Jahresrückblick: 2024 – Déjà-vu oder Schritt nach vorn?

von | 18. Dez. 2024 - 10:15 | Wissen

De-Risking und Diversifizierung waren auch 2024 die entscheidenden Themen, zumindest, wenn es um die Versorgung mit kritischen Rohstoffen geht. Aus europäischer Sicht wurde mit der Annahme des Critical Raw Materials Acts im Mai ein gesetzlicher Rahmen für die die Sicherung des industriellen Bedarfs geschaffen. Er stellt schnellere Genehmigungsverfahren in Aussicht und die Hoffnung, dass die Dringlichkeit der Thematik auf der politischen Agenda angekommen ist. Zusätzliche Finanzmittel zum Aufbau eigener Wertschöpfungsketten von der Förderung über Weiterverarbeitung bis zum Recycling sieht der CRMA indessen nicht vor. Dies überlässt man vorerst den EU-Staaten, die wie Frankreich, Italien und Deutschland eigene Rohstofffonds aufgelegt haben. Eine Milliarde Euro hat der Bund dafür locker gemacht, bei 50 bis 150 Millionen Euro wird das Budget pro Projekt liegen, sollten sie von Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bewilligt werden.

Es gibt eine Reihe nichtenergetischer, nichtlandwirtschaftlicher Rohstoffe, die aufgrund ihrer großen wirtschaftlichen Bedeutung und ihres hohen Versorgungsrisikos, das häufig durch eine hohe Konzentration des Angebots aus einigen wenigen Drittländern verursacht wird, als kritisch angesehen werden. Angesichts der Schlüsselrolle, die viele dieser kritischen Rohstoffe bei der Verwirklichung des grünen und des digitalen Wandels spielen, und angesichts ihrer Verwendung für Verteidigungs- und Luft- und Raumfahrtanwendungen wird die Nachfrage in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich exponentiell zunehmen.

Einleitung der Verordnung EU-2024/1252 (Critical Raw Materials Act)

Ein weiterer Baustein in der Rohstoff-Souveränität sind die Partnerschaften mit Ländern, die viele Bodenschätze besitzen. Dem Aufruf von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union 2022 ist nicht nur Deutschland, sondern auch Frankreich und die EU selbst gefolgt. Das in den letzten Wochen des Jahres auf die Zielgerade gebrachte Freihandelsabkommen zwischen dem Staatenblock und den Mercosur-Ländern, darunter die Rohstoff-Supermächte in spe Argentinien und Brasilien, hat ebenfalls das Potential, die Ressourcensicherung voranzubringen. Wenn der Widerstand Frankreichs und Italiens die vorläufige Einigung nicht zunichte macht.

Die europäischen Staaten sind mit ihrer Partnersuche jedoch längst nicht allein, denn auch die die Hightech-Standorte rund um den Pazifik sichern sich den Zugang zu den notwendigen Ressourcen. Das gilt für Japan, Südkorea genauso wie für die Vereinigten Staaten.

Germanium

Wie schon im Vorjahr: Germanium erfreut sich eines großes Interesses (Photo: TRADIUM GmbH)

China – gedachter, oftmals aber nicht benannter Adressat der Bemühungen um mehr Autonomie – ist selbstredend nicht untätig. Der Ausbau der „Neuen Seidenstraße“, dem gigantischen Infrastruktur- und zugleich Rohstoffprojekt, schreitet voran, mit der Einweihung eines Frachthafens Peru im Herbst wurden die Ambitionen Pekings in Südamerika auch in logistischer Hinsicht demonstriert. Medial wirkungsvoll, wenngleich inhaltlich nicht neu, war zudem der Hinweis, wem Chinas Rohstoffreichtum, allen voran Seltene Erden, gehören: dem Staat. Das eigene, aber selbstverständliche auch das weltweite Bewusstsein um die Marktmacht riefen desweitern die Ausfuhrauflagen in Erinnerung, die Peking erlassen hat. Während diejenigen für Gallium und Germanium sich im Sommer 2024 jährten, wurden diese im Dezember nachgeschärft: erstmals schnitt man mit den USA dabei ein Land konkret vom Export von Gallium, Germanium und Antimon ab. Der Grund dafür – darin sind sich Branchenkenner offenbar einig – ist in dem Versuch der USA zu suchen, China vom Zugang zu modernsten Computerchips zu isolieren. Dieser Chipkrieg schwelt nun seit Oktober 2022 und wird stetig um neue Episoden erweitert.

Seltene Erden-Ressourcen gehören dem Staat, und keine Organisation oder Einzelperson darf sich Seltene Erden-Ressourcen aneignen oder zerstören.

Anordnung des Staatsrates der Volksrepublik China Nr. 785

Hier dürfte im kommenden Jahr keine Entspannung zu erwarten sein, denn auch der designierte US-Präsident Donald Trump hat eine harte Linie gegen China angekündigt, so sind hohe Zölle vorgesehen. Und noch vor seinem Amtsantritt im Januar 2025 hat die aktuelle Administration neue Strafzölle für eine Reihe chinesischer Materialien und Rohstoffe wie Wolfram verabschiedet. Zudem ist offenbar  eine Reduzierung der Subventionen für die Elektromobilität geplant.

„Sie sehen diese leeren, alten, wunderschönen Stahlwerke und Fabriken, die verlassen und dem Verfall preisgegeben sind[…]. Wir werden die Unternehmen zurückholen. Wir werden die Steuern für Unternehmen senken, die ihre Produkte in den USA herstellen. Und wir werden diese Unternehmen mit starken Zöllen schützen.“

Designierter US-Präsident Donald Trump

Überhaupt wurden in diesem Jahre Zölle immer wieder als Regulativ eingesetzt, so auch von Seite der EU. Seit Juli vorläufig und Ende Oktober final werden diese auf Elektroautos aus China erhoben. Begründet worden ist der Schritt mit umfangreichen Subventionen des chinesischen Staates, in der Folge könnten Hersteller wie BYD ihre Fahrzeuge deutlich günstiger anbieten als westliche Konzerne. Die EU-Kommission hat zudem für Windkrafträder und Solaranlagen Untersuchungen zu staatlichen Beihilfen Pekings eingeleitet.

Werden angesichts der fortschreitenden Polarisierung von Ost und West die Länder profitieren, die zu beiden Seiten enge Verhältnisse haben oder ihre Beziehungen zu USA bzw. China neu austarieren? Hierzu gehört neben Indien, das für seine aufstrebende Wirtschaft ebenfalls auf der Suche nach sicheren Rohstoffquellen ist, auch Saudi-Arabien. Das Land will neue Wege beschreiten, um seine Wirtschaft von seinem Ölreichtum zu diversifizieren. Dabei wird bei der Entwicklung der eigenen Mineralienvorkommen auf westliche Partner wie Australien gesetzt. Gleichzeitig sucht der Verbündete der USA in jüngster Zeit die Nähe zu China. Andere Länder wie Brasilien bringen sich ebenfalls als Lieferanten für kritische Rohstoffe ins Spiel.

Das Teilnehmerfeld im Rennen um die Rohstoffsicherung wird also sukzessive größer, an China führt auf lange Sicht aber erst einmal kein Weg vorbei.

Die EU hält nicht mit ihren Wettbewerbern Schritt. Es fehlt ihr an einer umfassenden Strategie, die alle Phasen der Lieferkette abdeckt (von der Erkundung bis zum Recycling).

Mario Draghi: The future of European competitiveness – In-depth analysis and recommendations

Beitragsbild: Rohstoff.net