Sind die Börsianer jetzt zu optimistisch?

von | 12. Mai 2025 - 08:09 | Kutzers Corner

An den Finanzmärkten hat sich mittlerweile eine vorsichtig optimistische Haltung durchgesetzt. Die Politik bleibt jedoch ein Risikofaktor.

Die Finanzmärkte sind weiterhin – eher noch mehr als zuvor – auf das Thema Ost-West-Konflikt und Handelsabkommen fokussiert. Klar ist, dass die Weltwirtschaft umso stärker getroffen wird, je umfassender Trump die Zölle belässt. Auf die negativen Auswirkungen für die US-Wirtschaft hat auch Fed-Chef Powell hingewiesen, der sowohl Inflations- als auch Wachstumsrisiken sieht. Eine Stagflation müsse laut Powell unbedingt verhindert werden. Er hat offengelassen, welchem Ziel die Notenbank im Konfliktfall Priorität einräumen wird. Die Zeit läuft, da im Juli die von Präsident Trump eingeräumte 90-Tage-Frist endet.

Wohl deshalb reagierten die Anleger mit Erleichterung, als der Deal mit Großbritannien verkündet wurde. Allerdings sind viele Details noch offen. Am grundsätzlichen 10 %-Zoll für britische Einfuhren hat sich bisher nichts geändert, aber es wurden einige Zugeständnisse ausgehandelt für Autos, Stahl, Flugzeugbestellungen und Flugzeugteile. Die Hoffnung der Marktteilnehmer, dass sich dieses bilaterale erste Abkommen einfach auf die Schwergewichte China und Europa übertragen lässt, könnte sich als trügerisch erweisen.

Die Märkte bleiben unsicher

Nach den Turbulenzen im April und einem ersten Handelsabkommen der Trump-Regierung macht sich an den Märkten wieder bessere Stimmung breit. Internationale Analysten schränken allerdings ein: Vielleicht ist der Optimismus sogar zu groß, gibt Mark Dowding von RBC BlueBay Asset Management zu bedenken. Begründung: Die Märkte bleiben von Unsicherheit geprägt. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) steht vor zweierlei Herausforderungen: dem Risiko steigender Inflation und dem Risiko sinkenden Wachstums. Hinzu kommt eine zunehmende Arbeitslosigkeit.

Zwar hat das neue Handelsabkommen zwischen den USA und Großbritannien für Optimismus gesorgt, aber hinter den Überschriften verstecken sich ungeklärte Details. Auch für andere Staaten könnten Handelsabkommen anstehen, mit der Europäischen Union (EU) dürfte aber vor Juli keines zustande kommen. Der Konflikt mit China könnte sich mittelfristig entspannen, aber Zollraten von weniger als 60 Prozent werden nicht erwartet. Vielmehr könnte sich der Handelskonflikt auf Dienstleistungen ausweiten, nachdem Donald Trump vorgeschlagen hat, Zölle auch auf Filme von außerhalb der USA zu erheben.

Weitere Probleme in der Zukunft?

Insgesamt sehen die RBC-Strategen „ein bisschen viel Optimismus“ im Markt. Es scheine der Glaube vorzuherrschen, dass die Trump-Administration nach dem vermeintlichen Höhepunkt des Handelskonflikts im April ihren Kurs geändert hat. Und dann heißt es im neuen Wochenbericht: „Wir gehen dagegen von weiteren Problemen in der Zukunft aus.“

Man rechnet derzeit mit einem Wachstum von 0,5 Prozent in den USA auf jährlicher Basis. Eine Rezession scheint zum jetzigen Zeitpunkt noch abwendbar, eine steigende Arbeitslosigkeit führt aber möglicherweise dazu, dass sich das ändert. Die Inflation könnte den Wert von 4 Prozent übertreffen, was vor allem von Energie- und Nahrungsmittelpreisen abhängt. Letztere könnten sinken, da die bisherigen Exporte nach China nun auf dem heimischen Markt untergebracht werden müssen.

Für Deutschland hoffen die Analysten auf gute Nachrichten, denn die fiskalische Expansion könnte die Erwartungen übertreffen. Außerdem scheint man in der EU auf Einigkeit angesichts der neuen US-Politik zu setzen. Es gilt sogar als wahrscheinlich, dass die Wirtschaft in der EU im Jahr 2025 schneller wächst als die in den USA.

Politische Faktoren bleiben bestimmend

Auch Benjamin Melman, Global Chief Investment Officer bei Edmond de Rothschild Asset Management, sieht die Kapitalmärkte weiterhin maßgeblich von politischen Faktoren geprägt. In seinem jüngsten „Letter from the CIO“ kommentiert Melman die geplanten Maßnahmen der US-Regierung, die Herausforderungen für europäische Aktien und die Aussichten für die Rentenmärkte:

„Der S&P-500-Index kehrt nun zu seinem Stand vor dem ‚Liberation Day‘ zurück, obwohl das Vertrauen der Wirtschaftsakteure stark erschüttert wurde. Die Markterholung scheint durch die von der Trump-Regierung kommunizierte Vorstellung genährt zu werden, dass die Regierung ab dem 4. Juli den Protektionismus aufgeben und zu ihren Steuersenkungs- und Deregulierungsprogrammen übergehen wird.“

Trumps Maßnahmen brauchen Zeit

Weiter wird argumentiert: Die geplante Umsetzung von Donald Trumps Maßnahmen ist plausibel, aber fragil. Erstens wird allgemein davon ausgegangen, dass die Neuformulierung eines Handelsabkommens mindestens 18 Monate dauern wird. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die US-Regierung die Handelsgespräche mit ihren 14 wichtigsten Partnern in nur drei Monaten abschließen kann, geschweige denn mit allen anderen. Hinzu kommt, dass die Gespräche mit China zwar wieder aufgenommen wurden, aber immer noch in einer Sackgasse stecken. Da sich China für eine Machtdemonstration entschieden hat, scheint die Klärung der wichtigsten Handelsfragen bis zum 4. Juli dieses Jahres ein ehrgeiziges Ziel zu sein.

Zweitens könnten die Einführung eines neuen Mindestzolls von 10 Prozent, der durch die Unsicherheit ausgelöste Schock und der Vertrauensverlust durch widersprüchliche Ankündigungen der US-Regierung das US-Wachstum ebenfalls bremsen und zu einer möglichen Rezession führen. Einige Kettenreaktionen könnten bereits im Gange sein, wie Investitions- und Einstellungsstopps, und die Unternehmensleitungen werden sich nicht von der politischen Agenda der US-Regierung leiten lassen.

Europa braucht starke Politik

In Europa wird eine mögliche Erholung der Aktienmärkte nach Analysteneinschätzung eher von der Fähigkeit der europäischen Institutionen abhängen, Pläne auf den Weg zu bringen, als von der Hoffnung auf Wirtschaftswachstum schon in den kommenden Monaten. In Deutschland zeigt die Ankündigung eines umfassenden Plans für Infrastruktur- und Verteidigungsausgaben, der von Friedrich Merz noch vor seinem Amtsantritt als Bundeskanzler auf den Weg gebracht wurde, dass Europa positiv überraschen kann. In der nächsten Phase wird sich zeigen, ob Europa in der Lage sein wird, die Empfehlungen des Draghi-Berichts ganz oder teilweise umzusetzen. Neben der Verteidigung – einem Bereich, in dem die Budgets bereits stark angehoben wurden – und den Plänen zum Bürokratieabbau könnte die Energiesicherheit eine weitere Priorität sein. Auch die Stärkung des europäischen Finanzsystems wird diskutiert (Vollendung der Bankenunion, Zusammenführung der nationalen Kapitalmärkte zu einem einheitlichen Markt, der von einer einzigen Regulierungsbehörde überwacht wird, Entwicklung eines europäischen Sparplans).

Das Thema ist aber komplex und viele glauben, dass es im laufenden Jahr nicht angegangen werden kann. Insgesamt braucht Europa einen starken politischen Impuls, um voranzukommen und seine Ziele zu erreichen. Die nächsten Wochen sollten ereignisreich sein und uns mehr Klarheit über diesen ‚New Deal‘ bringen.