politischen Unsicherheiten rund um Frankreich und Europa eine Bevorzugung des US-Dollars an. Dieser gilt als „sicherer Hafen“ und sollte weiter von einer positiven Zinsdifferenz gegenüber dem Euro profitieren. Wir dürften uns am Beginn eines Zinssenkungszyklus befinden, den einige Zentralbanken, incl. der EZB, bereits (vorsichtig) eingeläutet haben. Weltweit waren über die letzten sieben Monate mehr Leitzinssenkungen als Anhebungen zu sehen.

Die Risiken der Politik 

Die Strategen der DekaBank beschäftigen sich in ihrer jüngsten Börsenanalyse insbesondere mit den Risiken, daraus Auszüge: Ein Blick auf unsere Prognosezahlen verdeutlicht, dass es für die Analysten in den vergangenen Wochen wenig Überraschendes gab. Weder die Aussichten für das Wirtschaftswachstum noch diejenigen für die Kapitalmärkte mussten nennenswert angepasst werden. Lediglich die Prognosen für die Renditen von deutschen und US-Staatsanleihen haben wir etwas nach unten korrigiert. Damit steht die Weltwirtschaft weiterhin ganz gut da: Die globale Wirtschaftsleistung steigt in diesem und im nächsten Jahr nach Abzug der Inflation um rund 3 %, die Inflationsraten nähern sich in den meisten Ländern weiter den Zielen der Notenbanken an, die Zinsen und Renditen gehen moderat zurück, und an den Aktienmärkten erwarten wir im Trend Kursgewinne.

Das Resümee der Frankfurter Banker: Es könnte alles so schön sein, wenn da nur nicht die Politik wäre. Die Europa-Wahlen haben unterstrichen, was sich schon seit einiger Zeit abgezeichnet hatte: Viele Wähler verabschieden sich von der politischen Mitte. Die Parlamentswahlen in Frankreich zeigen für unser Nachbarland einen klaren Rechtsruck. In den USA senden beide Präsidentschaftskandidaten klare Signale, dass sie die Staatsausgaben eher erhöhen als senken wollen. Diese politischen Themen nähren die Sorgen davor, dass die Kapitalmärkte die Staaten für ihre steigenden Staatsschulden mit deutlich höheren Renditen bestrafen könnten. Und das Risiko erneut steigender Inflationsraten würde mit einer starken Ausweitung der Staatsausgaben auch zunehmen.

Alle diese Sorgen sind berechtigt. Doch die befürchtete Entwicklung würde, so sie denn wirklich kommt, schleichend vonstattengehen. Bis politische Ideen in die Realität umgesetzt werden, vergeht oft viel Zeit – und meist werden die Ideen auch nicht in vollem Umfang umgesetzt. Zudem können die Kapitalmärkte, wenn sie den allzu lockeren Umgang mit den Staatsfinanzen mit höheren Renditen quittieren, durchaus eine sehr disziplinierende Wirkung entfalten.