Sind die Aktienkurse jetzt zu weit gegangen?

von | 10. Juni 2025 - 08:23 | Kutzers Corner

Trotz aller Skepsis profitieren die Weltaktienmärkte weiter von wirtschaftlicher Wachstumsfantasie und hoher Liquidität.  

Die Stimmung der Börsianer bleibt uneinheitlich, die Kursentwicklung der Aktien aber widerstandsfähig. Der World Index hat jetzt seinen bisherigen Höchststand aus dem Februar hinter sich gelassen. Nicht überrascht hat in der vergangenen Woche die erneute Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank. Dabei spielten die optimistischeren Wachstumsprogosen diverser Institutionen und Volkswirte eine Rolle. Die Europäische Zentralbank hat nun zum achten Mal seit Juni 2024 die Leitzinsen gesenkt. Der Einlagezins wurde um 0,25 Prozentpunkte auf zwei Prozent reduziert. Für das laufende Jahr erwartet die EZB ein Wachstum von 0,9 Prozent, für das Jahr 2026 1,1 Prozent und für 2027 1,3 Prozent. Die Inflationsprognose für das Jahr 2025 wurde auf exakt zwei Prozent gesenkt – zuvor waren es 2,3 Prozent. Im Jahr 2026 soll die Teuerung auf durchschnittlich 1,6 Prozent sinken und 2027 wieder zwei Prozent erreichen.

Präsidentin Christine Lagarde betonte, die Europäische Zentralbank befinde sich nun in einer guten Position: Man nähere sich dem Ende des geldpolitischen Zyklus – sofern sich die Datenlage nicht verschlechtere. Der Devisenmarkt reagierte: Der Kurs des Euro stieg auf 1,1495 US-Dollar. Die Renditen zweijähriger europäischer Staatsanleihen zogen an, deutsche Papiere legten um rund 0,08 Prozentpunkte zu.

Dax weiter außer Rand und Band

Beim Blick auf den deutschen Aktienmarkt mischt sich in das Staunen über die bisherige Aufwärtsbewegung aber auch zunehmende Vorsicht der Profis. Es mehren sich die Stimmen, dass die Luft knapper für den deutschen Leitindex werden dürfte. Dieser hat im laufenden Jahr schon um 22 Prozent zugelegt hat und damit andere wichtige Indizes weltweit klar in den Schatten gestellt. Während der Dax sein Rekordhoch am Donnerstag auf fast 24.500 Punkte hochgeschraubt hat, kann der US-Leitindex Dow Jones Industrial im Jahresverlauf noch nicht einmal Gewinne aufweisen.

„Der Dax ist seit einigen Monaten außer Rand und Band“, schrieb am Freitag der DZ-Bank-Analyst Sören Hettler in einem Strategiepapier. Der Index bewege sich mittlerweile im „teuren“ Bereich und berge daher zunehmende Rückschlagrisiken. Stolpersteine gebe es reichlich, allen voran ausgehend von der Politik des US-Präsidenten Donald Trump. Einen „bedeutenden Schönheitsmakel“ sieht er auch in aktuellen Bewertungskennziffern.

Sind deutsche Aktien jetzt teuer?

Die Bank of America erneuerte am Freitag ihre Skepsis, ob sich die Stärke des Dax fortsetzen könne. Investmentstratege Sebastian Raedler wies darauf hin, dass die zyklische deutsche Wirtschaft besonders anfällig sei für ein sich abschwächendes globales Wachstum. Er bleibt gegenüber europäischen Aktien negativ eingestellt und rät bei deutschen Papieren zum Untergewichten. Die derzeit gezahlten Preise seien zu optimistisch.

Die neue Börsenwoche begann bereits am Pfingstmontag, an dem an der Frankfurter Börse gehandelt wurde. Wie es weitergeht, darüber dürften die fortschreitenden Gespräche mit der US-Regierung über die Beseitigung von Zollschranken mitentscheiden. Die Hoffnung auf mögliche Einigungen galt zuletzt als Kurstreiber und generell schien es, als ob Anleger im Handeln von Trump eine Taktik ausmachten. Marktbeobachter benutzten zuletzt verstärkt die Abkürzung „TACO“, die für „Trump Always Chickens Out“ steht. Übersetzt drückt dies die Erwartung aus, dass der US-Präsident letztlich stets Rückzieher macht.

Merz-Besuch gut aufgenommen

Bundeskanzler Friedrich Merz hatte am Donnerstag seinen Antrittsbesuch beim US-Präsidenten „unfallfrei“ absolviert, hieß es von Helaba. Trump hatte ihn im Weißen Haus überraschend freundschaftlich empfangen. Merz sieht nach dem Besuch in Washington eine gute Basis für anstehende internationale Gipfeltreffen. In Handelsfragen sei eine engere Kooperation vereinbart worden.

Final erreicht ist damit aber noch nichts, genauso wie in den Gesprächen zwischen den USA und China. „Die Zuckungen von Donald Trump werden auch in Zukunft die Finanzmärkte bewegen“, lautet daher die Befürchtung des Marktexperten Christian Apelt von der Helaba. „Nach Chaos und Panik im April hat sich zuletzt so etwas wie Wohlgefälligkeit breit gemacht“, ergänzte sein Kollege Patrick Franke. Damit steige aber das Risiko von negativen Überraschungen und Rückschlägen.

Geldpolitik mit Fragezeichen

Geldpolitisch dauert es wohl noch, bis Anleger neue Erkenntnisse bekommen. Seit Donnerstag ist bekannt, dass die EZB den Zinssenkungszyklus nach der achten Senkung seit Juni 2024 am Ende sieht. Das nächste Mal richtig spannend wird es am 18. Juni, wenn die Kollegen aus den USA am Zug sind. Indikationen für den Fed-Entscheid könnten am Mittwoch die aktuellen Zahlen zu den US-Verbraucherpreisen liefern. Ansonsten ist der Datenkalender in den kommenden Tagen dünn.

Die Unsicherheit, mit der sich Kapitalmärkte und Volkswirtschaften derzeit herumschlagen müssen, könnte größer kaum sein, schreiben die Strategen von Allianz Global Investors in ihrer jüngsten Analyse. Und weiter: Dabei ist es nicht die Geopolitik, die für eine derartige Verwirrung sorgt, sondern es sind die selbstgemachten ökonomischen Zerwürfnisse. Zumindest zeigt sich, dass der Index für geopolitische Risiken sich in jüngerer Zeit kaum verändert hat, während der Index für wirtschaftspolitische Unsicherheit geradezu raketenhaft angestiegen ist. Beide Indikatoren basieren auf Algorithmen, welche die Zeitungsberichterstattung nach jeweils geo- bzw. wirtschaftspolitischen Schlagwörtern unter Risikoaspekten einsortieren. Verwunderlich ist diese Entwicklung nicht. Handelspolitik, steigende Staatsschulden, die als Folge der jüngsten Budgetbeschlüsse des US- Repräsentantenhauses weiter wachsen dürften, der Verlust des Tripple-A-Ratings für die US-amerikanischen Staatsschulden, die Kritik an der unabhängigen US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) – alles das erhöht die Unsicherheit.

Das Unangenehme daran ist: Anders als Risiken, die abschätzbar sind, lassen sich Unsicherheiten eben nicht berechnen. Dennoch müssen die Kapitalmärkte versuchen, dies abzuschätzen und in Form einer Unsicherheitsprämie einzupreisen.