Jetzt beginnt die Zeit der Fragezeichen

von | 11. Nov 2024 - 08:51 | Kutzers Corner

Trump im Haus, Ampel geht aus. Die Finanzmärkte waren schon in den zurückliegenden Wochen zunehmend unsicher geworden. Jetzt ist aber auch die robuste Kursentwicklung gefährdet.

Die Amerikaner haben sich doch wieder den umstrittenen Donald Trump ins Haus geholt. Und hierzulande sorgt eine historische Regierungskrise für totales Führungschaos – nahezu stündlich liefern neue Gerüchte und Nachrichten aus der Bundeshauptstadt Stoff für parteipolitische Spekulationen. Die Börsen haben sich trotz aller Nervosität gut gehalten: miese Stimmung, aber robuste Kurse. Das kann sich in den bevorstehenden Wochen und Monaten ändern, muss aber nicht. Volkswirte und andere Analysten sind eifrig dabei, die veränderte Nachrichtenlage unter die Lupe zu nehmen.

Meine Zwischenbilanz: Der Horizont wird sich so schnell nicht aufhellen. Wir stehen am Anfang einer Phase, die von gravierenden Fragezeichen belastet wird. Was bedeutet das für Sie, geschätzte Privatanleger? Seien Sie noch vorsichtiger als in den Sommermonaten! Man muss jetzt nicht investieren, sondern kann erst einmal abwarten.

Trump-Effekte

Die Gelassenheit der Börsenprofis ist schon erstaunlich. Das geht auch aus einer Analyse von DJE Kapital (Dr. Jens Ehrhardt-Gruppe) hervor: Mit dem klaren Wahlsieg von Donald Trump hat sich die Unsicherheit über den Ausgang der US-Wahlen gelegt. Eine Rezession oder Finanzmarktkrise in den USA erscheint weiterhin unwahrscheinlich. Ein Szenario wie Mitte der 90er Jahre – also moderate US-Zinssenkungen bei Ausbleiben einer Rezession – bleibt realistisch. Wir bleiben daher kurz- und mittelfristig konstruktiv für die Märkte. Während in den USA weitere Zinssenkungen zu erwarten sind, erscheinen die Zinssenkungserwartungen des Marktes für das Fiskaljahr 2025 jedoch zu optimistisch. Ein insgesamt etwas höheres US-Zinsniveau spricht weiterhin für den Banken bzw. den Finanzsektor, den wir unverändert als positiv einstufen. Darüber hinaus sehen wir weiterhin Chancen im Bausektor sowie in Japan. Generell stufen wir die USA und Japan attraktiver ein als Europa.

Europa-Probleme

Chancen sehen die DJE-Investmentmanager im strukturellen Wachstumspotenzial der USA, das bleibt höher bleibe als in Europa, wodurch die US-Region mittelfristig weiterhin die besseren Anlagechancen biete. Weiter heißt es: Der globale bzw. US-Finanz-/-Bankensektor ist strukturell gut aufgestellt, profitiert von weniger Regulierung in den USA und auch die Zinserträge könnten aufgrund langfristig höherer US-Zinsen besser als erwartet ausfallen. Die M&A-Aktivität dürfte 2025 zunehmen, und Krypto-Investitionen erhalten unter Trump zusätzlich Rückenwind. Der Bausektor weist in den USA und Europa eine volle Pipeline an Infrastrukturprojekten auf. Neue Aufträge für den Ukraine-Aufbau könnten bei einem möglichen Waffenstillstand oder Friedensschluss hinzukommen.

Japan-Chancen

Japan bietet eine der höchsten Marktrisikoprämien und verzeichnet starkes Wachstum bei Aktienrückkäufen. Fundamental positiv ist, dass Japan das einzige Land ist, in dem die kurzfristigen Zinsen deutlich unter den langfristigen Zinsen liegen. Japanische Finanztitel dürften zudem zusätzlich von höheren US-Zinsen profitieren.

Eine verbesserte Marktbreite in den USA dürfte US-Small- und Mid-Caps zugutekommen. Europäische Unternehmen mit starkem Kostensenkungspotenzial könnten ebenfalls interessante Chancen bieten. 

China-Risiken

Andererseits werden folgende Risiken beobachtet: Die US-Zinssenkungserwartungen des Marktes erscheinen aktuell zu aggressiv. Ein erneuter Handelskrieg zwischen USA und China ist nicht auszuschließen. Sollte Donald Trump massive Zölle auf chinesische Importe einführen, könnte China auch mit einer deutlichen Abwertung des RMB reagieren. Die Aussichten für chinesische Aktien sind vorerst eingetrübt. Trumps geplante Zollmaßnahmen könnten die Inflation erneut anfachen und damit höhere Zinsen am langen Ende mit sich bringen.

Europa-Probleme

Europa und insbesondere Deutschland kämpfen aber weiterhin mit strukturellen Wachstumsproblemen. In Deutschland gefährden hohe Energiekosten, hohe Löhne, Bürokratie und mangelnde Flexibilität die Wettbewerbsfähigkeit vieler Industriekonzerne. Die Schlüsselindustrien Automobil, Chemie und Maschinenbau verlieren international an Wettbewerbsfähigkeit.

Politische Börsen

Während sich der Sieg Donald Trumps bei den US-Wahlen im Vorfeld abzeichnete, kam das Ampel-Aus überraschend. Beides hat an den Aktienmärkten aber für wenig Aufregung gesorgt. Auch wenn politische Börsen einem alten Sprichwort zufolge kurze Beine haben, waren die Blicke der Marktteilnehmer sehr stark auf den Ausgang der US-Wahlen gerichtet. Das überraschend klare und rasch feststehende Ergebnis dürfte sicherlich ein wesentlicher Grund dafür gewesen sein, dass an den Aktienmärkten keine Nervosität aufkam und insbesondere die US-Indizes sehr positiv reagierten. Dass die US-Notenbank erwartungsgemäß den Leitzins um 25 Basispunkte senkte, hat Aktien ebenfalls geholfen.

Mit Blick auf den Dax ist das Stimmungsbild durchaus ambivalent. Schließlich birgt Trumps künftige Politik neben Wachstumschancen durch Steuersenkungen und Deregulierung auch enorme Risiken in Form von Zöllen. Erinnerungen an seine erste Amtszeit werden wach. Ein Blick auf die Kursverläufe der Aktienindizes Amerikas und seiner fünf wichtigsten Handelspartner zeigt aber auch, dass „America First“ nicht automatisch heißt, dass alle anderen verlieren. So sind mit Ausnahme des mexikanischen Aktienmarkts während der ersten Amtszeit Trumps (gemessen von Wahltag bis Wahltag) auch die Aktienindizes der wichtigsten Handelspartner gestiegen, nur eben zum Teil deutlich weniger als der S&P 500.

Der Faktor Zeit

Auch wenn schon lange und viel von Deglobalisierung gesprochen wird, ist dies nichts, was von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Das zeigt sich allein schon an den Auswirkungen vergleichsweise kleiner Störungen in den internationalen Lieferketten auf die Unternehmen. Selbst Donald Trump dürfte wenig Interesse daran haben, durch eine allzu aggressive Zollpolitik letztlich auch den eigenen Unternehmen und damit den Aktienkursen zu schaden. Schließlich hat er in seiner ersten Amtszeit jeden neuen Höchststand bei Dow Jones als seinen Erfolg gefeiert. Insofern kommt es nun sehr stark auf das Verhandlungsgeschick Europas und Deutschlands an. Vor diesem Hintergrund wäre es von Vorteil, zügig Neuwahlen anzusetzen und eine neue, handlungsfähige Regierung zu bilden.